VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1933, undatiert, Seite 204

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Statuetten und Büsten geschaffen, wurde es ihm klar, das alles sollte in Deutschland nachgeahmt werden.
Und wie Zola schließlich nur noch die untersten
daß auch dieser Kunstzweig für seine eigentliche Be¬
Kunst und Wissenschaft.
und alleruntersten Schichten in seinen Romanen dar¬
gabung nicht geeignet war, und er wählte nunmehr
stellte, wie er immer schwärzer zeichnete und endlich
Von
die Malerei, die denn auch in Zukunft sein Reich
dazu kam, die Laster der Menschen zugleich mit ihrem
Dr. Adalbert von Hanstein.
blieb. Er trat zuerst in das Atelier von Fritz
Pauisen in Berlin ein, wo er den Grund zu seiner Elend am liebsten zu gestalten — so wollte auch in

Fas Aussehen des berühmten Professors der
Deutschland seine Jüngerschaar nur noch das Elend
eleganten und glatten Färbung legte. Später aber
und den Jammer dichterisch wiedergeben. Da machte
Hygiene, den meine Leserinnen auf dem
suchte er sich weiter bei Sohn in Düsseldorf zu ver¬
eine Ausnahme Heinz Tovote. Auch er hatte sich

ersten Bilde hier erblicken, macht seinem
vollkommnen, und als er hier sein Studium beendet
Rufe alle Ehre. Max Rubner ist am
hatte, siedelte er für immer nach Berlin über. Hier freilich einen Franzosen zum Muster genommen, aber
nicht den schwerwuchtigen Zola, sondern den leicht¬
2. Juni 1854 in München geboren und hat in ver¬
pflegte er besonders das vornehme Salonbild,
hältnißmäßig kurzer Zeit eine glänzende Laufbahn
wobei er das Hauptgewicht auf die Stoffmalerei beweglichen Maupassant. Dieser, eigentlich auch ein
zurückgelegt. Seit seinem neunzehnten Jahre studirte
legte. Die bekanntesten und beliebtesten Werke sind: Schüler Zolas, hatte der Welt des Elends und des
er in seiner Vaterstadt, und im neununddreißigsten
„Mutter und Kino“, „Auf dem Balkon“, „In der Verkommens in den Tiefen diejenige der Eleganz,
wurde er schon zum Professor der Hygiene in Marburg
Bibliothek", „Der Geburtstagsmorgen", „Dame mit der vornehmen Lebekreise und der überreizten Ner¬
vesität entgegengestellt. Und der deutsche Tovote
ernannt. Doch nur vier Jahre verweilte er in dieser
Taube“, „Leidvoll“ „Der Atelierbesuch“ und die
bekannte sich als seinen Schüler. Das alte Uebel
Eigenschaft daselbst, denn schon 1891 berief man ihn zum
„Mandolinata“. Später wandte er sich jedoch fast
der Deutschen, sich um jeden Preis so gern fremden
Professor und Direktor des Hygienischen Instituts
ausschließlich der Bildnißmalerei zu, die er mit dem
Mustern unterzuordnen, zeigte sich auch hier. Kaum
nach Berlin. Max Rubner beschäftigte sich besonders
größten Erfolge betrieb. Auch hier huldigte er der¬
hatte die für Deutschland unnatürliche Nachahmung
mit der chemischen Thätigkeit der Bakterien, mit der
selben Richtung, indem er mit feinstem Künstlersinn
Zolas ihre Blüthen getrieben, so trat ihm Maupassants
Kleidung, Desinfektion und dem Bau der Kranken¬
auf eine blendende Anordnung bedacht blieb. Mit
