box 38/4
2. Cuttings
Liinket uug.r OrOe
2 Dae.
A. P. In der Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft 740
sprach am Mittwoch Abend Adele Schreiber über Arthur 2%
[Schnitzler. Die junge Oesterreicherin entrollte in knappen, sicheren 4420.
Linien ein Bild von dem geistigen Schaffen ihres Landsmannes, dem
das norddeutsche Publikum trotz einiger Bühnenerfolge ziemlich ver¬
ständnißlos gegenübersteht. Freilich, „wer den Dichter will verstehen,
muß in Dichters Lande gehen,“ er muß ihn mit dem Gemüth er¬
fassen. Dazu den Weg zu zeigen, gelang der Vortragenden vortrefflich.
Selber ein Wiener Kind, hat sie in dem Milieu des „Jungen=Wien“
gelebt, und mit wenigen feinen Strichen vermochte sie die Eigenart
dieses Kreises zu fkizziren: Hofmannsthal, der zartsinnige Symbolist,
Bahr, der Satiriker, Hirschfeld, der Humorist, Altenberg, der
sensitive Stimmungsmensch, und endlich Schnitzler, der potenzirte
Oesterreicher. Sie sind Realisten, aber keine von der derben
Sorte, die Heimath ihrer Seele ist Griechenland, sie sind
Schönheitssucher. Ihre Poesie ist eine Mischung aus romanisch¬
slawisch=orientalischen Einflüssen, wie sie das moderne Oesterreich
kennzeichnen. Sie haben etwas den Franzosen Verwandtes. Wie
diese sind sie Planderer, vor allem hat Schnitzler die Grazie der
Form. Eine weiche Müdigkeit liegt über seinen Schöpfungen, von
denen jede ein Stück Selbstbiographie ist. „Einen leichtsinnigen Me¬
lancholiker“ nennt er sich einmal darin. Er liebt die matten, feinen,
subtilen Farben. Der nüchterne Verstandesmensch nennt ihn leicht
weibisch, aber er ist nur sensitiv. Allerdings, die großen, neuen
Probleme gehen ihn nichts an, seine Dichtungen haben nur einen In¬
halt: die Frau, aber nicht die ringende, kämpfende, nur die liebende.
Seine Heldinnen sind immer die kleinen, süßen Mädel der Wiener
Vorstadt oder verheirathete Weltdamen, die Trost für ihre Herzens¬
leere im Bruch der ehelichen Treue suchen.
Es ist ein Instrument mit einer Saite, das Schnitzler spielt, aber
er weiß ihm sympathische Klänge von wehmüthigem Neiz zu
entlocken. Auch wenn er das Intimste erzählt, bleibt er
immer grazios und wird nie unzüchtig. Mit seinen ersten Arbeiten
trat Schnitzler 1886 hervor. Es war das Märchen „Alcantils Lied“
dann folgte das „Märchen von den Gefallenen“, in dem der Held alle
alten Vorurtheile überwunden hat und ihnen doch beim ersten Ver¬
such in der Praxis unterliegt. Das Drama „Freiwild“ behandelt
das Quellmotiv in einem meisterhaft geschilderten Milien. Nun folgte
„Liebelei“, die Tragödie des Mädchens aus dem Volke, vielleicht des
Mädchens überhaupt. Es begründete Schnitzlers Ruf und wurde in
die verschiedensten Sprachen übersetzt. Das folgende „Vermächtniß“ ist
ein schwaches Stück. „Die Gefährtin“ dagegen voll Feinheit und Ele¬
ganz. In „Paracelsus“ sind die Farben etwas stark aufgetragen,
großen Bühnenerfolg hatte die sozialpolitische Burleske „Der grüne
Kakadu“ die trotz der historischen Maske völlig modern wirkt.
Schnitzlers neuestes, noch nicht aufgeführtes Stück nennt sich „Beatrice“
und ist in Versen geschrieben. Ein Mittelding zwischen Buch und
Bühne ist sein „Anatol“, ein Meisterstück genialer Planderei, während
seine „Novellen“ das Problem des Sterbens, des Loslösens des
Lebenden von dem dem Tide Verfallenen, ergreifend schildern.
