VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 82

——
box 39/1
5oth Birthdar
297
Alexander v. Weilen, Arthur Schnitzler.
zu achten, meldet sich hier zum Worte und Schnitzler selbst klagt für diese Un¬
einheitlichkeit seines Fühlens, die ihn in seiner Jugend zur falschen Dramatik
gleicher Berechtigungen geführt hat, seine Abkunft vom Judentum an. Aber
die eigentliche Ursache ruht meines Erachtens in einem Mangel an Tem¬
perament, das in ihm wohl aufflammen, aber nicht ruhig fortlodern kann.
Selbst rasch ernüchtert wirkt er auch oft ernüchternd auf den Leser, der den
plötzlichen Abfall wohl fühlt. So hat er auch sein Höchstes bis heute in
kleinen novellistischen Skizzen, und auf der Szene mit einem virtuos dahin¬
jagenden Momentbilde, dem „Grünen Kakadu“ gegeben, während alle größeren
Arbeiten, selbst die „Liebelei“ im letzten Teile, ein Nachlassen der Kraft, ein
Versagen der Phantasie verraten, die er geleg lich durch theatralische Ex¬
plosionen, wie sie seinem innersten Wesen widersprechen, vergebens decken will.
Dieses Jagen seiner Helden von Abenteuer zu Abenteuer ist bedingt durch
ihr rasches Vergessen. Wie der schuldig gewordene Wergenthin sein Haupt in
Annas Schoß birgt, ist ihm dieser Augenblick, den er gerade durchlebt, schon
Vergangenheit. „Gegenwart? Was heißt das eigentlich?“ fragt Schnitzler.
„Ist das Wort, das eben verklang, nicht schon Erinnerung?“ So wird in
seinem Drama, noch mehr als bei Ibsen, die Vorgeschichte oft die eigentliche
Handlung seines Schauspiels, der „Einsame Weg“ ist nichts als das Trauer¬
spiel des Erinnerns und Johannas Wort, es sei die Bestimmung mancher
Menschen, einander nichts zu bedeuten als Erinnerung, der Grundgedanke des
ganzen Werkes. Aus dieser Vergegenwärtigung des Vergangenen entsprießt
Schnitzlers Kunst, historische Bilder von seltener Kraft der Anschaulichkeit zu
geben und Renaissance, französische Revolution, Alt=Wien in vollster Ver¬
lebendigung auf die Szene zu stellen.
In diesen inneren Stürmen bietet sich für Schnitzler ein Halt in dem
Glauben an ein Schicksal. Je älter er wird, desto fester klammert er sich an
die ihm zur Religion gewordene Überzeugung, es gebe keine Wahl und keinen
Widerstand: der „Frau mit dem Dolche“ die dem Begehren des Jünglings
widerstrebt, macht eine Vision klar, daß sie ihrer Bestimmung, in seinen Armen
zu liegen, nicht entfliehen könne, für Georg Wergenthin ist sein ganzes Schicksal
wie das Annas, ja auch der Tod des Kindes im Augenblicke, wo sie sich be¬
gegneten, entschieden gewesen und er trennt sich von ihr mit dem Bewußtsein:
„Was uns beiden gemeinsam bestimmt war, haben wir durchlebt.“ Und in einer
seiner letzten Dichtungen steigt ein Jüngling, warnender Stimme zum Trotze,
auf freie Bergeshöhe, was ihm die Gottheit prophezeite, er hat es gegen seinen
Willen begangen, er beugt sich endlich der Macht, welche die Abergläubischen
Bestimmung, die Toren Zufall, die Frommen Gott nennen, die aber den
Weisen die ewig wirkende Kraft ist. Vergebens fragt er vor seinem Unter¬
gange: Wenn alles so kommen mußte, wie es kam, warum ward ich gewarnt,
warum? Ein Hohnlachen antwortet dem Stürzenden. Diese höhere Macht
regiert über uns. Nicht der einzelne Mensch ist des anderen Schicksal. „Er ist
nur das Mittel, dessen sich das Schicksal bedient.“ Und wir tanzen nur wie
Puppen an den Fäden, die uns lenken, selbst die Geschöpfe der Phantasie,
die ein Marionettenspiel vorführt, durchschneidet ein unbekannter Mäch¬