Soth Birthday box 39/1
offnete. Salten war mit Schnitzler schon zu einer Zeit
freundschaftlich verbunden, wo die neue literarische
Generation einem großen Widerstande begegnete, noch mehr
beim großen Publikum als bei der literarischen Kritik.
Es sind kaum zwanzig Jahre her, daß die Anatolszenen
zuerst erschienen sind, die jetzt einzeln oder zusammen fast
keiner deutschen Bühne fehlen. Erst siebzehn Jahre sind¬
es her, daß die „Liebelei“ die einen neuen Mädchentypuss
in die deutsche Poesie brachte, „Das süße Mädel“, dessen
Variationen uns nun schon fast zum Ueberdruß bei
gegnen, zuerst gespielt wurde. Wie hat sich seitdem di
Zeit verändert! Man kommt, sagte Salten ungefähr
über die Verwunderung ob der Feindseligkeit der älterer
Generation gegen diese neue Poesie gar nicht heraus. Zwa
haben verständnisvolle Männer, wie Friedrich Uhl, auch
nicht so ganz ohne Vorbehalt der neuen, manche Schleie
der Konvention zerreißenden Erotik zugestimmt; aber Uh
sagte doch: „Ich kann mir nicht helfen. er schreibt prachts
voll!“ Das war zur selben Zeit, wo die höheren Töchter
noch für die „Aegyptische Königstochter“ schwärmten
und gute Männer, die berufsmäßig Wohltätigkeit zu übe
pflegten, „Hanneles Himmelfahrt“ von Georg Haupt
mann für ein — pornographisches Werk erklärten! Da
meinte Salten, war allerdings eine Verständigung der
Generationen kaum möglich und die neue Poesie mußt
sich ihr Publikum erst erziehen. Kunst und Moral werden
in jedem Zeitalter solche Kämpfe miteinander auszu¬
fechten haben, führte Salten weiter aus, und zeigte, wie
erziehend gerade auch diese dem älteren Geschlechte oft
so gefahrvoll erschienenen Liebesdichtungen Schnitzlers auf
das Gemüt wirken. Entscheidend für das ganze Seelen¬
leben sowohl des Mannes wie des Weibes ist es, in welcher
Weise sie zum erstenmal die Liebe kennen gelernt haben.
Der tiefe Humanismus, die Wärme und Güte Schnitzlers,
sein großes Mitleid mit den Schwachen, der Mut seiner
Kritik an den Starken und Mächtigen — sie sind die
Quellen seiner Dichtung. Dazu kommt noch ihre spezifisch
wienerische Note. Salten zog hier Vergleiche mit dem
Charatter der Londoner und Berliner Natur und Poesie,
wies auf die Schönheit und Bedeutung der „Patina“ an
der Kultur Wiens und wies auf Schnitzlers Verwandt¬
schaft mit dem Pariser Henri Murger hin. Nur in den
einen Punkte muß man die Darstellung Saltens ergänzen
da er behauptete, daß Schnitzler der allererste geweser
wäre, der die spezifisch wienerische Note in die Poesic
gebracht hätte. Er vergaß offenbar, daß Grillparzen
im „Armen Spielmann“, die noch heute nicht übertroffene
erste Wiener Novelle, geschrieben hat, und daß Adalbert¬
Stifter, Ferdinand v. Saar, Marie Ebner ihm hier
Gefolgschaft leisteten und neue Töne anschlugen: Ims
übrigen hielt sich Salten bei aller Wärme für den ge¬
feierten Dichter mit gutem Geschmack von Ueberschwäng¬
lichkeiten fern und sprach auch von den äußerlich günstigen
Umständen, welche die Wirkung Schnitzlers ins Breite
förderten. Schon das aber, so schloß Salten, sei ein Vor¬
teil, daß sich heute die zwei literarischen Generationen nicht
mehr so unversöhnlich wie vor zwanzig Jahren gegenüber¬
stehen. Die weitere Entwicklung des nun erst auf die Höhe
des Lebens gelangten Dichters könne noch gar nicht ab¬
gesehen werden.
Saltens jedem Pathos anmutig ausweichende
Plauderei wurde mit großem Beifall aufgenommen, und
dann lasen drei der beliebtesten Wiener Künstler aus
Schnitzlers Dichtungen vor. Frau Elsa Galafrés¬
Hubermann vom Deutschen Volkstheater las „Die
dreifache Warnung“, jener erschütternde Aufschrei des Welt¬
schmerzes über das undurchdringliche Dunkel des Lebens,
dessen innere Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit wir ahnen,
ohne darum geschützt vor Fehl und Irrtum zu bleiben.
Dann das Fräulein Lilli Marberg vom Burgtheater die
Geschichte „Der Ehrentag“ vor: die Tragödie des armen,
zu kleinen Nebenrollen verurteilten, in seinen künstlerischen
Joffnungen vom Leben so tief enttäuschten Schauspielers,
Rit dem sich übermütige Jugend einen unverantwortlichen
Scherz erlaubt hat. Die Wirkung der sich erschütternd zu¬
spitzenden Erzählung blieb bei der Vorlesung des Fräuleins
Marberg nicht aus. Und endlich — es war schon spät, nach
self Uhr nachts geworden — las Herr Arnold Korff uns
die prachtvolle Geschichte „Exzentrik“ vor, aber mit so
samüsanter Charakteristik der einzelnen darin zitierten
Schauspieler (Sonnenthal, Mitterwurzer), und so humor¬
voller Zeichnung der Exzentrikdame in ihrem internationalen
Sprachgemisch, daß er trotzdem große Heiterkeit erweckte
und reichen Beifall erntete.
offnete. Salten war mit Schnitzler schon zu einer Zeit
freundschaftlich verbunden, wo die neue literarische
Generation einem großen Widerstande begegnete, noch mehr
beim großen Publikum als bei der literarischen Kritik.
