VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 109

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Seth-Birhday
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte.—
Borlin NO.43. Georgenkirchplatz 211.
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorgaaisierte Bureau Deutschlands.)


Zeitung:
Breslau
Ort:
Datum: 26.Maiet—
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muß): und das Motto „Frisch gestrichen!“ gibt im Sinne eines
Berliner Bilder.
kategorischen Imperativs mehr in den Räumen der Kunstabteilung
Inhibierte Kunst.
des Berliner Polizeipräsidiums den Ton an, als in anderen Sälen
Wie viele andere Theater Deutschlands, rüstete sich jüngst auch und Zimmern, welche in Deutschlano ähnlicher Bestimmung dienen.
die Bühne einer süddeutschen Großstadt, ihren Arthur Schnitzle Gerade die Speisekarte der letzten Berliner Kunsthürteleien ist in
feiern. Man spendete ihm als Geburtstagsgerlande die Auf-]ebenso umfangreich, wie mit schwer verdaulichen und nach leicht
führung einiger seiner Einakter und stellte in die Mitte des Abends übersehbaren Prinzipien zusammengestellten Gerichtm gefüllt. Man
jenes Spiel vom „grünen Kakadu“ in welchem der Blutstrom der hat dem „Zweckverband Groß-Berlin“ von den Litfaßsäulen der
Revolution bis hart an die Ufer einer karnevalistischen Farce Hauptstadt herab, sein Agitationsplakat gepfändet, durch dessen
ein absiezehrtes neben einem wohl¬
fließt, in welcher Schnitzler aus Scherz und Ernst eine bunt= sigürliche Darstellung —
schillernde Stimmung webt und ddie Kanonade der Tragik ur-genährten Berliner Kinde — die unerbittliche Wahrheitssagerin
plötzlich in eine ironisähnkichernde Situation hereindröhnt. An Käthe Kollwitz der großen Menge die dieser bisher verborgene
diesem Geburtstagsfeste stellte sich in jener Stadt als Gratulant! Tatsache mitzuteilen versuchte, daß im Zentrum des Drei Millionen¬
freilich auch der Zensor ein. Aber er kam nicht, um zu geben, Nestes Hunderttausende von Kindern luft- und lichtdurstig, körper¬
sondern um zu nehmen: allerhand Wortbrosamen, die ihm auf lich und seelisch verkümmert, neben einer Minorität in dieser Be¬
dem Tische des Reichen (des Geist=Reichen) Arthur Schnitzler ziehung besser gestellten, großbürgerlichen Nachwuchses bahinwelken.
überflüssig schienen, und die er nun seiner Sammlung verbotener! Man hat in Neu=Kölln, das vor kurzem noch Ripdorf hieß, dem
Gegenstände einverleibte. So wurde in jener süddeutschen Groß. Volkschor der „Freien Volksbühne“ Karfreitagsaufführungen der
stadt der „grüne Kakadu“ (verstümmelt, zahlreicher Federn beraubt, Oratorien „Der heilige Fronziskus“ und „Die heilige Elisabeth“
aus vielen Wunden blutend) ein „roter“ Kakadn. Der Zensor verwehrt, trotzdem der Verfasser des letztgenannten, ehrwürdigen
beförderte zum fünfzigsten Geburtstage Arthur Schnitzlers sich selbst Chorwerkes der Abbé Franz Liszt ist, und in der brunstvollen
zum Dichterkompagnon des gefeierten Poeten: denn er stilisierte Weihe und Langweiligkeit dieser Legende gewiß keine der Welt¬
eine Stelle des Dramentextes, an welcher von den „Adligen und anschauungen Frank Wodekinds oder Philipp Scheidemanns zu
den Herren vom Hofe“ gesprochen wird, die in der Taverne zum entdecken sein dürfte. Man hat endlich, wieder durch ein Zensur¬
Grünen Kakadu“ das Gruseln zu lernen lieben, wesentlich unver=lverbot, des verstorbenen Emil Rosenow vieraktiges Drama: „Die
im Schatten leben“ gleichfalls der „Freien Volksbühne“ aus den
fänglicher, indem er statt „Adlige und Herren vom Hofe“ —
„vornehme Leute“ sagen ließ. Das Fanfarenwort, eine der maß= Händen gerissen: dieses Werk, das unerbittlich ist, wie das Leben;
gebendsten Textpointen der ganzen Groteske: Niemals kann der ohne jedes demagogische Tartarin=Pathos, und seine Schicksals¬
Ruf nach Freiheit schöner klingen, als an der Leiche eines Herzogs“ fügungen nur dem harten „Muß“ der gang und gäben Lebens¬
wurde ganz erstickt: an dieser Stelle bekam Arthur Schnitzler zur notwendigkeiten unterstellend; und das in diesem Stil (der übrigens
Feier seines Geburtstages einen Kuebel in den Mund. Ebenso auch der Käte Kollwitz Stil ist) das moralische und materielle Ver¬
erschien es dem Zensor nicht dem Hofton entsprechend, das Ding gehen einer Hüttenarheiterfamilie aus dem Dortmunder Gebiet
beim rechten Namen zu nennen und von einem „erstochenen“ Herzog al kresco malt. Man sieht also: Berlin in der Kunstwelt voran!
