VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 202

2. Cuttings
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Chronik.
Am drastischesten aber erhellt die Tatsache,
Thrater.
daß Wien heute in Theaterdingen nicht mehr
führt, sondern geführt wird, also zu Berlin
Keinem gerechten Beurteiler wird es ein¬
in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis
fallen, den ehrlich verdienten Ruhm heinrich
steht, wie die Provinz zur Hauptstadt, daraus,
Laubes zu verkleinern. Aber man tritt der Be¬
daß die wenigen dramatischen Autoren, die wir
deutung Laubes nicht zu nahe durch nachdrück¬
besitzen, die Uraufführungen ihrer Werke oft
liche Feststellung der Tatsache, daß er es in
nicht in ihrer heimat, sondern in Berlin statt¬
vieler Beziehung leichter hatte als ein heutiger
finden lassen. Artur Schnitzlers Einakterzyklus
Burgtheaterdirektor. Was er zu leisten hatte,
„Lebendige Stunden“ erblickte nicht im Burg¬
war in erster Reihe, ein neues, jugendliches
theater, wohin er gehörte, das Bühnenlicht
Künstlerensemble zu schaffen, das fähig war,
sondern im Deutschen Theater, und die zwer
nach dem Absterben der bei Laubes Berufung
nicht erfolgreichsten, aber an geistigem Reiz er¬
noch rüstigen alten Garde den alten Ruhm des
giebigsten dramatischen Schöpfungen des abge¬
Burgtheaters in ungemindertem Glanze den
laufenen Spieljahres, hermann Bahrs „Meister“
kommenden Zeiten zu überliefern. Daß ihm sein
und Hofmannsthals „Elektra“, wurden in Berlin
Werk so herrlich gelang, das verdankte Laube
zum erstenmal gespielt. Ja, es kommt sogar vor,
neben seinem sicheren Blick und seiner pädagogi¬
daß das Wiener Publikum wichtige, sensationelle
schen Kraft doch dem Umstand, daß Wien damals
Novitäten, die auf der geringsten reichsdeutschen
noch das Zentrum der deutschen Theaterwelt war.
Bühne und selbst auf österreichischen Provinz¬
Dem Durgtheater anzugehören, war zu Laubes
bühnen schon längst gegeben sind, erst durch
Zeiten das Lebensziel jedes wo immer in deutschen
die Sommergastspiele von Berliner Bühnen über¬
Landen sich entwickelnden schauspielerischen Ta¬
haupt kennen lernt. So geschehen mit Dreyers
lents, und die erfolgreiche Aufführung eines
„Probekandidaten“ und mit Bahrs vorhin er¬
Stückes im Burgtheater bedeutete jedem Schrift¬
wähntem „Meister“.
steller die entscheidende Anerkennung seines
Es sei genug an diesen Beispielen, die ohne
Wertes. Damals wurden in Wien die Werte
Mühe beliebig vermehrt werden könnten, um die
geprägt, die für ganz Deutschland Geltung hatten.
Wahrheit meiner Behauptung zu erhärten. Daß
Unter diesen Verhältnissen konnte der Burg¬
dies ein unwürdiger, für jeden Österreicher un¬
theaterdirektor darauf zählen, daß ihm jedes
erträglicher Zustand ist, brauche ich nicht erst
burgtheaterfähige Talent von selbst ins Garn
zu sagen. Muß es so sein? kein deutsches
fliegen müsse. Was Maurice in hamburg an
Land ist so fruchtbar an schauspielerischen Ta¬
Talenten aufspürte und erzog, das fiel früher
lenten als die österreichische Erde; in keinem
oder später dem Burgtheater in den Schoß.
deutschen Volksstamm pulsiert das Theaterblut
heute ist dies anders, so anders, daß jedem
so warm und lebendig als im österreichischen;
österreicher das herz dabei bluten muß. Das
so sehr sich die Zeiten geändert haben, verdient
Zentrum der deutschen Theaterwelt ist heute
das Wiener Publikum noch immer das Lob,
Berlin. Wer an dieser beschämenden Tatsache
das ihm Grillparzer und Laube gespendet haben;
zweifelt, der frage einen beliebigen Theater¬
mit dem Burgtheater, auch dem heutigen, kann
agenten, der sich mit dem Vertrieb dramatischer
es noch immer keine Berliner Bühne im Ernst
Werke beschäftigt, ob ein Wiener oder ein Berliner
aufnehmen . .. und doch hat Wien die Führung
Erfolg für die Provinz maßgebend ist. Er wird
an Berlin verloren. Warum? Ich widerstehe
hören, daß ein Stück nicht etwa nur von reichs¬
der Versuchung, den Komplex von Ursachen zu
deutschen, sondern oft auch von österreichischen
entwirren, der dies verschuldet hat. Würde
Provinzbühnen erst dann zur Kufführung er¬
doch eine erschöpfende Antwort auf diese Frage
worben wird, wenn es an einem Berliner
ein gutes Stück Wiener Theatergeschichte und
Theater, das nicht einmal eines der allerersten
Wiener Soziologie in sich schließen müssen. ...
zu sein braucht, Erfolg gehabt hat.