VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 174

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Berlin —
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SCHNITZLER. VON FELIX SALTEN.

or zwanzig Jahren etwa: Premierenabend im Deutschen Volks¬
Stheater. Das Schauspiel eines jungen Wieners wird aufgeführt.
Zum erstenmal erscheint sein Name auf dem Zettel einer großen
Bühne, zum erstenmal tritt er der breiten Offentlichkeit mit
einem Werk gegenüber, das die Spuren beginnender Reife trägt. Er steht
hinter den Kulissen und hat den unablässigen, von Herzklopfen unablässig
wieder zerhämmerten Gedanken: es ist ein entscheidender Abend! Allein
solche Abende sind fast niemals entscheia#d, wenigstens nicht in dem Sinn,
den man ihnen gibt, während man sie durchiebt.
Das Stück ist von einer jugendlich süßen Melancholie; es ist traurig,
es ist ernst: und alle Welt lacht. Damals war die Zeit, in der man auch bei
Ibsen-Premieren noch lachte, und bei Hauptmann-Aufführungen noch in
Streit miteinander geriet. Diesmal aber stand die Sache noch ein wenig
anders. „Das Märchen“ war von einem Wiener. Man brauchte also keine
Höflichkeitsdistanz einzuhalten: man war unter sich und hatte sich nicht
zu genieren. Das verschärfte die Situation. Man hatte es wieder einmal in
der Hand, ob man einen Hiesigen, wie das nette Wort lautet, „aufkommen“
lassen wollte oder nicht. Und man fühlte sich, wieder einmal, entschlossen,
ihn nicht aufkommen zu lassen. Absolut nicht.
Das Stück war merkwürdig. Schwächlich und kraftvoll zugleich.
Schwächlich in der handwerksmäßigen Geschicklichkeit, die dem Publikum
zugewendete Außenfront mit dem wettersicheren Spritzbewurf, mit dem ge¬
fälligen Stukkaturzierrat erprobter Bühnenwirkungen zu verputzen. Kraftvoll
aber im zeichnerischen Strich, der lebendige Profile schuf. Kraftvoll auch in
den menschlichen Akzenten, die aus dem Dialog hervorschlugen, und in
allen seelischen Zwischentönen, die von wahrhaftem, unmittelbaren Erlebt¬
sein vibrierten. Die Handlung eine Variation des Hebbel-Themas: „Darüber
kann kein Mann weg“, durchgeführt von einer fein kultivierten Nervosität
der Sinne und des Geistes.
Das Stück wurde ausgelacht, verhöhnt, beschimpft, in tausend Fetzen
gerissen. Eine aromatisch echte, poetisch schimmernde wienerische Atmo¬
sphäre wehte durch dieses Stück, vielleicht zum erstenmal auf unserer
Schaubühne, die bisher bloß dem Pariser Lokalkolorit gedient hatte. Die
Leute wollten davon nichts wissen. In diesem Stück war der Duft des
Frühlings, der Jugend, der Liebe. Und diese Jugend entblößte ihr Herz und
wies die subtile, kleine, tötliche Wunde, aus der es blutete. Die Leute
sagten: wir pfeifen darauf.
Das ganze Theaterstück war überhaupt ein Unfug. Man kannte ja den
jungen Herrn, der es geschrieben, man hatte ihn auf allen möglichen
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