VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 27

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1. Soth Birthdav
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungeausechnitte.
Berlin NO. 43, Georgenkirehplats 21:
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorgaalsiertieste Burenn Dentschlands,)
Neatee“
Zeitung
Danzig
Ort: —
Datum:
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hat viel zu erklären an der Psychologie der Alltags=1
erscheinungen und an den sozialen Problemen. Ersd
Arthur Schnitzler.
beleuchtet, demonstriert sie in seinen dichterischen!t
Zu seinem 50. Geburtstag, 15. Mai.
Gestalten, aber er entwirrt sie nicht, gibt nicht dief
Den Reigen der 50jährigen Dichterjubilare in
diesem Jahrel eröffnet der Wiener Arzt Arthur Lösung. Schnitzler analysiert — immer mehr sein
als tief — das Seelengewebe des modernen Men¬
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schen, die Widersprüche, die jene Knoten im Seelen¬
Schnitzlex, der dramatisierende Novellist. Als
leben bilden, um die das Schicksal kreist, die die
ausgeprägtel Persönlichkeit steht er in der deutschen
Lebensorganismen beeinflussen bis es sich da ent¬
Literatur; die ferneren Jahre werden nicht mehr
kräuselt, bis es dort zur Blutlaufhemmung kommt,
viel dazuzugeben und nicht mehr viel davon weg¬
zunehmen haben. Er besitzt in gesteigertem Maßel
jene Wiener Art, die mit der sinnlichen Genuß= die den Pulsschlag des Lebens anhält. Schnitzler
freudigkeit des Aestheten, mit einer Dosis Skepsis begnügt sich aufzudecken, die Analyse zu geben, er
und einem bißl Frivolität und liebenswürdig=sgreift nicht ein, um zu ändern, die Entwicklung zu
grober Offenheit im Leben steht. Es ist nicht ein dirigieren und aus der Verwicklung herauszukom¬
Uebermaß von Temperament, das ihn wie z. B. Heresmen. Man hat fast immer den Eindruck von einer
mann Bahr bald in diese bald in jene Richtung gewissen Müdigkeit von Temperamentsmangel, der
den Dichter am Zupacken. Eingreifen, Gestalten, am
akt.ven Miterleben der Konsequenzen hindert. Das
trieb und ihn in leidenschaftlicher Branseköpfigkeit
wacht ihn denn auch leis und leiser, das dämpft den
für Hinz und Kunz und ständig wechselnde Götter
Ton und Klang seiner Gefühle, Gedanken, Worte,
Partei ergreisen ließ. Mit dem ersten Werke schon
das deckt seine Farben die sich zu wundervollen
stand er bereits mit beiden Füßen auf seinem Weg,
Nuancen verfeinern und die Sensibilität des Stim¬
und es war ein ständiges, dem Anschein nach tän¬
mungscharakters steigern. Freilich, die Dramatikg
delndes, im Grunde aber energisch zähes Fortschrei¬
geht kräftiger ins Zeug.
ten. In sein weiches, leichtes Wiener Blut mischte
Die Kontrafte erfordern mehr Bildnerei als
sich die Schwermut des Stimmungsmenschen.
Malerei. Schnitzler bleibt darum im Grunde immer
Arthur Schnitzler ist ein Stimmungsmaler von
Novellist. Die Novelle bevorzugt die Tönung, die
tausendfältiger Nuance, von feinen Uebergängen,
Nuance, die Stimmung, die Lyrik — auch mehr die
von spielerischer Anmut und erlesenem Kunst¬
Objektivität wie sie Schnitzler immer innezuhalten
geschmack. Aber er versinkt nicht in die Stimmung,
sucht. Von „Arnold“ seinem Erstlingswerk, über
er schankelt auf dem leisen Wellenspiel. Sein Ver¬
„Liebelei“, „Freiwild“, „Die Gefährtin“, „Reigen“!
stand hält die Ruder, damit ihn die Woge nicht über¬
„Schleier der Beatrice“, „Der einsame Weg“
rascht. Er liebt sie nicht — Wogen und Sturm. Er
„Zwischenspiel“ usw. bis zu seinem letzten Stück sind
ist zu müd, zu gefühlskühl dazu. Er banat nicht vor
es Lebensbilder, Seelengemälde, die er entsaltet mit
der Leidenschaft, weil sie ihn niederringen könnte,
sie ist ihm kein drohendes Element, das er sucht, weil zer Feinheit und Klarheit des Novellisten. Aber
sein Blut es braucht. Er steht immer so ein wenia Schnitzler besitzt die Kraft des Wortes, sein bestricken¬
außerhalb vo# allem. Seine Gestalten sind nicht sofzer Dialog macht die eigentliche Handlung entbehr¬
eigentlich Fleisch von seinem Fleische, Blut von sei¬
nem Blute. Er ruft sie in den Dämmerstunden seinerlich, nebensächlich. Die plastische Gestaltungskraft
des Dramatikers setzt sich bei ihm in der Dialog¬
führung durch. Hier gewinnt alles lebendigstes
Stimmungsträumereien, nicht um sich mit ihnen zu
Leben, das den Dichtungen Nerv und Blut, Wahr=
verschmelzen, in ihnen zu leben, nein, als Arzt das
heit und Kraft gibt und ihnen jene Wirkung sichert####
Sezieren gewohnt, nimmt er das scharfe Messer
die dem wahrhaften Kunstwerk eignet.
keines Verstandes und löst sie aus dem Bild der
Inspiration, präpariert sie, gibt ihnen seine Gedan¬

ken und stellt sie in ein erdachtes konstruiertes
Milien. Sie handeln weniger, denn Handeln ist
mehr Sache des Gefühls, des Temperaments, sie
sprechen mehr, denn Sprechen ist vorwiegend Sache
des Intellekts. Und der Dichter hat viel zu sagen,