Es sind kaum zwanzig Jahre her, daß die Anatolszenen
zuerst erschienen sind, die jetzt einzeln oder zusammen fast
keiner deutschen Bühne fehlen. Erst siebzehn Jahre sind¬
es her, daß die „Liebelei“ die einen neuen Mädchentypuss
in die deutsche Poesie brachte, „Das süße Mädel“, dessen
Variationen uns nun schon fast zum Ueberdruß bei
gegnen, zuerst gespielt wurde. Wie hat sich seitdem di
Zeit verändert! Man kommt, sagte Salten ungefähr
über die Verwunderung ob der Feindseligkeit der älterer
Generation gegen diese neue Poesie gar nicht heraus. Zwa
haben verständnisvolle Männer, wie Friedrich Uhl, auch
nicht so ganz ohne Vorbehalt der neuen, manche Schleie
der Konvention zerreißenden Erotik zugestimmt; aber Uh
sagte doch: „Ich kann mir nicht helfen. er schreibt prachts
voll!“ Das war zur selben Zeit, wo die höheren Töchter
noch für die „Aegyptische Königstochter“ schwärmten
und gute Männer, die berufsmäßig Wohltätigkeit zu übe
pflegten, „Hanneles Himmelfahrt“ von Georg Haupt
mann für ein — pornographisches Werk erklärten! Da
meinte Salten, war allerdings eine Verständigung der
Generationen kaum möglich und die neue Poesie mußt
sich ihr Publikum erst erziehen. Kunst und Moral werden
in jedem Zeitalter solche Kämpfe miteinander auszu¬
fechten haben, führte Salten weiter aus, und zeigte, wie
erziehend gerade auch diese dem älteren Geschlechte oft
so gefahrvoll erschienenen Liebesdichtungen Schnitzlers auf
das Gemüt wirken. Entscheidend für das ganze Seelen¬
leben sowohl des Mannes wie des Weibes ist es, in welcher
Weise sie zum erstenmal die Liebe kennen gelernt haben.
Der tiefe Humanismus, die Wärme und Güte Schnitzlers,
sein großes Mitleid mit den Schwachen, der Mut seiner
Kritik an den Starken und Mächtigen — sie sind die
Quellen seiner Dichtung. Dazu kommt noch ihre spezifisch
wienerische Note. Salten zog hier Vergleiche mit dem
Charatter der Londoner und Berliner Natur und Poesie,
wies auf die Schönheit und Bedeutung der „Patina“ an
der Kultur Wiens und wies auf Schnitzlers Verwandt¬
schaft mit dem Pariser Henri Murger hin. Nur in den
einen Punkte muß man die Darstellung Saltens ergänzen
da er behauptete, daß Schnitzler der allererste geweser
wäre, der die spezifisch wienerische Note in die Poesic
gebracht hätte. Er vergaß offenbar, daß Grillparzen
im „Armen Spielmann“, die noch heute nicht übertroffene
erste Wiener Novelle, geschrieben hat, und daß Adalbert¬
Stifter, Ferdinand v. Saar, Marie Ebner ihm hier
Gefolgschaft leisteten und neue Töne anschlugen: Ims
übrigen hielt sich Salten bei aller Wärme für den ge¬
feierten Dichter mit gutem Geschmack von Ueberschwäng¬
lichkeiten fern und sprach auch von den äußerlich günstigen
Umständen, welche die Wirkung Schnitzlers ins Breite
förderten. Schon das aber, so schloß Salten, sei ein Vor¬
teil, daß sich heute die zwei literarischen Generationen nicht
mehr so unversöhnlich wie vor zwanzig Jahren gegenüber¬
stehen. Die weitere Entwicklung des nun erst auf die Höhe
des Lebens gelangten Dichters könne noch gar nicht ab¬
gesehen werden.
Saltens jedem Pathos anmutig ausweichende
Plauderei wurde mit großem Beifall aufgenommen, und
dann lasen drei der beliebtesten Wiener Künstler aus
Schnitzlers Dichtungen vor. Frau Elsa Galafrés¬
Hubermann vom Deutschen Volkstheater las „Die
dreifache Warnung“, jener erschütternde Aufschrei des Welt¬
schmerzes über das undurchdringliche Dunkel des Lebens,
dessen innere Gesetzmäßigkeit und Gerechtigkeit wir ahnen,
ohne darum geschützt vor Fehl und Irrtum zu bleiben.
Dann das Fräulein Lilli Marberg vom Burgtheater die
Geschichte „Der Ehrentag“ vor: die Tragödie des armen,
zu kleinen Nebenrollen verurteilten, in seinen künstlerischen
Joffnungen vom Leben so tief enttäuschten Schauspielers,
Rit dem sich übermütige Jugend einen unverantwortlichen
Scherz erlaubt hat. Die Wirkung der sich erschütternd zu¬
spitzenden Erzählung blieb bei der Vorlesung des Fräuleins
Marberg nicht aus. Und endlich — es war schon spät, nach
self Uhr nachts geworden — las Herr Arnold Korff uns
die prachtvolle Geschichte „Exzentrik“ vor, aber mit so
samüsanter Charakteristik der einzelnen darin zitierten
Schauspieler (Sonnenthal, Mitterwurzer), und so humor¬
voller Zeichnung der Exzentrikdame in ihrem internationalen
Sprachgemisch, daß er trotzdem große Heiterkeit erweckte
und reichen Beifall erntete.