Leichtsinn und Melancholie, beides weiß Schnitzler zu verklären, der
vielleicht kein Unsterblicher, aber ein eckter Künstler ist. Zum Schluß
las Adele Schreiber drei seiner lyrischen Gedichte und die Szene
„Weihnachtseinkäufe“ aus „Anatol“ vor, und der Beifall, den sie
fand, bewies, daß ihre graziöse, gleichgestimmte Art das Wesen ihres
Landsmannes den Hörern wirklich näher gebracht hatte, obgleich wir
Norddeutschen mehr die frische, klare Morgenluft lieben als den
düfteschweren Hauch schwüler Sommernächte voll banger Todes¬
sehnsucht.
MRATANT
Dr. Max Goldschmidt
0
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Prager Presse, Prag
9. Sep. 980
*X Arthur Schnitzlers Spätwerk wird in den
„Preußischen Jahrbuchern" (Vd. 208, Heft 2) von
dem gediegenen Prager Forscher Josef Körner,
Dem Verfasser einer Monographie über Schnitzlers
Gestalten und Probleme, eingehend gewürdigt. Im
Zentrum der Analyse stehen die Dramen „Komödie
der Verführung" und „Der Weg zum Weiher“, so¬
wie die Erzählungen „Fräulein Else" „Traum¬
novelle" und „Die Frau des Richters“ — noch nicht
zur Behandlung gelangt Schnitzlers neueste Schöp¬
fung, „Spiel im Morgengrauen“, während sein
charakterologischer Beitrag „Der Geist im Wort und
der Geist in der Tat“ als freudiges Anzeichen für
des Dichters Einkehr und Aufwärtsstreben gewer¬
tet erscheint. Von den Altersprodukten werden
kenntnisreich die Entwicklungslinien zurückverfolgt
zu jenen Werken, in denen Schnitzlers Poesie und
Weisheit am eindrucksvollsten zur Gestaltung ge¬
langte, so zum „Schleier der Beatrice“, zum „Ein¬
samen Weg“ und zum „Weg ins Freie"; lehrreich
zu verfolgen, wie die einst angeschlagenen Motive
in neuen Variationen ertönen. Schnitzlers Welt ist
durch das Thema der Erotik umgrenzt und ist ty¬
pisches Erzeugnis von Vorkriegsstimmungen, sein
eigentliches Gebiet ist dasjenige eines zeitfernen
Märchens und nu: gering sind die Anknüpfungs¬
punkte zwischen seiner Sphäre und den Tendenzen
der jüngeren Generation. Es ehrt den Dichter,
daß er, von den Zeitläuften unbeirrt, seinem Grund¬
scharakter treu blieb, immerhin lassen sich jedoch,
Körners Ausführungen nach, in Schnitzlers letzten
Werken Momente feststellen, die ihn von dem sexu¬
ellen Determinismus ab= und dem Ethos des
Expressionismus näherbringen, wenn auch natürlich
auch jetzt noch die Fragen der Freiheit und Sitt¬
lichkeit vom einseitigen Standpunkt des Mannes
aus, also gleichzeitig ungerecht und elegisch, beleuch¬
tet erscheinen. Auf dem Gebiet der überpersönli¬
chen Probleme von Krieg und Frieden, von Gott und
sittlichem Kampf weiß Schnitzler nicht viel Neues
zu sagen, intensiver ist seine Beschäftigung mit d.
Heimatsproblem, dessen Behandlung ihn ab.
gelegentlichen antisemitischen Anfeindungen preis¬
gegeben hat. „Das ist in einer deutschen Provinz¬
stadt der Tschechoslovakei geschehen", heißt es in
einer um ihres Abdruckes in den Preußischen Jahr¬
büchern willen beachtenswerten Fußnote, „und war,
angesichts des ganz andern Respekts, den die Tsche¬
chen allem Geistigen darbringen, für das deutsche
Volk in diesem Staate außerordentlich beschämend.
