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1. S0thBirthday
Herabsetzung des Pensionsalters. Das laufende Jahr bringt eine
ganze Reihe deutscher Dichter als solche Pensionäre. Artur
Schnitzler eröffnet sie am 15. Mai. Das gibt manche Gelegenheit
zur Rückschau auf die jungen Tage urserer modereien Literatur,
die nun allmählich, im dritten Jahrzeint, dir Jugend entwachsen ist.
Aber daß diese Gelegenheit, im vorliegenhmn wie in den weiteren
Fällen, besonders zur Freude oder auch nue zur Genngtuung stim¬
men könnte, läßt sich kaum behaupten. Man fragt sich: welche
Versprechen hat jene Generation eingelöst, die um 1890 auf den
Plan trat und sich aus den Kräften und Kämpfen der Zeit einen
neuen Inyalt erobern wollte, um der Kunst neue, jenem Inhalt
kongeniale Formen zu bescheren? — Jeder ist seine eigenen Wege
gegangen, mit mehr oder mit weniger Glück, mit mehr oder weniger
Gönnerschaft, mit mehr oder weniger Ehrlichkeit. Aber all diese
eigenen Wege haben doch nur in das Land der Literatur geführt,
in die kleine Welt des Individuums und seiner Klasse, der sie durch
Geburt oder Erfolg zugeteilt waren, über die sich hinauszuschwingen,
um das Volksganze zu überschauen, wohl keinem jener Generation
des Naturalismus gelungen sein dürfte.
Unter dieser Fahne fanden sich im übrigen so viel Köpfe, so
viel dissentierende Sinne zusammen. Auch Schnitzler hat nie im
entferntesten zu den „Konsequenten“ der Schule gehört. Er ist
von Anfang an ein sicherer Virtuos der Bühnentechnik, der über¬
lieferten (selbst der Ibsenschen) gewesen; ein Kultivierer mehr des
geistreichen, gepflegten, als des blutvoll charakterisierenden Dialogs.
Von der starken Morgenbrise sozialen Mitgefühls, die damals
wenigstens in Norddeutschland die Dichtung durchwehte, ließ sich bei
Schnitzler nie ein Hauch verspüren. Seine Perspektive ist nie eine
andere gewesen, als die der gebildeten Wiener Bourgeoisie, die
neben der Bildung noch immer vor dem Wohlstand mindestens
ebenso viel Respekt hat, wie vor der zwar nicht gebildeten, aber
dafür ihr äußerlich um so imposanteren Aristokratie.
Etwas
Hoffnungsloses liegt in der Sattheit und Stagn##n dieser Wiener
Bourgeoisieschicht, die so klug und so ironisch, alr auch so senti¬
mental über sich selbst zu reflektieren versteht, der aber jeder Ge¬
danke an Zukünftiges und an eigene Tatkraft verdorrt zu sein scheint.
Was ihr in ihrer engen Welt der Betrachtung, Entwickelung und
Diskussion würdig bleibt, ist lediglich noch das Verhältnis der Ge¬
schlechter zueinander. Und wenn Schnitzlers und seiner Umwelt
Geschmack ihn auch hierbei vor der kindlichen Animalität der Fran¬
zosen bewahrt, so entfernt er sich wiederum darin nicht gar so weit
von ihnen, daß er seine Probleme dieser Art gewöhnlich dort enden
läßt, wo sie für das spirituellere norddeutsche und nordeuropäische
Empfinden erst recht eigentlich beginnen. Die physische Vereini¬
igung bleibt die Hauptsache, Wort und Gefühl das Beiwerk.
Die nun 16 Jahre alte Szenenfolge „Anatol“ ist Schnitzlers
Lebensklima sozusagen bis heute geblieben. Die Auffassung seiner
dichterischen Mission hat Hofmannsthal, damals noch Loris, in den
Eingangsversen charakterisiert: „Also spiell wir Theater, Spielen
unsre eignen Stücke, Frühgereift und zart und traurig, Dies
Komödie unserer Seele ... Böser Dinge hübsche Formel, Glatte
Worte, bunte Bilder .. .“ Ein Spiel, ein intellektueller Luxus,
den sich ein frühreifer, müder Sinn mit der Welt, seiner Welt
allerdings nur, leisten darf. Diese Welt war im Anfang die des
„süßen Mädels“, das in der Stadt von den jungen Bürgerherren
geliebt und in der Vorstadt von braven Handwerksmeistern ge¬
heiratet wird, wie sich ungefähr dieser Zynismus des Besitzes an
Menschenleben mit unschuldiger Nonchalauce im „Anatol“ aus¬
drückt. Und im „Weiten Land“ von 1911 steht es so wesentlich
anders nicht um das, was die Menschen bewegt. Sie sind zum Teil
älter und bürgerlicher geworden; aber ihres Herzens letztes;
Trachten wird doch von der Frage ausgefüllt, mit wem man dem¬
nächst das Bett teilen wird. Schnitzler durchstreift diese Welt mid
einem sichtbaren und nicht einmal unappetitlichen Wohlbehagen,
und es ist wohlverständlich, wenn seinesgleichen in dieses Wohl¬
behagen mit hineingezogen wird. Denn jede Kunst findet ihr dank¬
bares Publikum bei dem Kreise, der sich in den Werken dieser
Kunst widergespiegelt findet. Daß dies in Schnitzlers Fall nicht
die aufstrebenden Volksschichten sind, bedarf wohl keiner weiteren
Erörterung.
