box 39/1
Soth Birthday
Ausschnitt aus:
Lie Molkswehr, Czernowitz
4
vom:
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler der Wiener
Pöet, feierte. r Tage seinen fünfzigsten Geburtstag.
Ein Jude von unnahbarem= Stolz und untadeligem, edlem
Wesen, steht er auf der Höhe der Kunst und des Lebens.
Unter den Westjuden — nicht zületzt unter denen, welche
die Feder führen — gibt es prononzierte Spezialitäten der
Lächerlichkeit. Dafür hat dieselbe Not, welche diese Aus¬
wüchse zeitigte, eine differenzierte Fülle von erlesenen, hoch¬
kultivierten, adeligen Juden gezüchtet, als wollte die Natur
in einzelnen Exemplaren erweisen, daß Hohn und Ver¬
folgung, gepaart mit mutigem Alleinsein und mit Tradition,
auch einen guten Klang geben können. Arthur Schnitzler
gehört zu den besten dieser jüdischen Elite. Auch wenn er
uns nicht den „Weg ins Freie“ geschenkt hätte, der uns
ein teueres Buch ist, ständen wir unter den Gratulauten;
die ihm aus aller Herren Länder die Hand drücken. —
0
(guener#### gor Nachrichten
Ausschnitt aus:
Hambung
vom: 23.M1l1912.
In der vergangenen Woche feielte man Arthur
Schnitzlers fünfzigsten Geburtstag. Fünfzig Jahre!
Jung Wien wird alt und muß sich um seine Jungerhaltung
oft recht hart quälen. Der Autor war nach dem schönen
Brioni entwichen und so feierte man ihn in seinen Werken;
das Burgtheater brachte „Das weite Land“ und seinen
„Medardus“ in bekannt sorgfältiger Vorbereitung; das
Volkstheater wurde ihm mit der Begründerin seines Ruhmes,
der „Liebelei“ und dem brauchbarsten seiner Stücke, dem
„Grünen Kakadu“ am besten gerecht, sogar die Josefstadt
wurde literarisch und stellte „Das Vermächtnis“ auf den Plan
und der „Merker“ veranstaltete endlich einen wohlgelungenen
Schnitzter=Abend. Der Fünfzigjährige kann sich also über
seine große Wiener Gemeinde nicht beklagen; seine wehmütig
tändelnde Skepsis, seine das Schwüle streifende Erotik, über¬
haupt das Problem Weib als Trägerin des Sexuellen nach
der physischen und psychischen Seite bilden ja auch einen“
führenden Unterton in der Gesellschaftspsychologie seines
Heimatbodens.
01 4. „K* Mianars ahnr „„
—.—
= Bureau
Berlin NO.43, Geo.
(Liest die meisten Zeitungen und Is###
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Berliner Lokal-Anzeiger
Ort:
Berlin
Datum: . M. S. I. H . e e
gchhnat.
. Aerzte als Dichter. Artur Sch#####er jetzt Fünfzig¬
jährige, ist einer aus der verhällnismäßig senen Gruppe von
Pocken, die aus dem medizinischen Stande hisvorgegangen sind.
