VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 194


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Lebensanschauung nennen
migem Fett ....! Aus dem quälerischen Liebesverhältnis
hhauung läßt sich merkwür¬
mit der hochsensitiven, sinnlichen, schlanken, weißen, won¬
Anschauen fremden Lebens
nigen Dame (natürlich der Frau eines anderen), aus den
Produkt aus der Kreuzung
italienischen Liebesnächten voll betäubender Herrlichkeit
Die eigene Persönlichkeit
geht Herr Abelard über zum Frieden seiner Ehe mit
gezeugt wird.
Sie muß
einer dummen, dicken Trine, einer Köchin, einer Strümpfe¬
Ethik oder als Tendenz¬
stopferin... Das ereignet sich nicht allzu selten... Herr
lebt in jedem Kinde, das
Abelard wird feist und kahl, kriegt Kinder, liegt auf der
aus dem Innern einer
Bärenhaut und säuft... Säuft nicht etwa aus Ver¬
gerissen hat.
zweiflung, nein, mit stumpfsinnigstem Behagen!... Er
daß wir Hans v. Kahlen¬
ist nun ein tüchtiger Bürger und hofft Bürgermeister zu
werden im Landstädtchen.
Der liebe Gott“ verdanken,
denzarbeit und als ebenso
Hans v. Kahlenberg hat sichs mit dem Uebergang,
g persönlicher Erfahrungen
auf den es für die psychologische Kunst hauptsächlich
Weltanschauung, die sich
ankam, bequem gemacht. Statt der Motivierung wählte
Geschöpfen mitteilt, wollte
sie einen Bluff, einen richtigen Theatercoup. Noch eben
den wissen. Ich meine# 3%
hatte Herr Abélard aus Sevilla an seine Geliebte ge¬
rnst statt des Spielerischen;
schrieben. Seine Worte hauchten Sehnsucht, blasierte
Sinnlichkeit und die Nervosität des Verwöhnten. Und
ens. Was starke Persönlich¬
er sagte, daß er nun in den wilden Abenteuern des
Orients zugrunde gehen wolle. Aber der nächste Brief
enigmatische Mann“
meldet schon, daß er sich mit der dicken Base verheiratet
deutlich „Der rätselhafte
habe. „Vielleicht werde ich hier im Nest noch Bürger¬
ur Ueberkulvechistorie unserer
meister.“
bedingten und bescheidenen
Es folgen dann keine Briefe, überhaupt keine
kleinen satirischen Romans
Aktionen mehr des „Enigmatischen“. Nur mehr un¬
der Darstellung, von einem
wahrscheinliche Briefe von anderen Personen an die
n verbreiteten Typus unter¬
Dame, gewissermaßen Gutachten von Spezialisten, die
heit fast jeder junge Mensch
den späteren Zustand des Herrn Abélard beschreiben;
ach mancher Most genialisch¬
den aufgedunsenen, grenzenlos banalen, ekelhasten Zu¬
dionysischer Wein, wird ein
stand. Auch dieses Mittel der Verfasserin: sich mit Hilfe
aß. Diese scheinbare Wand¬
eines Raisonneurs das Modellieren zu ersparen, ist
Entwicklung: denn es kommt
allzu bequem. Die drei Epilogschreiber: ein Arzt und
ebensalter zugeflogen, was
Bräutigam, ein Schlächtermeister und ein Aristokrat,
der Geburt in ihm war. In
sind in der Tat nur der durch die Zahl 3 dividierte
ben die gegensätzlichen An= Reisonneur. Immerhin ist diese Gesuchtheit eine kleine
auch zeitweilig verdeckt, si.id Otginalität. Statt der „Moral von der Geschiegte“, die
n und erdrücken allmählich
man in der guten alten Zeit zu geben liebie, wollte
Wahrheit notifiziert auch
Hans v. Kahlenberg das „Wie ich es sehe" m hrfach
Dirnen, alte Betschwestern.“
indiidualisieren. Aber einerseits sind drei standesmäßige
pf der Elemente im Innekn
Urteile zu wenig für das menschliche Kaleidoskop, anderer¬
einem modern=kultivierten
seits sind sie schon zu viel für diesen Gegenstand der
inem unrettbar versumpften
Betrachtung: den höchst gewöhnlichen Mann. Es scheint
rätselhaft nennen: keines¬
mit, als ob in das Schlußwort des Aristokraten etwas
suelles Rätsel. Der Vor¬
von der persönlichen Meinung der Verfasserin einge¬
Titel des Kahlenbergschen
lossen sei. Da, wo die niedere Abkunft für die Charakter¬
icus a non lucendo.
osigkeit des Mannes, der trotz erworbener Bildung in
benig enigmatischen Mann
jöherer Lebenssphäre nicht bodenständig geworden sei, ver¬
nz ausnehmend raffinierte
intwortlich gemacht wird. Das ist natürlich ein sophisti¬
nd künstlerische Erotik, die
ches Vorurteil — tausendmal widerlegt durch augen¬
schen Farben schillert; seine
ällige Vermischung gerade des Luxus und der Aristo¬
Ruhelosigkeit; seine an den
ratie mit geistloser Gemeinheit und Trivialität. Sollte
und Wissenschaft gesättigte,
ie Verfasserin, die auch wieder einmal ihre Abkunft
all das verfilzt in schwam¬
om allzu lustigen Jérôme Bonaparte nicht ruhen
assen kann, an solcher Nabelschnur hängen?! Aber die!
us, Berlin-Charlottenburg.
Bonaparte waren Advokatensöhne! Und Bauernblut ist
zur Dekadenz im Allgemeinen am wenigsten geneigt,
weil es zur geistigen Kultur noch lange nicht empor¬
geschwollen ist.
Schleuderhaft ist das Buch geschrieben. Nicht zum
ersten Male versagt sich Hans v. Kahlenberg mit der
Mühe zugleich den letzten Preis. Die künstlerische Ab¬
rundung fehlt. Allzu einseitig, zu abrupt wird der Mann,
der „enigmatische", Zweck der Darstellung. (Herr Abelard¬
hat übrigens in der jüngsten Literatur einen Paihen;
den mir sehr unsympathischen „Herrn Andreas v. Balt¬
hesser“ von Richard Schaukal.) Die Frau des Romans
verflüchtigt sich zu einem Schemen. Und sind doch gerade
die wenigen Streiflichter, die das körperliche, psychische
und erotische Weib treffen, köstlich. Wie schade um das
Verkürzte! Als novellistische Monographie ist „Der eni¬
gmatische Mann“ ein Pendant zu dem „Nixchen“, dieser
Demivierge=Monographie, die ein törichter Staatsanwalt
einst berühmt gemacht hat.
Goethe spricht von den Vorzügen unserer Mängel.
Umgekehrt verdient auch das sehr lockere Handgelenk
Hans v. Kahlenbergs einen besonderen Ruhmestitel.
Ueberaus verschwenderisch und graziös schüttelt es Geist
und differenzierte Beobachtung aus. Die erste Hälfte der
Briefe bietet besonders viel des Interessanten, Kundigen,
Neuentdeckten auf dem unendlich ausgebeuteten Gebiek der
Erotik. Dort hat man auch die nicht geringe kulturelle,
d. h. geschichtliche Bedeutung des leichten Buches zu
suchen. Man wird an dem Nichtschen nicht vorüber¬
gehen.