Schüler entgegen, der auch schnell Gefolgschaft finden
häuser. Eine gänzliche Neubearbeitung lieferte er auch
Kunst und Geschmack wußte er stets die glänzenden
sollte. Ja, seinen ersten Roman ließ Tovote sogar in
mit der dritten Auflage von Nowaks „Lehrbuch der
Toiletten der Damen, vie sich von ihm verewigen
einem französischen Zitat ausklingen. Er druckte das
Hygiene“, das seitdem unter Rubners Namen er¬
Kunstgesetz des Franzosen, dem er sich zugeschworen
scheint, und außerdem ist er noch Mitherausgeber des
hatte, seinem eigenen Werke nach. Und hier gab es
„Archivs für Hygiene". Eine eigenartige Künstler¬
nicht das schweie Problem der „sozialen Frage“, das:
persönlichkeit ist Cscile Chaminade, ein Pariser
in den Köpfen st vieler Romandichter spukt — hier gab
Kind, das, wie meine Leserinnen sich bereits durch den
es nur geistreiches und leichtfertiges Getändel, und es
Anblick ihres schönen Bildes überzeugen werden, mit
ist kein Wunder, daß der junge Autor schnell einen
dem Freibrief für's Leben — mit Anmuth und Lieb¬
großen Kreis von Bewunderern gewann. Freilich
reiz — genügend ausgerüstet ist. Sie ist am 8. August
hinderte ihn das erst recht, sein schönes Talent
1861 geboren, und ihre Biographie ist recht interessant.
in würdigere Bahnen zu lenken. Roman folgte auf
Man entdeckte bereits von ihrem dritten Jahre an
Roman, und immer wieder song er dasselbe Lied
musikalische Begabung. Wenr die Kleine in ihrem
der modernen Liebe. Dabei ist er ein außerordent¬
Betichen lag, so pflegte sie vor dem Einschlafen erst
licher Schilderer. Der Eindruck der Straßen Berlins
alle Liedchen, die sie Tags über gehört, nachzusummen.
in abendlicher Beleuchtung, das Funkeln und Glitzern
Als sie etwas älter wurde, sang sie in ganz der¬
auf der Straße, das Rollen der Wagen und die
selben Weise die Haupt=Themen der Beethoven'schen
bewegte Menge geputzter Menschen belebt sich in
Sonaten und Symphonien nach, wie sie überhaupt
Cécile Chaminade.
seiner Wiedergabe zu einem farbigen Gemälde, und
schon damals jede Melodie aus dem Gedächtnisse
Max Rubner.
der flotte Stil, die hüpfende Darstellungsart, der leichte Plauderton
wiedergeben konnte. Ihre Eltern waren sehr wohl¬
habend, und obgleich sie sich über die hervorragenden Talente ihrer
geben seiner Schriftstellerei unverkennbare Reize. Schade nur, daß
jüngsten Tochter sehr freuten, so unterließen sie absichtlich die Be¬
die eigentliche Dichterphantasie nicht zum Auswachsen kommt, daß
schleunigung ihrer musikalischen Entwickelung; im Gegentheil hielten
er sich mit seinen Erzählungen immer wieder in die triviale Alltags¬
die Eltern streng darauf, daß der Musikunterricht nicht mehr Zeit
welt bannt und daß seine Helden und Heldinnen so wenig von
wie die übrigen Studien in Anspruch nehmen durfte. Auf diese
wirklichem Heldenthum an sich haben. Seine ganze schriftstellerische
löbliche Weise wurde Cécile von jedem gewaltsamen Virtuose #thum,
Persönlichkeit ließe sich darstellen unter dem Bilde eines Mannes,
das so viele bedeutende Talente vorzeitig ruinirt, segensreich bewahrt.