Schnitzlers künstlerische Begabung bleibt auch streng auf jenes
Gebiet beschränkt. Wo er jemals den Versuch gemacht hat, darüber
hinauszugehen, hat er sich starke geiftige und künstlerische Blößen
gegeben. Im „Freiwild“ noch am wenigsten, da hier der Falls
sozialer Vogelfreiheit doch eigentlich nur den Hintergrund zu einer
der vielen Süßen=Mädelgeschichten abgab. Auch der Spott gegen
den aristokratischen Familienstolz in „Komtesse Mizzi“ ist wahr¬
haftig ein kaum noch zeitgemäßes, jedenfalls sehr billiges Ver¬
gnügen. Aber das vorgeblich tragische Motiv eines todgeweihten
eenlit u
Reiterregiments, das, eine alte Scharte auszuwetzen, mit dieser
WVÄRTS. BERLIN
Aussicht in den Krieg geschickt wird (im „Ruf des Lebens"), ist die
Ausschnitt ausf ##le
erschwitzte Heroenstimmung eines Mannes, der eigentlich nur in
Anatols parfümiertem, dämmerigem Musikzimmer zu Hause ist,
das an das Schlafzimmer stößt. Und gar sein Versuch, sich (wie
—
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im „Jungen Mebardus“) mit der Historle einzulassen, zeigt ihn auch
nur wieder als den Dichter des „Anatol“ im Wien von 1809 und
dort auch allenfalls noch glaubhaft. Wi er aber diese Sphäre
Artur Schnitzler.
verläßt, um den männlichen Kampf und die Unbarmherzigkeit des
Kriegsschicksals zu zeigen, da bleibt seiner Phantasie nur die Wah
Die Jubilöumsreife, die früher nicht vor dem 60. Jahre ein¬
treten durfte, hat man nun schon längst auf 50. herabgesetzt, mit zwischen der patriotischen Schulanetdote und dem Dumascher
asc.
einer so wohlwollenden Dringlichkeit, als handle es sich um die Kolportageroman.
1. S0thBirthday
Herabsetzung des Pensionsalters. Das laufende Jahr bringt eine
ganze Reihe deutscher Dichter als solche Pensionäre. Artur
Schnitzler eröffnet sie am 15. Mai. Das gibt manche Gelegenheit
zur Rückschau auf die jungen Tage urserer modereien Literatur,
die nun allmählich, im dritten Jahrzeint, dir Jugend entwachsen ist.
Aber daß diese Gelegenheit, im vorliegenhmn wie in den weiteren
Fällen, besonders zur Freude oder auch nue zur Genngtuung stim¬
men könnte, läßt sich kaum behaupten. Man fragt sich: welche
Versprechen hat jene Generation eingelöst, die um 1890 auf den
Plan trat und sich aus den Kräften und Kämpfen der Zeit einen
neuen Inyalt erobern wollte, um der Kunst neue, jenem Inhalt
kongeniale Formen zu bescheren? — Jeder ist seine eigenen Wege
gegangen, mit mehr oder mit weniger Glück, mit mehr oder weniger
Gönnerschaft, mit mehr oder weniger Ehrlichkeit. Aber all diese
eigenen Wege haben doch nur in das Land der Literatur geführt,
in die kleine Welt des Individuums und seiner Klasse, der sie durch
Geburt oder Erfolg zugeteilt waren, über die sich hinauszuschwingen,
um das Volksganze zu überschauen, wohl keinem jener Generation
des Naturalismus gelungen sein dürfte.
Unter dieser Fahne fanden sich im übrigen so viel Köpfe, so
viel dissentierende Sinne zusammen. Auch Schnitzler hat nie im
entferntesten zu den „Konsequenten“ der Schule gehört. Er ist
von Anfang an ein sicherer Virtuos der Bühnentechnik, der über¬
lieferten (selbst der Ibsenschen) gewesen; ein Kultivierer mehr des
geistreichen, gepflegten, als des blutvoll charakterisierenden Dialogs.
Von der starken Morgenbrise sozialen Mitgefühls, die damals
wenigstens in Norddeutschland die Dichtung durchwehte, ließ sich bei
Schnitzler nie ein Hauch verspüren. Seine Perspektive ist nie eine
andere gewesen, als die der gebildeten Wiener Bourgeoisie, die
neben der Bildung noch immer vor dem Wohlstand mindestens
ebenso viel Respekt hat, wie vor der zwar nicht gebildeten, aber
dafür ihr äußerlich um so imposanteren Aristokratie.