+ Sutien „n
2. Cuttings
Liinket uug.r OrOe
2 Dae.
A. P. In der Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft 740
sprach am Mittwoch Abend Adele Schreiber über Arthur 2%
[Schnitzler. Die junge Oesterreicherin entrollte in knappen, sicheren 4420.
Linien ein Bild von dem geistigen Schaffen ihres Landsmannes, dem
das norddeutsche Publikum trotz einiger Bühnenerfolge ziemlich ver¬
ständnißlos gegenübersteht. Freilich, „wer den Dichter will verstehen,
muß in Dichters Lande gehen,“ er muß ihn mit dem Gemüth er¬
fassen. Dazu den Weg zu zeigen, gelang der Vortragenden vortrefflich.
Selber ein Wiener Kind, hat sie in dem Milieu des „Jungen=Wien“
gelebt, und mit wenigen feinen Strichen vermochte sie die Eigenart
dieses Kreises zu fkizziren: Hofmannsthal, der zartsinnige Symbolist,
Bahr, der Satiriker, Hirschfeld, der Humorist, Altenberg, der
sensitive Stimmungsmensch, und endlich Schnitzler, der potenzirte
Oesterreicher. Sie sind Realisten, aber keine von der derben
Sorte, die Heimath ihrer Seele ist Griechenland, sie sind
Schönheitssucher. Ihre Poesie ist eine Mischung aus romanisch¬
slawisch=orientalischen Einflüssen, wie sie das moderne Oesterreich
kennzeichnen. Sie haben etwas den Franzosen Verwandtes. Wie
diese sind sie Planderer, vor allem hat Schnitzler die Grazie der
Form. Eine weiche Müdigkeit liegt über seinen Schöpfungen, von
denen jede ein Stück Selbstbiographie ist. „Einen leichtsinnigen Me¬
lancholiker“ nennt er sich einmal darin. Er liebt die matten, feinen,
subtilen Farben. Der nüchterne Verstandesmensch nennt ihn leicht
weibisch, aber er ist nur sensitiv. Allerdings, die großen, neuen
Probleme gehen ihn nichts an, seine Dichtungen haben nur einen In¬
halt: die Frau, aber nicht die ringende, kämpfende, nur die liebende.
Seine Heldinnen sind immer die kleinen, süßen Mädel der Wiener
Vorstadt oder verheirathete Weltdamen, die Trost für ihre Herzens¬
leere im Bruch der ehelichen Treue suchen.
Es ist ein Instrument mit einer Saite, das Schnitzler spielt, aber
er weiß ihm sympathische Klänge von wehmüthigem Neiz zu
entlocken. Auch wenn er das Intimste erzählt, bleibt er
immer grazios und wird nie unzüchtig. Mit seinen ersten Arbeiten
trat Schnitzler 1886 hervor. Es war das Märchen „Alcantils Lied“
dann folgte das „Märchen von den Gefallenen“, in dem der Held alle
alten Vorurtheile überwunden hat und ihnen doch beim ersten Ver¬
such in der Praxis unterliegt. Das Drama „Freiwild“ behandelt
das Quellmotiv in einem meisterhaft geschilderten Milien. Nun folgte
„Liebelei“, die Tragödie des Mädchens aus dem Volke, vielleicht des
Mädchens überhaupt. Es begründete Schnitzlers Ruf und wurde in
die verschiedensten Sprachen übersetzt. Das folgende „Vermächtniß“ ist
ein schwaches Stück. „Die Gefährtin“ dagegen voll Feinheit und Ele¬
ganz. In „Paracelsus“ sind die Farben etwas stark aufgetragen,
großen Bühnenerfolg hatte die sozialpolitische Burleske „Der grüne
Kakadu“ die trotz der historischen Maske völlig modern wirkt.
Schnitzlers neuestes, noch nicht aufgeführtes Stück nennt sich „Beatrice“
und ist in Versen geschrieben. Ein Mittelding zwischen Buch und
Bühne ist sein „Anatol“, ein Meisterstück genialer Planderei, während
seine „Novellen“ das Problem des Sterbens, des Loslösens des
Lebenden von dem dem Tide Verfallenen, ergreifend schildern.