der im eleganten Gesellschaftsanzuge, den Klappzylinder in der
Hand, einen Salon betritt, ein liebenswürdiges Lächeln auf den
Mit ihrem vierzehnten Jahre begann jedoch schon Kampf und
Schmerz, denn es starb ihr Vater, nachdem er kurz zuvor sein
Lippen, mit dem er das Große und Gewaltige in der Welt und
ganzes, bedeutendes Vermögen verloren hatte. Ein kleines, reizendes
Kunst tändelnd übersieht und den immer neuen Lebensreizungen
entgegenschaut. So ertlärt es sich, daß er, in jugendlichem Alter
Besitzthum in einer der schönsten Vorstädte von Paris blieb ihr
schon von einem seiner Verehrer um seine Meinung von der
und ihrer Mutter aus diesem allgemeinen Ruin noch übrig, auf
deutschen Litteratur befragt, die sonderbare Antwort gab: „Lyriker
das sie sich vorerst still verzichtend flüchteten. Doch war der Tag
wird's bei uns guten Deutschen immer geben. Das Drama aber
nicht fern, wo auch dieses ihr Geburtshaus unter den Hammer
kommen mußte, um die ganz dringend erforderlichen Mittel für
Konrad Kiesel. wird immer mehr zur Posse herabsinken; was man in einem
Roman sagen kann, kann man in einem
ihre und ihrer Mutter Existenz zu ergeben. Letztere war verzweifelt
Drama nicht entwickeln. Und über das historische
bei dem Gedanken, ihre Tochter nun für das tägliche
Drama sind wir vollends weit hinaus, das mag kein
Brod arbeiten lassen zu müssen. Cécile, die unsäglich
Mensch mehr.“ Wie sehr er sich hier geirrt hat,
unter diesen Qualen itt, erhob sich allnächtlich —
bewies ihm schnell der Gang der Litteratur.
wenn ihre Mutter schlief — von ihrem Lager und
Grade das Drama trat wieder in den Vorder¬
begann, Lieder zu komponiren. Selbstverständlich

grund, grade das geschichtliche Schauspiel hat am
war der Weg zum ersten Erfolg für das in der Kom¬
meisten in den letzten Jahren wieder die Herzen der
positionslehre noch so unkundige Mädchen mühselig
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Menschen erobert. Und der Reiz, den das liebens¬
und dornenvoll. Doch bald fanden sich Freunde, die
würdige, aber lockere und flatterhafte Talent des so
in der Erkenntniß der außergewöhnlichen Begabung
schnell bekannt gewordenen Romanschriftstellers aus¬
Céciles sich ihrer liebe= und theilnahmsvoll annahmen
übte, wird nicht allzulange mehr andauern, wenn er
und sie regelrecht zur Künstlerin ausbilden ließen.
nicht Ernst und Würde, Kraft und sittliche Größe
in Paris längst eine anerkannte
Jetzt is
mit seinen Fähigkeiten zu vereinen lernt. Daß
und äuße## beliebte Komponistin, deren Lieder
übrigens auch im Drama die Schilderung der „ele¬
und Klavier=Soli überall gern gesungen und
ganten Welt“ in ähnlichem Sinne wie bei Tovote
gespielt werden. Cécile Chaminades Musik ist als
Arthur Schnitzler.
Heinz Tovote.
möglich ist, beweist sein Wiener Kollege Arthur
gute und feinere Salonmusik zu bezeichnen, die stellen¬
Schnitzler. Auf der Bühne des deutschen Theaters
weise sogar geistvoll genannt zu werden verdient.
ließen, in das günstigste Licht zu stellen, und sein
in Berlin ist er zuerst zu Wort ekommen, und grade
Die meisten Kompositionen sind überwiegend in der
größtes und wesentlichstes Augenmerk lenkte er dabei
jetzt ist eine Reihe berühmter Kunstlerinnen bemüht,
Liedform geschrieben. Nicht unerwähnt will ich lassen,
auf die starke Betonung des Stofflichen, das denn
seine modernen Frauengestalten über die Bühne zu
daß sich die Pariser Komponistin auch als eine technisch
auch mit gründlicher Sachkenntniß und peinlichster
tragen Frau Sandrock hat einen seiner Einakter
wohlgebildete Pianistin entwickelt hat, die in jedem
Gewissenhaftigkeit im rein Technischen von ihm ge¬
in ihren Spielplan ausgenommen; Hansi Niese, die
Jahre in London mit ihrem Spiele und ihren
handhabt und beherrscht wurde. Von seinen späteren
gegenwärtig als ein neuer Stern aufgeht am Himmel
Kompositionen reiche Lorbeern erntet. Augenblicklich
Genrebildern und Idealfiguren sind noch besonders
des Lustspieles und der Posse, hat in dem „Abschieds¬
arbeitet sie an einer großen und umfangreichen Oper,
„Die Siesta“ und „Petrarcas Laura“ hervorzuheben.
