VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 15

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1. 50th Birthdar
Klose & Seidel
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Taseblaft
Zeitung:—
Mahnheim
Or: 4—
Datum: —

gendphilister das Drama Das Vermachenes
erlich drei Püppenspier=Ernarrek,
Artur Schnitzler.
und drei Einakter, von denen die starke Revolutions¬
die nun folgen, und der Novellenzyklus
Zum 50. Geburtstage am 15. Mai.
szene Der grüne Kakadu am berühmtesten ge¬
seelen gehören innerlich zusammen:
worden ist, während die unendliche seelische Armut
der Dichter ganz ins Uebersinnliche, Un
(Der nun die volle Höhe des Lebens ersteigt, ist
des ersten Stückes: Paracelsus, nur wenigen Er¬
wie er es schon einmal im Paracelsus
er größte Dichter, den Oesterreich seit Grillparzer
wählten etwas zu sagen hatte. Feine Novellen ran¬
Nun kommt der einzige große R
besessen hat.
ken sich dazwischen: die ergreifende Studie Ster¬
Schnitzler geschrieben hat, Der Wegi
Oesterreich! Es gibt aber viele, die meinen:
ben, die zarten Arbeiten, die unter dem Titel Die
ein überreiches Werk, in dem Menschen
Deutschland, die Welt, besitzen heute keinen edleren.
Fraudes Weisen gesammelt worden sind — für
Gedanken so dicht gedrängt stehen, daß
Doch soll diese Meinung keinem aufgedrängt werden.
viele das Schönste, was Schnitzler geschrieben hat.
fast die Luft wegnehmen. Zum erstenma
Es gibt vielleicht Stärkere, Herbere, Brutalere, als
Es folgen die scharf gewürzten, aus früherer Zeit
Jude Schnitzler von den Juden sprechen
diesen, in dem sich österreichisches und jüdisches Blut
stammenden, zunächst nur für einen engen Freun¬
von den Juden der Wiener Gesellschaft,
zur feinsten Mischung vereint hat; kaum aber einen
deskreis bestimmten Dialoge: Reigen. Mit dem
er groß geworden ist. In allen seinen
Zarteren, einen Musikalischeren im seelischen Sinn.
Schleier der Beatrice,
einem Renaissance¬
dramen zwar hatte er sie geschildert, aber
Kaum einer kennt die Psyche des Menschen besser als
drama, hat Schnitzler zum erstenmal das Gebiet der
mal sprach er es aus, daß es Juden war
er. Wie alles Seelische aus allem Körperlichen
großen Tragödie betreten. „Treulos wie die Welle“
sie zu der Kultur ihrer Zeit standen. W
kommt und ins Körperliche zurückkehrt, weiß keiner
konnte er, mit Shakespeare, unter das Bildnis seiner
späten Zeiten einmal etwas über die vor#
besser als er, der Arzt. Draußen im Reich achtet,
Heldin schreiben. Abermals Einakter: Lebendige
ner jüdische Gesellschaft wird erfahren wi
schätzt, bewundert man ihn. Wie sehr man ihn auch
Stunden, ein paar Novellen: Die griechische
ist sie mit Flaubertscher Eindringlichkeit
lieben muß, weiß wohl nur der am besten, der Blut
Tänzerin, ein unendlich zarter, kleiner Frauen¬
Kein „Wiener“ Roman — nur ein kleine
von seinem Blute ist.
roman aus der österreichischen Provinz: Frau
Wiens, doch vollendet in seiner Art.
Die Liebelei ist sein populärstes Werk gewor¬
Berta Garlan. Und nun sammelt er sich zu
Schnitzlers Begabung geht nicht in
den; über alle Bühnen ist es gegangen, sogar ver¬
dem Werke, das mir sein tiesstes und edelstes scheint,
sondern in die Tiefe. Was sein Geist erf
opert hat man es neuerdings. (Nebenbei bemerkt,
gleichviel, ob man es liest oder von der Bühne her¬
läßt er nicht mehr los. Und doch ist sein
sind noch zwei Werke Schnitzlers musikalisch bearbei¬
unter (mit Albert Bassermann in der Hauptrolle)
bei aller Schärfe gütig, seine leise, iro
zet worden: Der tapfere Kassian durch Oskar Straus,
auf sich wirken läßt: Der einsame Weg, die
mütig=schmerzliche Art steht über den D
Der Schleier der Pierrette, der Grundentwurf zum
Tragödie der stolz alternden Egoisten, auf die sich
er will auch, daß man sich liebevoll in sein
Schleier der Beatrice durch Ernst v. Dohnänyi.) Un¬
die einst freigewählte Einsamkeit als schwerste
senke, und darum haben manche seiner
beschreiblich war die Wirkung, die von diesem zar¬
Bürde legt.
