VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 60

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1. 50thBirthday
industrie geworden ist, geht heute noch wie einst Loris
typisch seien, zwingt uns der Dichter gar nicht auf.
mit Kostbarkeiten der Sprache, seltsamen Bildern als
Was wir aus dem feinen, ironischen Zug, der die
Mißverständnis der Antike und Herold der Renaissance
Anatol=Episoden umspielt, nicht erraten oder nicht er¬
neben dem Leben einher. Das Verhältnis seiner Kunst
raten wollen, bleibt eben in der Schwebe. Es ist immer
zu der Artur Schnitzlers, die höher und höher aus
nur das halbe Empfinden, das nicht auf den Grund
geht, ein Hingleiten, das im Gemüte keine Furchen
dem Wiener Boden wächst, hat sich seit der Jugendzeit
nicht verändert.
läßt; kein Erhitzen, keine Wärme, kein schneidender
Ton, aber ein reizvolles Stakkato des Gefühles,
So bringe uns der Aufsatz vom 2. Jänner 1893
Bogenführung aus leichtem Handgelenk. Die Tonart
die Gefühle, die Schnitzlers Anfänge erweckten, am
ist nicht ausgesprochen. Man könnte aber die Stücke
Tage der Feier zurück:
aus einem höheren Gesellschaftston spielen, und „der
Soll uns heute Artur Schnitzler zu seinem Anatol
bösen Dinge hübsche Formel“ behielte ihre Geltung.
geleiten, so lassen wir die Moral zu Hause. Oder sie
Die vornehme Gabriele, welche den Anatol bei den
verhüllt weise ihr Haupt, dann mag sie mit hinaus in
Weihnachtseinkäufen für sein „süßes Mädel“ begleitet,
das Heim kleinweltlicher Vorstedtliebe, mag mit uns
deutet selbst auf das Transponieren nach oben hin.
von Zirkusepisoden nippen, zu schlüpfrigen „Abschieds¬
Gabriele: Ich kenne ja Ihren Geschmack ....
soupers“ sich laden lassen oder der zweifelhaften
Wird wohl wieder irgend ’was von der Linie sein — dünn
Cora die „Frage an das Schicksal“ stellen. Sie darf
und blond!
die „Denksteine“ der schönen Emilie bewundern, den
Anatol: Blond — gebe ich zu ...!
Rubin der ersten und den kostbaren schwarzen Diamanten
Gabriele: . Ja, ja ... blond ... es ist merk¬
würdig, daß Sie immer mit solchen Vorstadtdamen zu tun
der keineswegs letzten „Liebe“. Sie macht schließlich
haben — aber immer!
den originellen „Hochzeitsmorgen“ Anatols mit -
Anatol: Gnädige Frau — meine Schuld ist
also Anatol heiratet, und die Moral ist gerettet, wenn
es nicht.
wir sie auch in ein Dämmerlicht der Sitte, wo wir
Gabriele: Lassen Sie das! — Oh, es ist auch
nach wahren Gefühlen nur tappen, in ein Halbdunkel
ganz gut, daß Sie bei Ihrem Genre bleiben ... es wäre ein
großes Unrecht, wenn Sie die Stätte Ihrer Triumphe ver¬
von Empfindungen führen, in denen es kaum mehr
ließen.
licht werden kann. Ja, die Moral wird den Schleier
Anatol: Aber was soll ich denn tun — man
fester zusammenzieher, wo sie sich mit und am besten
liebt mich nur da draußen.
amüsiert, und wird gestehen, daß man gerade auf
Gabriele: Versteht man Sie denn . .. da
draußen?
hein.schen Wegen an so straffen Dialog, so spitze
Anatol: Keine Idee! Aber sehen Sie... in der
Pointen, so funkelnden Witz gerät — freilich, wenn
kleinen Welt werd' ich nur geliebt; in der großen — nur
Artur Schnitzler, der feine Beobachter, der geistreiche
verstanden — Sie wissen ja. ...
Causeur, die Führung hat. In den „Anatol“=Szenen
Und nun soll Anatol der stolzen Gabriele „die
zerfasert Schnitzler einige Stückchen Frauenseele,
ganze Geschichte“ erzählen. „Es ist gar keine Ge¬
leichthin spielend, wie sie mit uns zu spielen pflegen
schichte!“
Er verbeißt sich nicht in einen jämmerlichen
Gabriele: Wie lernten Sie sie kennen?...
Pessimismus, sondern streift die Dinge mit welt¬
Anatol: Gott — wie man eben jemand kennen
lernt! Auf der Straße — beim Tanz — in einem
männischer Eleganz wie einen Handschuh von sich. Daß
Omnibus — unter einem Regenschirm —
es nur ein Stück ihrer Seele ist, wird den Frauen,
Gabriele: Sie wissen ja — der spezielle
welche das andre Stück zu retten suchen, als Trost
Fall interessiert mich. Wir wollen ja dem speziellen Fall
dienen. Anatol hat mit Fällen zu schaffen. Daß sie etwas kaufen!
MNEAN
Anatol: Dort, in der . .. „kleinen Welt“ gibt's
keine speziellen Fälle — eigentlich auch in der großen nicht ...
Ihr seid ja alle so typisch!...
Gabriele dringt weiter:
Wie empfängt Sie denn?
Anatol: Ach — wie man eben empfängt.
Gabriele: Sie hört Ihre Schritte schon auf der
Treppe . .. nicht wahr?
Anatol: Ja . .. zuweilen
Gabriele: Und steht bei der Tür?...
Anatol: Ja!
Gabriele: Und fällt Ihnen um den Hals — und
küßt Sie . .. und sagt ... Was sagt sie denn?
Anatol: Was man eben in solchen Fällen
sagt
Gabriele: Nun ... Zum Beispiel.
Anatol: Ich weiß kein Beispiel.
Gabriele: Was sagte sie gestern?
Anatol: Nichts Besonderes ... Das klingt st
einfältig, wenn man nicht den Ton der Stimme daze
hört!
Gabriele: Ich will mir ihn schon dazu denken
Nun, was sagte sie?
Anatol: „Ich bin so froh, daß ich dich wiedet
hab'.
Gabriele: Ich bin so froh! — wie?!
Anatol: Daß ich dich wieder hab'!
Gabriele: Das ist eigentlich hübsch — sehr
hübsch!
Anatol: Ja, es ist herzlich und wahe!
Gabriele: Und sie ist . . . immer allein? Ihl
könnt' euch ungestört sehen!?
Anatol: Nun ja — sie lebt so für sich — sie siek
ganz allein — keinen Vater, keine Mutter . . . nicht einmel#
eine Tante!
Gabriele: Und Sie ... sind ihr alles.
Anatol: ... Möglich .. Heute (Schweigenün
Gabriele kommt auf das Geschenk . . . Sie reicht“
Anatol ein paar Blumen, die sie in der Hand hält.
Er soll diese als Gruß in die Vorstadt tragen. „Aber...
Sie müssen was dazu ausrichten.“
Anatol: Gnädige Frau — Sie sind so lieb —
Gabriele: Versprechen Sie mir, ihr's zu be¬
stellen . . . und mit den Worten, die ich Ihnen mit¬
geben will.
Anatol: Gewiß!
Gahriele: Versprechen Sie '4 mirk