VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 25

box 39/1
1. 5oth Birthday
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungeaussehnitte.
Berlin NO. 43, Georgenkirebplatz 211
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierteste Bureau Deutachlands.)
General-Anselser
Zeitung
On. MIinbers-Pürin
Datum: —
14.Mal
Arthur Schnitzler.
Zum 50. Geburtstag des Dichters am 15. Mai.
Axthur Schnitzler! Beim Klange dieses Namens wird eine
Welt lebendig. Nicht die Welt des ewigen Kampfes um die
Existenz mit ihren Klippen und Untiefen, sondern die Welt
der glättenden Gesellschaft, einer sohr feinen, sohr galanten
und sehr, sehr kulturellen Gesellschaft. Nur in Wien konnte
auf dem Boden des deutschen Sprachgebiets die Schnitzlersche
Kunst gedeihen, wo seit des Minnesanges goldenen#
Jahrhunderte ihre mildernde Macht geübt, wo man unendlich
sein empfinden kann und doch, wenn der Schmerz fast die Brust
zersprengt, das resignierte Lächeln des Vielerfahrenen zur Schau
trägt. Diese jungen Lebemänner, oberflächlich und herzlich,
gemütlich und vornehm, von Genuß zu Genuß eilend und doch
nie befriedigt; diese blasierten Aristokraten, diese nervenreichen
Künstler; dieses ewig „süße Mädel“ und diese ewig unverstan¬
dene und abwechslungsgierige Frau, wie wir sie bei Schnitzler
imme wieder finden und lieben, sie sind rechte
Wiener Typen,
von einer Meisterhand herausgegriffen aus dem frisch pul¬
sierenden Leben der Donaustadt. Wien hat stets seine Kinder
an sich zu halten vermocht. Wiener Dichter sind zumeist auch
die Dichter Wiens geworden. Es hat ihrer schon viele vor
Schnitzker gegeben, und viele wirken neben ihm. Und doch ist
es ein gewisses Etwas, das seine Schöpfungen aus allen anderen
Produkten des Wienerischen Geistes heraushebt. Ein Walzer
von Strauß, eine Rolle von Girardis und ein Einakter Schnitz¬
lers — Blumen desselben Beetes und doch wie verschieden an
Farbe und Duft! Was bei Schnitzler fehlt, ist das Rührselig¬
Sentimentale, das Beschränkt=Spießbürgerliche, das sonst zum
Wienertum zu gehören scheint. Die Befreiung von ihm ver¬
dankt er seinem großen französischen Meister. Bei aller Leiden¬
schaft seiner Personen ist Schnitzler kühl; der Gegensatz zwischen
Mann und Weib ist ihm nicht, wie Strindberg, eine Tragödie,
die Schauer und Mitleid fordert, sondern gewissermaßen ein
Fechten, bei dem sich schlanke Klingen elegant kreuzen, bei dem
aber bisweilen doch der Stich trifft, und dann gewöhnlich tief
ins Herz. Daß Schnitzler so vollkommen über den Dingen
steht, die er dichtet, bewirkt es, daß er am meisten von allen
jüngeren Deutschen das Attribut „klassisch“ verdient, und daß
jede Seite und jede Szene von ihm, auch in seinen schwächeren
Werken, den Eindruck bestätigt, daß hier ein Großer zu uns
spricht.
Sein Lebensgang.
Arthur Schnitzler, am 15. Mai 1862 in Wien goboren, ist der
Sohn des geschätzten Laryngologen Professor Johann Schnitz¬
ler und selbst von Hause aus Arzt. In der modernen Literatur
spielt der Arzt eine bedeutsame Rolle, hat einmal Georg Bran¬
des bemerkt. Zunächst als Dargestellter; man denke an Doktor
Stockmann und seine Kollegen; aber nicht minder als Schaffen¬
der. Ein merkwürdiger Zufall hat es so gefügt, daß heute die
beiden stärksten Dramatiker Oesterreichs Aerzte sind: Dr. Arthur
Schnitzler und Dr. Karl Schönherr. Die beiden sind sonst die
Harr
wundervolle Komödie „Zwischenspiel“ (1905), in Berlin
wie in Wien gleichmäßig abgelehnt werden konnte, ist mehr ein
Beweis dafür, wie schwer sich oftmals Dichter und Hörer finden.
Zwei Eheleute, die sich einander nicht mehr genügen, glauben
auf Grund eines Pakts, der jedem seine volle Freiheit läßt,
doch weiter nebeneinander leben zu können. Aber die neu
Form der „Ehe“ scheitert an der Macht des Blutes und der
Gewohnheit. Die Tragikomödie der Ehe ist auch im „Weiten
Land“ vom vorigen Jahre dargestellt; zwei Menschen, die sich
lieben und die sich hintergehen müssen, bis die Kugel des be¬
trogenen Gatten das viereckige Verhältnis sprengt.
Was uns Schnitzler in den zwanzig Jahren seines Schaffens
geschenkt hat, ist unendlich viel und unendlich kostbar, und
doch stoht er heute erst auf der Höhe seines Lebens. So dürfen
wir ven dem Wiener Pocten gewiß noch manches Meisterwerk
erhofffn.
gaut#ne