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1. 50th Birthdar
pertoire der deutschen Bühnen aufgenommen worden
Puppenspiel=Einaetel, Marionetten,
sind, findet sich der Ausdruck zum erstenmal. Dort
und der Novellenzyklus Dämmer¬
stellt der Dichter das süße Mädel in beabsichtigten
ken innerlich zusammen: hier taucht
Gegensatz zur Dame der bürgerlichen Gesellschaft,
inz ins Uebersinnliche, Unterbewußte,
die ihren Herzensneigungen gern gefolgt wäre,
n einmal im Paracelsus tat.
wenn sie den Mut aufgebracht hätte. Das süße Mä¬
kt der einzige große Roman, den
del aber, das aus der Enge eines dürftigen Haus¬
brieben hat, Der Weg ins Freie,
haltes kommt, den es gewiß als Ladenmamsell oder
Werk, in dem Menschen, Schicksale,
Kontoristin mit bestreiten hilft, hat diesen Mut —
icht gedrängt stehen, daß sie einander
oder diesen Leichtsinn — ganz wie man will.
egnehmen. Zum erstenmal wollte der
r von den Juden sprechen, und zwar
n der Wiener Gesellschaft, unter denen
Dem süßen Mädel sitzt die unstillbare Sehnsucht
lden ist. In allen seinen Gesellschafts¬
sein wie die
nach Liebe, mag sie auch vergänglich
hatte er sie geschildert, aber zum ersten¬
Schönheit eines Maisonntags im Wienerwald, tief
kes aus, daß es Jnden waren und wie
im warmen Herzen; sie fragt nicht nach Schmuck,
ur ihrer Zeit standen. Wenn man in
Toiletten oder gar Automobil, und gänzlich fern
inmal etwas über die vornehme Wie¬
liegt ihr der Wunsch nach einer eigenen Wohnung,
sellschaft wird erfahren wollen — hier
dem Ideal ihrer Pariser Kollegin. Was sie von dem
Gefährten ihrer blühenden Tage verlangt, das ist
Roman — nur ein kleiner Ausschnitt
Liebe und wieder nur Liebe. Tief beglückt ist sie,
llendet in seiner Art.
wenn sie an seinem Arme über blumige Frühlings¬
Begabung geht nicht in die Breite,
wiesen streifen kann, und führt er sie abends in ein
Tiese. Was sein Geist erfaßt hat, das
bescheidenes Gasthaus, so wird sie auf der Speisekarte
kehr los. Und doch ist sein Sondieren
gewiß gleich unten nachsehen, wo die billigen Speisen
egütig, seine leise, ironische, weh¬
verzeichnet sind. Daß er, der einer höheren Gesell¬
iche Art steht über den Dingen. Aber
schaftsklasse entstammt, Offizier ist oder Beamter,
aß man sich liebevoll in sein Werk ver¬
Doktor oder wenigstens Student in späteren Se¬
um haben manche seiner späteren Ar¬
mestern, sie niemals heiraten wird, das weiß sie.
mpenlicht nicht das Glück gehabt, das
Aber sie weiß auch, daß die nachsichtige Auffassung
ten. Es ist unmöglich, alles, was über
ihres Kreises ein Gretchenschicksal nicht befürchten
erk zu sagen wäre, in den Rahmen
läßt. Will sie nachher noch heiraten, so findet sich.
Zeitungsartikels zusammenzudrängen:
immer ein Gevatter Schneider oder Handschuh¬
vermessen. Manche Saat, die er gesät
macher, der ihr das nicht weiter nachträgt, worüber
ar nicht allfgegangen. Einige seiner
nach Hebbels strengerer norddeutscher Auffassung
e sind allzu wenig gewürdigt auf Ko¬
„kein Mann hinwegkommt“. Ist Egmont von der
geren, die leichter zum großen Publi¬
Szene getreten, so nimmt Brackenburg freundwillig
Er steht auf der vollen Höhe seiner
seine Stelle ein. Im Elternhause wird die „Bekannt¬
uns noch seine ganze gereifte Weis¬
schaft“ freilich nicht gern gesehen, aber oft als etwas
Darum soll man ihm auch noch gar
Unvermeidliches hingenommen. Keineswegs braucht:
denn die besten Gaben kommen viel¬
das süße Mädel mit dem Verstoßenwerden zu rech¬
ber man darf ihm zu seinem fünfzig¬
nen. Alles versteh'n, heißt alles verzeih'n, und die
ge wohl sagen, wie sehr man ihn liebt
Mutier der Mizzi oder der Josefin hat wohl im
L. Andro¬
Laufe der eintönigen kleinbürgerlichen Ehejahre die
kurzen Freuden ihrer Jugend nicht so vollständig
vergessen, um sie ihrer Tochter als Todsünden anzu¬
Das süße Mädel.
kreiden. Seitener findet sich der Vater drein, und
immerhin mag der alte Musikus in Schnitzlers Lie¬
nahe Verwandtschaft mit dem Klär¬
belei mit seinem liebevoll=entschuldigenden Begreifen
mit der Luise Millerin hinweisen.