Unter den Dichtern der Gegenwart verdienen aber mindestens noch
zwei andere praktische Aerzte genannt zu werden, nämlich Karl
Schönherr, der bis vor kurzem in Tirol seinem Beruf nachging, und
Ludwig Finckh, der Dichter des „Rosendoktor“. Die medizinischen
Ehrendoktoren, zu denen etwa Naabe gehörte, müssen bei dieser
Aufzählung naturlich aus dem Spiel bleiben. Die deutsche Lite¬
raturgeschichte hat sich einen hübschen Scherz gemacht, indem sie dem
Frankfurter Rechtsanwalt und Doctor jeris Goethe den Stuttgarter
Regimentsmedikus Schiller gegenüberstellte. Dem einen verdanken
wir eine Abhandlung über die Todesstrafe, dem andern eine Unter¬
suchung „Ueber den Unterschied der entzündlichen und der faulen
Fieber“. Beide haben es aber vorgezegen, durch andere Arbeiten
berühmter zu werden. Es liegt im ubrigen nahe, daß die Juris¬
prudenz von jeher ein viel stärkeres Kontingent zur Poesie ab¬
kommandiert hat als die Naturwissenschaften. Es genügt, zum Be¬
weise nur Bürger, Heine, Immermann, Grabbe, E. T. A. Hoff¬
mann, Scheffel zu nennen. Immerhin bleibt die Zahl der medi¬
zinisch vorgebildeten Pocten noch stattlich genug. Da ist Kortum,
der berühmte Verfasser des 1784 entstandenen Epos: „Leben, Mei¬
nungen und Taten von Hieronymus Jobs, dem Kandidaten. Kor¬
tum hat erst in Duisburg, nachher in Bochum praktiziert. Neben ihm
mag gleich der Struwwelpeter=Hoffmann, der Frankfurter Irrenarzt
Heinrich Hoffmann=Donner, als zweiter bedeutender Humorist ge¬
nannt werden. Hoffmann hat seine Zugehörigkeit zur Poesie und
Medizin auch noch extra durch ein Liederbuch für Naturforscher
und Aerzte dokumentiert. Auch Adolf Kußmaul, der erfolgreiche
Heidelberger Mediziner, hat mit Biedermeiergedichten den Pegasus
mit Erfolg bestiegen und Ludwig Eichrodt trefflich assistiert. Vor
allem muß aber in diesem Zusammenhange ein Mann von der
Bedeutung Ernst ven Feuchterslebens, dessen Werke Hebbel heraus¬
gegeben hat, des Dichters von „Es ist bestimmt in Gottes Rat“ und
des ausgezeichneten Populärphilosophen, gebührend hervorgehoben
werden. Feuchtersleben, dessen „Diätetik der Seele“ einst zu den ge¬
lesensten Büchern gehörte, hat als einer der ersten schon in der
vierziger Jahren an der Wiener Universität Vorträge über ärzt
liche Seelenkunde gehalten und hat es sogar, was einem Poeten
nicht gerade oft begegnet, bis zum Unterstaatssekretär gebracht.
Bald nach seinem Tode hat ihm Grillparzer herzliche Worte der
Anerkennung gespendet und in einem schönen Essay erklärt, ihm
sei beinahe kein Feld des menschlichen Wissens fremd geblieben.
„Er war mit der hingebendsten Liebe vorzugsweise dem Streben
seiner Zeilgenossen, ihm Näherstehenden zugewendet. Noch viel¬
seitiger als Feuchtersleben war ein anderer zeitgenössischer Arzt
und Poet, Gustav Theodor Fechner, der vor allem für die Ent¬
wicklung der Philosophie Hervorragendes geleistet hat. Von Haus
aus Mediziner, wurde Fechner später Professor der Physik in Leipzig,
hielt ##er auch bedeutsame Vorlesungen über Anthropologie und
Philosophie. Als Dr. Mises hat er sich als trefflicher Humorist
erwiesen und auch dieses Pfeudonym im Reiche der Dichtung zu
Ehren gebracht. Als ein Lyriker ersten Ranges erwies sich schließlich
der treffliche Pyrmonter Arzt Friedrich Wilhelm Weber, der Dichter
von „Dreizehnlinden: Neben diesem Epos, wohl dem letzten bedeu¬
tenden Ausläufer dieser Gattung, dürfen auch seine weniger be¬
kannten Gedichte hohe Bedeutung beanspruchen. Weber, ein Sohn
der roten Erde und in Breslau Studiengenosse von Gustav Freytag,
hat bis ins hohe Alter seine Praxis ausgeübt und ist auch lange
Jahre hindurch als Mitglied des Zentrums preußischer Abgeordneter
gewesen. Bei diesen Dichtern kommt der ärztliche Beruf fast nirgends
zum Ausdruck. Wie anders bei dem beieugtesten medizinisch ge¬ in
schulten Poeten, dem Herrn von Weinsberg, dem Lyriker Justinus
Kerner, der ein so begeisterter Anhänger des Spiritismus und
Magnetismus gewesen ist!
Flüchtig leb' ich durchs Gedicht,
Durch des Arztes Kunst nur flüchtig;
Nur wenn man von Geistern spricht,
Denkt man mein noch und schimpft tüchtig.
Kerner hat in einer Reihe von Gedichten von seinem ärztlichen
Beruf gesprochen. Einmal vergleicht er sogar den schwer geplagten
Arzt mit einem Pferde: „O armer Arzt! O armes Pferd! Ihr
fühlet gleiche Wehen. Bis an den Tod sollt ihr beschwert Allzeit im
Trabe gehen.“
Soth Birthday
Ausschnitt aus:
Lie Molkswehr, Czernowitz
4
vom:
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler der Wiener
Pöet, feierte. r Tage seinen fünfzigsten Geburtstag.