beiten im Rampenlicht nicht das Glück
ten, frischen, warmen Stück ausging, als Max Burck¬
sie verdient hätten. Es ist unmöglich, alle
hardt es — als unerhörtes Wagnis — auf die Bühne
sein Lebenswerk zu sagen wäre, in de
des Burgtheaters brachte, zum Entsetzen aller Stifts¬
Das ergreifende Ehedrama Zwischenspiel
eines kurzen Zeitungsartikels zusammen
damen. Wie blaß ist Halbes Jugend geworden, die
ist dem neuesten Stück Schnitzlers, Das weite!
unmöglich und vermessen. Manche Saat,
zur selben Zeit eiwa beinbelt wurde! Aber die Lie¬
Land, durchaus verwandt: hier wie dort ein Ehe¬
hat, ist noch gar nicht alfgegangen.
belei blieb frisch, weil ihr Dichter sich nicht in ihr
paar in den schwersten Kämpfen innerer Trennung,
schönsten Werke sind allzu wenig gewürd
erschöpft hatte, weil noch viel Schöneres und Kraft¬
inneren Sichfindens und Auseinandergehens. Im
sten von geringeren, die leichter zum gro
volleres nachkam. An ihr hatte sich die dichterische
Grunde ist es nur der Mann, dessen Seele so weit
kum sprechen. Er steht auf der vollen
Macht ihres Schöpfers nicht zu Tode geblutet, son¬
ist, daß die Liebe zu einer Frau allein sie nicht er¬
Kraft und hat uns noch seine ganze ger
dern erst neue Kräfte durch sie gewonnen.
füllen kann: die Frau wird durch seine Haltung in
heit zu geben. Darum soll man ihm an
Schnitzler ist übrigens schon vorher einmal
den Ehebruch hineingetrieben, und nun erst gehen die
nicht danken, denn die besten Gaben ko
„durchgefallen“. Sein Märchen, das Drama einer
beiden einander völlig verloren, die sich im Grunde
leicht noch. Aber man darf ihm zu sein
Gefallenen, über deren Schicksal kein Mann hinweg
lieben. Das ältere Stück will mir als das stärkere
sten Geburtstage wohl sagen, wie sehr mna
kommt, um das Hebbelsche Wort zu gebrauchen, hatte
scheinen, die Menschen leben und weben in einer in¬
das Entsetzen aller Wohlmeinenden erregt, nicht
teressanteren Atmosphäre als in dem späteren
minder als der reizende Zyklus Anatol, der da¬
Drama, das in viel flacheren Gesellschaftskreisen
mals nur als Buch lebte — denn kein Theaterdirek¬
Das süße Mädel.
spielt. Der Rusdes Lebens, der auf das Zwi¬
tor hätte gewagt, ihn zu spielen. Es folgten Frei¬
schenspiel folgt, hat eine gleiche Zeitatmosphäre wie
Es stammt vom Gretchen ab, wenn
wild, ein Drama, das sich mit der Stellung des
später das historische Drama Derjunge Medar¬
Züge auf eine nahe Verwandtschaft mit
Offiziers zum Duell beschäftigt, eine Frage, die spä¬
]dus. Das Säbelgerassel der Freiheitsbelden ist die
chen und auch mit der Luise Millerin
ter in der Novelle Leutnant Gustl wiederkehrt,
Begleitmusik beider Stücke. Wieder scheint mir das
Aber für Wien ist der Typus von Artug
wie man denn die Beobachtung machen kann, daß
ältere, der Ruf des Leben, das bedeutendere zu sein.
ler ein für allemal festgelegt worden.
viele der Schnitzlerschen Werke paarweise zusammen¬
Bei der Berliner Uraufführung hat man aber das
Tagen, da er seinen fünfzigsten Geburt
gehören. Nebenbei bemerkt, hat diese letztere, an¬
Seltsam=Romantische, Hoffmannesk=Spukhafte des¬
mag es am Platze sein, einiges über seine
geblich antimilitärische Novelle schuld gehabt, daß selben so wenig verstanden, daß es zu einem argen
Figur, über das Wiener süße Mädel zu
Schnitzler jahrelang vom Hofburgtheater boykottiert:
Theaterskandal kam. Viel später erst gelang es einer ! Anatol, jener Sammlung lebensprühende
wurde. Es folgt als grimmiger Hohn auf die Tu= Wiener Aufführung, es zu rehabilitieren.
die 1893 erschien und deren einige in das
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