Leichtsinn und Melancholie, beides weiß Schnitzler zu verklären, der
vielleicht kein Unsterblicher, aber ein eckter Künstler ist. Zum Schluß
las Adele Schreiber drei seiner lyrischen Gedichte und die Szene
„Weihnachtseinkäufe“ aus „Anatol“ vor, und der Beifall, den sie
fand, bewies, daß ihre graziöse, gleichgestimmte Art das Wesen ihres
Landsmannes den Hörern wirklich näher gebracht hatte, obgleich wir
Norddeutschen mehr die frische, klare Morgenluft lieben als den
düfteschweren Hauch schwüler Sommernächte voll banger Todes¬
sehnsucht.
MRATANT
Dr. Max Goldschmidt
0
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion: Norden 3051
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
Prager Presse, Prag
9. Sep. 980
*X Arthur Schnitzlers Spätwerk wird in den
„Preußischen Jahrbuchern" (Vd. 208, Heft 2) von
dem gediegenen Prager Forscher Josef Körner,
Dem Verfasser einer Monographie über Schnitzlers
Gestalten und Probleme, eingehend gewürdigt. Im
Zentrum der Analyse stehen die Dramen „Komödie
der Verführung" und „Der Weg zum Weiher“, so¬
wie die Erzählungen „Fräulein Else" „Traum¬
novelle" und „Die Frau des Richters“ — noch nicht
zur Behandlung gelangt Schnitzlers neueste Schöp¬
fung, „Spiel im Morgengrauen“, während sein
charakterologischer Beitrag „Der Geist im Wort und
der Geist in der Tat“ als freudiges Anzeichen für
des Dichters Einkehr und Aufwärtsstreben gewer¬
tet erscheint. Von den Altersprodukten werden
kenntnisreich die Entwicklungslinien zurückverfolgt
zu jenen Werken, in denen Schnitzlers Poesie und
Weisheit am eindrucksvollsten zur Gestaltung ge¬
langte, so zum „Schleier der Beatrice“, zum „Ein¬
samen Weg“ und zum „Weg ins Freie"; lehrreich
zu verfolgen, wie die einst angeschlagenen Motive
in neuen Variationen ertönen. Schnitzlers Welt ist
durch das Thema der Erotik umgrenzt und ist ty¬
pisches Erzeugnis von Vorkriegsstimmungen, sein
eigentliches Gebiet ist dasjenige eines zeitfernen
Märchens und nu: gering sind die Anknüpfungs¬
punkte zwischen seiner Sphäre und den Tendenzen
der jüngeren Generation. Es ehrt den Dichter,
daß er, von den Zeitläuften unbeirrt, seinem Grund¬
scharakter treu blieb, immerhin lassen sich jedoch,
Körners Ausführungen nach, in Schnitzlers letzten
Werken Momente feststellen, die ihn von dem sexu¬
ellen Determinismus ab= und dem Ethos des
Expressionismus näherbringen, wenn auch natürlich
auch jetzt noch die Fragen der Freiheit und Sitt¬
lichkeit vom einseitigen Standpunkt des Mannes
aus, also gleichzeitig ungerecht und elegisch, beleuch¬
tet erscheinen. Auf dem Gebiet der überpersönli¬
chen Probleme von Krieg und Frieden, von Gott und
sittlichem Kampf weiß Schnitzler nicht viel Neues
zu sagen, intensiver ist seine Beschäftigung mit d.
Heimatsproblem, dessen Behandlung ihn ab.
gelegentlichen antisemitischen Anfeindungen preis¬
gegeben hat. „Das ist in einer deutschen Provinz¬
stadt der Tschechoslovakei geschehen", heißt es in
einer um ihres Abdruckes in den Preußischen Jahr¬
büchern willen beachtenswerten Fußnote, „und war,
angesichts des ganz andern Respekts, den die Tsche¬
chen allem Geistigen darbringen, für das deutsche
Volk in diesem Staate außerordentlich beschämend.
+ Sutien „n