souper“ Schnitzlers die Hauptrolle zu einer ihrer
zu der Armand Silvestre den Text geschrieben hat.
Im Jahre 1889 ethielt er für ein Bildniß der
Lieblingsparthien erwählt. Dabei ist Schnitzlers Ruhm
Eigenthümlich und befremdend wirkt die Thatsache,
Kaiserin Auguste Victoria die kleine und 1890 die
noch jungen Datums. Zwar steht er schon im Mannes¬
daß Cécile Chaminade immer noch des Nachts
große, goldene Medaille der Berliner Ausstellung.
alter — er wurde am 15. Mai 1862 geboren — doch erst
komponirt, und man oft erst um drei Uhr Morgens
Seit 1892 gehört Kiesel der Akademie als Mitglied an.
im Jahre 1892 ging ein Schauspielvon ihm, „Märchen“,
ihre Lampe erlöschen sieht. Auch benutzt sie selten
Zum Schlusse heute noch zwei ganz „moderne“ Schrift¬
in Berlin über die Bretter — noch ohne größeren
das Klavier dabei, da sie fast immer am Schreibtische
steller. Der mit dem gut gepflegten Spitzbart und
Erfolg. Dann aber errang sein Schauspiel „Liebelei“.
arbeitet, und ihr hier die glücklichsten Gedanken, wie sie
den nach vorn gebürsteten Haaren ist der erste unter
eine große Wirkung, und es folgten nun „Freiwild“,
sich selbst ausdrückt, in die Feder fließen. Sie gilt
der neuen Generation gewesen, der den leichtlebigen
das „Vermächtnis“ und andere. Aus anfänglicher Ein¬
in Paris für eine liebenswürdige Künstlerin, die frei
Ton der französischen Salonskizze nach Deutschland
akterdichtung hat sich Schnitzler zu seiner dramatischen
von jeder Ueberhebung ist. Ich lasse nun einen be¬
gebracht hat. Als die Bewegung des sogenannten
Fertigkeit langsam und mit großer Bühnensicherheit
kannten und namentlich bei den Damen der hohen
„jüngsten Deutschland“ in den 80er Jahren unseres
entwickelt. Scharfer Witz, einschneidende Satire und
Aristokratie und Finanzwelt beliebten Maler folgen:
Jahrhunderts sich zu entwickeln begann, da nahmen
leicht plaudernder Theaterdialog sind die Vorzüge
Konrad Kiesel. Dieser Künstler ist am 29. November
die naturalistischen Schriftsteller sich mit Vorliebe den
seiner Stücke. Aber in Bezug auf die Wahl seiner
1846 in Düsseldorf geboren und widmete sich, heran¬
Franzosen Zola zum Muster. Seine scharfe Be¬
Stoffe steht er Tovote nahe. Gewissermaßen beweist
wachsend, anfangs in Berlin der Baukunst, die ihn aber
obachtungsgabe, seine finstere Weltanschauung, sein
er diesem, daß seine Meinung unrichtig, daß man auch
sehr wenig befriedigte und anregte. Er wandte sich des¬
Versuch, das moderne Paris von den obersten bis zu
diese Stofswelt auf dem Theater lebendig machen kann.
halb schnell der Bilohauerei zu und fing an, bei Schaper
den untersten Kreisen der Bevölkerung zu schildern
ernsthaft und fleißie zustudiren. Nachdem erjedoch einige