als Ausnahme gelten, wenn auch seine Christine in
ist der Typus von Artur Schnitz¬
der Wärme und Ursprünglichkeit ihrer hingebenden
allemal festgelegt worden. In diesen
Empfindung die Reinkultur des süßen Mädels dar¬
seinen fünfzigsten Geburtstag begeht,
stellt. Ihre Gegenspielerin, die heiter=kecke und so
atze sein, einiges über seine populärste
gar nicht sentimentale Schlagermizzi wäre in Mün¬
s Wiener süße Mädel zu sagen. Im
chen, in Berlin, in Köln ebenso gut möglich — Chri¬
Sammlung lebensprühender Dialoge,
n und deren einige in das ständige Re¬ stine ist reinstes Wiener Blut.
Indes hat der Begriff des süßen Mädels, soball
er aus dem engen Kreise der Literatur heraustra¬
und volkstümlich wurde, seinen Charakter sehr ver¬
ändert. Das Wiener süße Mädel wurde das hübsch¬
unbedenkliche Mädel der Großstadt schlechtweg, de
Ausdruck wurde so verallgemeinert, daß die feine
aber sehr bestimmten Linien des Schnitzlersche
Typus verloren gingen. Und wenn die Dichter de¬
bekannten Operette Das süße Mädel im beste
Librettistendeutsch versicherten:
Das ist das süße Mädel,
so wie es akkurat
in seiner besten Laune
der Herrgott g’schaffen hat,
so verschlug es nichts mehr, daß dieses süße Mäde
zufällig den Beruf einer — Masseuse ausübte. Da
süße Mädel war ein Modewort geworden, das heut
in Wien längst außer Gebrauch gekommen ist. Ma¬
kennt es wohl noch als Firma eines nächtliche
Weinlokales; um vom süßen Mädel in seiner einst
gen Bedeutung reden zu hören, wird man weit i
die Provinz reisen müssen. Aber mag heute auch da¬
Wort abgegriffen und fast verschollen sein, das Urbil
lebt in tausend und abertausend anmutigen Vertre
terinnen fort. Jeder Wiener kennt es, und mi
unter mag es sich in seinem holden Reize auch der
Fremden offenbaren, wenn er ein Sonntagskind ie
Nur darf er das süße Mädel nicht suchen wolle
genau so wenig, wie man vierblättrigen Klee suche
darf.
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pertoire der deutschen Bühnen aufgenommen worden
Puppenspiel=Einaetel, Marionetten,
sind, findet sich der Ausdruck zum erstenmal. Dort
und der Novellenzyklus Dämmer¬
stellt der Dichter das süße Mädel in beabsichtigten
ken innerlich zusammen: hier taucht
Gegensatz zur Dame der bürgerlichen Gesellschaft,
inz ins Uebersinnliche, Unterbewußte,
die ihren Herzensneigungen gern gefolgt wäre,
n einmal im Paracelsus tat.
wenn sie den Mut aufgebracht hätte. Das süße Mä¬
kt der einzige große Roman, den
del aber, das aus der Enge eines dürftigen Haus¬
brieben hat, Der Weg ins Freie,
haltes kommt, den es gewiß als Ladenmamsell oder
Werk, in dem Menschen, Schicksale,
Kontoristin mit bestreiten hilft, hat diesen Mut —
icht gedrängt stehen, daß sie einander
oder diesen Leichtsinn — ganz wie man will.
egnehmen. Zum erstenmal wollte der
r von den Juden sprechen, und zwar
n der Wiener Gesellschaft, unter denen
Dem süßen Mädel sitzt die unstillbare Sehnsucht
lden ist. In allen seinen Gesellschafts¬
sein wie die
nach Liebe, mag sie auch vergänglich
hatte er sie geschildert, aber zum ersten¬
Schönheit eines Maisonntags im Wienerwald, tief
kes aus, daß es Jnden waren und wie
im warmen Herzen; sie fragt nicht nach Schmuck,
ur ihrer Zeit standen. Wenn man in
Toiletten oder gar Automobil, und gänzlich fern
inmal etwas über die vornehme Wie¬
liegt ihr der Wunsch nach einer eigenen Wohnung,
sellschaft wird erfahren wollen — hier
dem Ideal ihrer Pariser Kollegin. Was sie von dem
Gefährten ihrer blühenden Tage verlangt, das ist
Roman — nur ein kleiner Ausschnitt
Liebe und wieder nur Liebe. Tief beglückt ist sie,
llendet in seiner Art.