Aber die Zensurbureaus ganz Deutschlands, allein jene
reden zu lassen: Der Herzog wurde „getötet“, nicht, fl dong,
„erstochen". Und zuletzt, aber nicht am Letzten: jenes Zukunfts= Kakadu=Episode beweist es, gehen mit der guten Berliner Kame¬
idyll, von dem der Held Schnitzlers, der unselige Schauspieler radin in gleichem Schritt und Tritt. Es ist die Parole ausgegeben
Henri, Canios Zwillingsbruder, schwärmt, wenn er zu seiner Ge¬ (eine jener Parolen, die man weniger hören, als fühlen kann),
liehten Nedda=Leocadio sagt: „Wir wollen von einem Kinde sich bei allen den Männern, die „ötzlich in der Politik, in der
#ndes eben= Ethik, in allen Sälen der Kultur offenkundig zur Herrschaft des
träumen“, wurde dieses noch nicht einmal geborene
ing freien Wortes schwören, dadurch #“ revanchieren, daß man sie bei
falls beraubt. Das Kinderkriegen bleibt, wenn nic,
ihrer empfindlichsten Stelle, nämlich an den Weichteilen ihres
icht
die Sache sanktioniert, selbst im Traume unsittlich n
Kunstempfindens, packt. Sollten nicht da der „Gocthebund“, der
stattzufinden. Um alle Eventualitäten zu vermeiden, gebietet der
„Verband deutscher Bühnenschriftsteller“ und andere namhafte Lite¬
Zensor illegitimen Liebesleuten von vornherein: „Jehn Se aus¬
einander“!..
raturkorps einige scharf geschliffene Pfeile auf jene Schützen zurück¬
springen lassen? Ich meine, doch: selbst wenn es dazu notwendig
Ich erzähle diese neueste und verbürgte Notiz us Zensur¬
Schilda so ausführlich, um die reichshauptstädtische Zinsurbehörde sein sollte, einige Zeit der im Augenblick wichtigsten Beschäftigung
von dem ihr neuerdings wieder mit Leidenschaft gemachten Vor- deutscher Literaten, nämlich derjenigen, alle deutschen Kinos um¬
zubringen, abwendig zu machen..
wurf der Schnüffelei in politischen und Kunstdingen ein wenig zu
entlasten, und um zu zeigen, daß auch die milden Zensoren draußen
Aber ich kann noch besseres Beweismaterial für die Schilderung
im Reich keine besseren Künstler sind als unsere Jagow, Glasenapp der gegenwärtigen Beziehung zwischen Zensur und Kunst beibringen.
und Klotz. Gewiß springt der Berliner Zensur=Rotstift noch Ganz in der Nähe Berlins wird von politisch unbescholtenster,
schneller aus der Hülse als der anderer deutscher Kunststaatsanwälte märkisch-brandenburgischer Seite ein Freilichtsviel vor¬
(wenn ich nicht gerade den des Münchner Kollegen ausnehmen bereitet, dessen Zweck es ist, zur Feier des vor ca. 500 Jahren