Ein Jude von unnahbarem= Stolz und untadeligem, edlem
Wesen, steht er auf der Höhe der Kunst und des Lebens.
Unter den Westjuden — nicht zületzt unter denen, welche
die Feder führen — gibt es prononzierte Spezialitäten der
Lächerlichkeit. Dafür hat dieselbe Not, welche diese Aus¬
wüchse zeitigte, eine differenzierte Fülle von erlesenen, hoch¬
kultivierten, adeligen Juden gezüchtet, als wollte die Natur
in einzelnen Exemplaren erweisen, daß Hohn und Ver¬
folgung, gepaart mit mutigem Alleinsein und mit Tradition,
auch einen guten Klang geben können. Arthur Schnitzler
gehört zu den besten dieser jüdischen Elite. Auch wenn er
uns nicht den „Weg ins Freie“ geschenkt hätte, der uns
ein teueres Buch ist, ständen wir unter den Gratulauten;
die ihm aus aller Herren Länder die Hand drücken. —
0
(guener#### gor Nachrichten
Ausschnitt aus:
Hambung
vom: 23.M1l1912.
In der vergangenen Woche feielte man Arthur
Schnitzlers fünfzigsten Geburtstag. Fünfzig Jahre!
Jung Wien wird alt und muß sich um seine Jungerhaltung
oft recht hart quälen. Der Autor war nach dem schönen
Brioni entwichen und so feierte man ihn in seinen Werken;
das Burgtheater brachte „Das weite Land“ und seinen
„Medardus“ in bekannt sorgfältiger Vorbereitung; das
Volkstheater wurde ihm mit der Begründerin seines Ruhmes,
der „Liebelei“ und dem brauchbarsten seiner Stücke, dem
„Grünen Kakadu“ am besten gerecht, sogar die Josefstadt
wurde literarisch und stellte „Das Vermächtnis“ auf den Plan
und der „Merker“ veranstaltete endlich einen wohlgelungenen
Schnitzter=Abend. Der Fünfzigjährige kann sich also über
seine große Wiener Gemeinde nicht beklagen; seine wehmütig
tändelnde Skepsis, seine das Schwüle streifende Erotik, über¬
haupt das Problem Weib als Trägerin des Sexuellen nach
der physischen und psychischen Seite bilden ja auch einen“
führenden Unterton in der Gesellschaftspsychologie seines
Heimatbodens.
01 4. „K* Mianars ahnr „„
—.—
= Bureau
Berlin NO.43, Geo.
(Liest die meisten Zeitungen und Is###
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Berliner Lokal-Anzeiger
Ort:
Berlin
Datum: . M. S. I. H . e e
gchhnat.
. Aerzte als Dichter. Artur Sch#####er jetzt Fünfzig¬
jährige, ist einer aus der verhällnismäßig senen Gruppe von
Pocken, die aus dem medizinischen Stande hisvorgegangen sind.