wenn sie an seinem Arme über blumige Frühlings¬
Begabung geht nicht in die Breite,
wiesen streifen kann, und führt er sie abends in ein
Tiese. Was sein Geist erfaßt hat, das
bescheidenes Gasthaus, so wird sie auf der Speisekarte
kehr los. Und doch ist sein Sondieren
gewiß gleich unten nachsehen, wo die billigen Speisen
egütig, seine leise, ironische, weh¬
verzeichnet sind. Daß er, der einer höheren Gesell¬
iche Art steht über den Dingen. Aber
schaftsklasse entstammt, Offizier ist oder Beamter,
aß man sich liebevoll in sein Werk ver¬
Doktor oder wenigstens Student in späteren Se¬
um haben manche seiner späteren Ar¬
mestern, sie niemals heiraten wird, das weiß sie.
mpenlicht nicht das Glück gehabt, das
Aber sie weiß auch, daß die nachsichtige Auffassung
ten. Es ist unmöglich, alles, was über
ihres Kreises ein Gretchenschicksal nicht befürchten
erk zu sagen wäre, in den Rahmen
läßt. Will sie nachher noch heiraten, so findet sich.
Zeitungsartikels zusammenzudrängen:
immer ein Gevatter Schneider oder Handschuh¬
vermessen. Manche Saat, die er gesät
macher, der ihr das nicht weiter nachträgt, worüber
ar nicht allfgegangen. Einige seiner
nach Hebbels strengerer norddeutscher Auffassung
e sind allzu wenig gewürdigt auf Ko¬
„kein Mann hinwegkommt“. Ist Egmont von der
geren, die leichter zum großen Publi¬
Szene getreten, so nimmt Brackenburg freundwillig
Er steht auf der vollen Höhe seiner
seine Stelle ein. Im Elternhause wird die „Bekannt¬
uns noch seine ganze gereifte Weis¬
schaft“ freilich nicht gern gesehen, aber oft als etwas
Darum soll man ihm auch noch gar
Unvermeidliches hingenommen. Keineswegs braucht:
denn die besten Gaben kommen viel¬
das süße Mädel mit dem Verstoßenwerden zu rech¬
ber man darf ihm zu seinem fünfzig¬
nen. Alles versteh'n, heißt alles verzeih'n, und die
ge wohl sagen, wie sehr man ihn liebt
Mutier der Mizzi oder der Josefin hat wohl im
L. Andro¬
Laufe der eintönigen kleinbürgerlichen Ehejahre die
kurzen Freuden ihrer Jugend nicht so vollständig
vergessen, um sie ihrer Tochter als Todsünden anzu¬
Das süße Mädel.
kreiden. Seitener findet sich der Vater drein, und
immerhin mag der alte Musikus in Schnitzlers Lie¬
nahe Verwandtschaft mit dem Klär¬
belei mit seinem liebevoll=entschuldigenden Begreifen
mit der Luise Millerin hinweisen.
als Ausnahme gelten, wenn auch seine Christine in
ist der Typus von Artur Schnitz¬
der Wärme und Ursprünglichkeit ihrer hingebenden
allemal festgelegt worden. In diesen
Empfindung die Reinkultur des süßen Mädels dar¬
seinen fünfzigsten Geburtstag begeht,
stellt. Ihre Gegenspielerin, die heiter=kecke und so
atze sein, einiges über seine populärste
gar nicht sentimentale Schlagermizzi wäre in Mün¬
s Wiener süße Mädel zu sagen. Im
chen, in Berlin, in Köln ebenso gut möglich — Chri¬
Sammlung lebensprühender Dialoge,
n und deren einige in das ständige Re¬ stine ist reinstes Wiener Blut.
Indes hat der Begriff des süßen Mädels, soball
er aus dem engen Kreise der Literatur heraustra¬
und volkstümlich wurde, seinen Charakter sehr ver¬
ändert. Das Wiener süße Mädel wurde das hübsch¬
unbedenkliche Mädel der Großstadt schlechtweg, de
Ausdruck wurde so verallgemeinert, daß die feine
aber sehr bestimmten Linien des Schnitzlersche
Typus verloren gingen. Und wenn die Dichter de¬
bekannten Operette Das süße Mädel im beste
Librettistendeutsch versicherten:
Das ist das süße Mädel,
so wie es akkurat
in seiner besten Laune
der Herrgott g’schaffen hat,
so verschlug es nichts mehr, daß dieses süße Mäde
zufällig den Beruf einer — Masseuse ausübte. Da
süße Mädel war ein Modewort geworden, das heut
in Wien längst außer Gebrauch gekommen ist. Ma¬
kennt es wohl noch als Firma eines nächtliche
Weinlokales; um vom süßen Mädel in seiner einst
gen Bedeutung reden zu hören, wird man weit i
die Provinz reisen müssen. Aber mag heute auch da¬
Wort abgegriffen und fast verschollen sein, das Urbil
lebt in tausend und abertausend anmutigen Vertre
terinnen fort. Jeder Wiener kennt es, und mi
unter mag es sich in seinem holden Reize auch der
Fremden offenbaren, wenn er ein Sonntagskind ie
Nur darf er das süße Mädel nicht suchen wolle
genau so wenig, wie man vierblättrigen Klee suche
darf.
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