Etwas
Hoffnungsloses liegt in der Sattheit und Stagn##n dieser Wiener
Bourgeoisieschicht, die so klug und so ironisch, alr auch so senti¬
mental über sich selbst zu reflektieren versteht, der aber jeder Ge¬
danke an Zukünftiges und an eigene Tatkraft verdorrt zu sein scheint.
Was ihr in ihrer engen Welt der Betrachtung, Entwickelung und
Diskussion würdig bleibt, ist lediglich noch das Verhältnis der Ge¬
schlechter zueinander. Und wenn Schnitzlers und seiner Umwelt
Geschmack ihn auch hierbei vor der kindlichen Animalität der Fran¬
zosen bewahrt, so entfernt er sich wiederum darin nicht gar so weit
von ihnen, daß er seine Probleme dieser Art gewöhnlich dort enden
läßt, wo sie für das spirituellere norddeutsche und nordeuropäische
Empfinden erst recht eigentlich beginnen. Die physische Vereini¬
igung bleibt die Hauptsache, Wort und Gefühl das Beiwerk.
Die nun 16 Jahre alte Szenenfolge „Anatol“ ist Schnitzlers
Lebensklima sozusagen bis heute geblieben. Die Auffassung seiner
dichterischen Mission hat Hofmannsthal, damals noch Loris, in den
Eingangsversen charakterisiert: „Also spiell wir Theater, Spielen
unsre eignen Stücke, Frühgereift und zart und traurig, Dies
Komödie unserer Seele ... Böser Dinge hübsche Formel, Glatte
Worte, bunte Bilder .. .“ Ein Spiel, ein intellektueller Luxus,
den sich ein frühreifer, müder Sinn mit der Welt, seiner Welt
allerdings nur, leisten darf. Diese Welt war im Anfang die des
„süßen Mädels“, das in der Stadt von den jungen Bürgerherren
geliebt und in der Vorstadt von braven Handwerksmeistern ge¬
heiratet wird, wie sich ungefähr dieser Zynismus des Besitzes an
Menschenleben mit unschuldiger Nonchalauce im „Anatol“ aus¬
drückt. Und im „Weiten Land“ von 1911 steht es so wesentlich
anders nicht um das, was die Menschen bewegt. Sie sind zum Teil
älter und bürgerlicher geworden; aber ihres Herzens letztes;
Trachten wird doch von der Frage ausgefüllt, mit wem man dem¬
nächst das Bett teilen wird. Schnitzler durchstreift diese Welt mid
einem sichtbaren und nicht einmal unappetitlichen Wohlbehagen,
und es ist wohlverständlich, wenn seinesgleichen in dieses Wohl¬
behagen mit hineingezogen wird. Denn jede Kunst findet ihr dank¬
bares Publikum bei dem Kreise, der sich in den Werken dieser
Kunst widergespiegelt findet. Daß dies in Schnitzlers Fall nicht
die aufstrebenden Volksschichten sind, bedarf wohl keiner weiteren
Erörterung.
Schnitzlers künstlerische Begabung bleibt auch streng auf jenes
Gebiet beschränkt. Wo er jemals den Versuch gemacht hat, darüber
hinauszugehen, hat er sich starke geiftige und künstlerische Blößen
gegeben. Im „Freiwild“ noch am wenigsten, da hier der Falls
sozialer Vogelfreiheit doch eigentlich nur den Hintergrund zu einer
der vielen Süßen=Mädelgeschichten abgab. Auch der Spott gegen
den aristokratischen Familienstolz in „Komtesse Mizzi“ ist wahr¬
haftig ein kaum noch zeitgemäßes, jedenfalls sehr billiges Ver¬
gnügen. Aber das vorgeblich tragische Motiv eines todgeweihten
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Reiterregiments, das, eine alte Scharte auszuwetzen, mit dieser
WVÄRTS. BERLIN
Aussicht in den Krieg geschickt wird (im „Ruf des Lebens"), ist die
Ausschnitt ausf ##le
erschwitzte Heroenstimmung eines Mannes, der eigentlich nur in
Anatols parfümiertem, dämmerigem Musikzimmer zu Hause ist,
das an das Schlafzimmer stößt. Und gar sein Versuch, sich (wie
—
r
im „Jungen Mebardus“) mit der Historle einzulassen, zeigt ihn auch
nur wieder als den Dichter des „Anatol“ im Wien von 1809 und
dort auch allenfalls noch glaubhaft. Wi er aber diese Sphäre
Artur Schnitzler.
verläßt, um den männlichen Kampf und die Unbarmherzigkeit des
Kriegsschicksals zu zeigen, da bleibt seiner Phantasie nur die Wah
Die Jubilöumsreife, die früher nicht vor dem 60. Jahre ein¬
treten durfte, hat man nun schon längst auf 50. herabgesetzt, mit zwischen der patriotischen Schulanetdote und dem Dumascher
asc.
einer so wohlwollenden Dringlichkeit, als handle es sich um die Kolportageroman.