VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 119

SethBirthday

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Klose & Seidel
= Bureau für Zeitungsausschnitte. —
Berlin NO.43, Georgenkirchplatz 21 I.
(Liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: National-Zeitung
Ort:
Berlin
7
2. Juni1912
Datum:
Schnitzler und Gulbransson.
Man schreibt uns: Daß bei einem Gedenktgge und Jubiläum
die Kritik schweigt, ist selbstverständlich und nirgends mehr als
bei einem so liebenswürdigen und unaufdringlichen Künstler, der
Op#.
Aun Schnitzler ist. Nun aber hat auch er eine schärfste Kritik
erfahren müssen, und eine zuglei, die ganz unweigerlich ist, weil
sie ein Künstler aus seinem untrüglichsten Empfinden holen
mußte, als er imstande war, sie in eine andere Kunst zu über¬
tragen. Olaf Gulbransson hat seine „Galerie berühmter Zeit¬
genossen“ im „Simplizissimus“ um eine Karikatur Artur
Schnitzlers vermehrt, und man kann ruhig sagen: mit ihr
das schneidendste und grausamste, aber auch das genialste ge¬
geben, was diese berühmte Bilderreihe gezeitigt hat. Wir, die
Schnitzler in den letzten Jahren mit minder scharfen Augen gesehen
haben, — von dem ereignislosen Porträt Emma Löwenstamms in
der Ausgabe der Prosaschriften ist nicht zu reden —, wir mochten
für den beherrschenden Ausdruck seines Gesichts eine gewisse ver¬
sonnene Melancholie, eine Unbefriedigung nehmen. Betrachtet
man jetzt die Zeichnung, in der die Nasenflügel sich gewaltsam
heben, Mund und Wangen dem äußerlichen Zug der Augenbrauen
folgen, so sieht man wie eine dreifache Warnung eine — man
nehme das Wort im besten Sinne, wie Goethe es gebrauchte —
eine Affektation, eine gefährliche Sucht also nach dem, was man
nicht besitzt, eine Hinneigung, sich selbst in eine Betätigung zu
spielen, die nicht der ursprüngliche Ausdruck eigener Wesenheit ist
wie der von Aestheten freudig begrüßte Goethesche Altersstil
der neuen Novellen. Schnitzler mag lachen, wenn er dieses Kon¬
terfei in die Hand nimmt, aber wenn er Zeit hat, es näher zu
betrachten, soll er glücklich sein, im Spiegel eines Aufrichtigen
einen Teil der eigenen Wahrheit erhalten zu haben — was ja mit
jedem Jubiläum und jeder Gesamtausgabe seltener und schwerer#
zu erreichen sein wird.
E. H