VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 114

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SothBirthdar
initt aus: Wiener Mittheilungen Wien
OLN1912
Artur Schnitzlers so. Geburtstag. Ein
großer Teil der Presse nahm den 50. Ge¬
Iburtstag Artur Schnitzlers (15. Mai) zum
Anlaß ausführlicher Würdigungen des
Poeten, die unß zwer nicht überraschend
kamen, aber woh' in der Hoffnung be¬
stärken dürfen,das man dieser Gepflogen¬
heit künftighin auch huldigen werde,
wenn andere Dichter, die abseits vom
Strom sich mit dem Bewußtsein, Rühmens¬
wertes geleistet zu haben, begnügen, in
das sechste Dezennium ihres Lebens ein¬
treten. Es gebührt gewiß jedem Dichter!
der Lohn der Mitwelt. Daß man aber in
unserem liehen Oetevreich engar schon
Stebzigerjabilare nur mit einigen flüchtigen
Zeilen in solchen Fällen abtat oder garl
erst ihren Tod abwartete, um sie in
Artikelnz würdigen, ist bisher für unsere
Literaturverhältnisse ebenso charakteristisch
gewesen wie die seichte Würdigung unserer
Poeten seitens der Literaturgeschichte. Daß
es genug Leute gibt, die sich bei solchen
Jubiläen hervortun wollen, scheint Schnitzler
geahnt zu haben: er ergriff vorher die
Flucht und ließ, während er im klaren)
Sonnenschein in Brioni weilte, über seinen!
Schreibtisch in der Wiener Cottagevilla
den Regen unzähliger Gratulationen nieder¬
gehen. Z-ei seiner Stücke, seinen r Anatol#
und „Das Vermächtnise wurden aufgeführt.
Man griff auffallenderweise aber nur zu
älteren Stücken des Dichters. Ein Band#
Skizzen Masken und Wundere erschien
rechtzeitig genug im Buchhandel, um beim
Cburtstagsrummel gaschen „Absatz zu
finden. (

Ausschnitt aus:
Das Forum, Wien
vem: 1-J0f19t2
Notizen.
Vom Enfug des Sterbens“.) 101. Wir Men¬
Schen müssen uns alse, um des Glückes teil¬
haftig zu werden, das schiefe Denken und das
ewige Schielen nach dem Ted abgewöhnen.
102. Gegenwärtig haben wir in Oesterreich
einen einzigen grossen Dichter: Arthur
Schnitzler. Manchmal lesen wir ihn, selten
kaufen wirsegar seine Bücher, aber jüngst
wurde er fünfzig Jahre alt, und da feierten
wir ihn.
103. Der grösste Satiriker aller Zeiten war

auch ein Oesterreicher: Jehann Nestroy.
Was für Geschichten machten wir mit ihm
neulich, als sich sein Todestag zum fünfzigsten
Male jährte!
104. Versteht man also, was wir unter
schiefem Denken meinen? Wir sollten den
Dichter wegen seiner Werke feiern, aber wir
müssen immer einen Gedenktag für seinen Tod
er kommt eder war schon da — haben, ehe
wir uns seiner erinnern. Und dabei müssen
wir immer runde Zahlen haben.
105. Wir sollten uns auch die Feier der
Geburtstage abgewöhnen. Was ist es auch für
eine besondere Sache, dass wir einmal ge¬
beren wurden? Was für einen Sinn hat es auch,
dass man einem ein langes Leben und Gesund¬
heit wünscht? Wobei wir doch alle wissen,
dass solch ein Wunsch eine leere Phrase be¬
deutet.
106. Langes Leben und die Gesundheit da¬
bei, das hängt nur von unserem Denken ab.
Und in unser ruhiges Denken fallen diese fata¬
len Glückwünsche, die uns sagen: Mensch, ge¬
denke des Todes!
107. Ein Mann, der von Bagdad kam, traf
unweit Damaskus ein seltsames Weib, das sei¬
nen Weg ebenfalls nach dieser Stadt zu nehmen,
schien. Der Mann erfuhr zu seinem Entsetzen,
dass es die Cholera sei, und diese sagte ihm,
dass ihr Allah befohlen habe, in Damaskus
fünfhundert Menschen zu töten. „Bin ich dar¬
unter?“ — „Nein, dich habe ich nicht zu töten.“
Da ging min der Mensch in die Stadt, bei deren
Tor er sich von der Botin Allahs trennte. Am
nächsten Morgen begann schon das grosse Ster¬
ben. Nach vier Wochen verliess der Mann
Damaskus, und als er so seines Weges schritt,
siehe da, da kam ihm die Cholera nach. „Du
hast das Gebet Allahs schön vollzegen“, sprach
er zu der Fürchterlichen, „du hättest fünfhun¬
dert Menschen töten sollen, allein es slarben weit
über Finftausend.“
„Nicht ven meiner
Hand,“ antwertete die Cholera, ich habe nur
fünthundert getôtel; die anderen starben an
der Angst.“
108. Die Baktericlegen sollten diese Mär
nie vergessen und uns stets daran erinnern, dass
die mikreskopisch kaum wahrnehmbaren Or¬
ganismen uns nur dann schaden können, wenn
wir selber geschwächt sind, und dass finsere
Schwäche wieder auf Gefühle der Furent zu¬
rückzuführen ist.
109. Natürlich müssen wir uns auch vor Tor¬
beiten bewahren. Sprinze ich mit den Worten:
„ich will leben“ vom vierten Steck auf die
Strasse, se werden meine Glieder zerschellen.
Und reiche ich einem Tuberkulesen die Hand,
#e werde ich sie mir dann waschen.
110. Wir bergen in uns die verschiedlensten