Unter den Dichtern der Gegenwart verdienen aber mindestens noch
zwei andere praktische Aerzte genannt zu werden, nämlich Karl
Schönherr, der bis vor kurzem in Tirol seinem Beruf nachging, und
Ludwig Finckh, der Dichter des „Rosendoktor“. Die medizinischen
Ehrendoktoren, zu denen etwa Naabe gehörte, müssen bei dieser
Aufzählung naturlich aus dem Spiel bleiben. Die deutsche Lite¬
raturgeschichte hat sich einen hübschen Scherz gemacht, indem sie dem
Frankfurter Rechtsanwalt und Doctor jeris Goethe den Stuttgarter
Regimentsmedikus Schiller gegenüberstellte. Dem einen verdanken
wir eine Abhandlung über die Todesstrafe, dem andern eine Unter¬
suchung „Ueber den Unterschied der entzündlichen und der faulen
Fieber“. Beide haben es aber vorgezegen, durch andere Arbeiten
berühmter zu werden. Es liegt im ubrigen nahe, daß die Juris¬
prudenz von jeher ein viel stärkeres Kontingent zur Poesie ab¬
kommandiert hat als die Naturwissenschaften. Es genügt, zum Be¬
weise nur Bürger, Heine, Immermann, Grabbe, E. T. A. Hoff¬
mann, Scheffel zu nennen. Immerhin bleibt die Zahl der medi¬
zinisch vorgebildeten Pocten noch stattlich genug. Da ist Kortum,
der berühmte Verfasser des 1784 entstandenen Epos: „Leben, Mei¬
nungen und Taten von Hieronymus Jobs, dem Kandidaten. Kor¬
tum hat erst in Duisburg, nachher in Bochum praktiziert. Neben ihm
mag gleich der Struwwelpeter=Hoffmann, der Frankfurter Irrenarzt
Heinrich Hoffmann=Donner, als zweiter bedeutender Humorist ge¬
nannt werden. Hoffmann hat seine Zugehörigkeit zur Poesie und
Medizin auch noch extra durch ein Liederbuch für Naturforscher
und Aerzte dokumentiert. Auch Adolf Kußmaul, der erfolgreiche
Heidelberger Mediziner, hat mit Biedermeiergedichten den Pegasus
mit Erfolg bestiegen und Ludwig Eichrodt trefflich assistiert. Vor
allem muß aber in diesem Zusammenhange ein Mann von der
Bedeutung Ernst ven Feuchterslebens, dessen Werke Hebbel heraus¬
gegeben hat, des Dichters von „Es ist bestimmt in Gottes Rat“ und
des ausgezeichneten Populärphilosophen, gebührend hervorgehoben
werden. Feuchtersleben, dessen „Diätetik der Seele“ einst zu den ge¬
lesensten Büchern gehörte, hat als einer der ersten schon in der
vierziger Jahren an der Wiener Universität Vorträge über ärzt
liche Seelenkunde gehalten und hat es sogar, was einem Poeten
nicht gerade oft begegnet, bis zum Unterstaatssekretär gebracht.
Bald nach seinem Tode hat ihm Grillparzer herzliche Worte der
Anerkennung gespendet und in einem schönen Essay erklärt, ihm
sei beinahe kein Feld des menschlichen Wissens fremd geblieben.
„Er war mit der hingebendsten Liebe vorzugsweise dem Streben
seiner Zeilgenossen, ihm Näherstehenden zugewendet. Noch viel¬
seitiger als Feuchtersleben war ein anderer zeitgenössischer Arzt
und Poet, Gustav Theodor Fechner, der vor allem für die Ent¬
wicklung der Philosophie Hervorragendes geleistet hat. Von Haus
aus Mediziner, wurde Fechner später Professor der Physik in Leipzig,
hielt ##er auch bedeutsame Vorlesungen über Anthropologie und
Philosophie. Als Dr. Mises hat er sich als trefflicher Humorist
erwiesen und auch dieses Pfeudonym im Reiche der Dichtung zu
Ehren gebracht. Als ein Lyriker ersten Ranges erwies sich schließlich
der treffliche Pyrmonter Arzt Friedrich Wilhelm Weber, der Dichter
von „Dreizehnlinden: Neben diesem Epos, wohl dem letzten bedeu¬
tenden Ausläufer dieser Gattung, dürfen auch seine weniger be¬
kannten Gedichte hohe Bedeutung beanspruchen. Weber, ein Sohn
der roten Erde und in Breslau Studiengenosse von Gustav Freytag,
hat bis ins hohe Alter seine Praxis ausgeübt und ist auch lange
Jahre hindurch als Mitglied des Zentrums preußischer Abgeordneter
gewesen. Bei diesen Dichtern kommt der ärztliche Beruf fast nirgends
zum Ausdruck. Wie anders bei dem beieugtesten medizinisch ge¬ in
schulten Poeten, dem Herrn von Weinsberg, dem Lyriker Justinus
Kerner, der ein so begeisterter Anhänger des Spiritismus und
Magnetismus gewesen ist!
Flüchtig leb' ich durchs Gedicht,
Durch des Arztes Kunst nur flüchtig;
Nur wenn man von Geistern spricht,
Denkt man mein noch und schimpft tüchtig.
Kerner hat in einer Reihe von Gedichten von seinem ärztlichen
Beruf gesprochen. Einmal vergleicht er sogar den schwer geplagten
Arzt mit einem Pferde: „O armer Arzt! O armes Pferd! Ihr
fühlet gleiche Wehen. Bis an den Tod sollt ihr beschwert Allzeit im
Trabe gehen.“