VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 178

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und bitteren Gefühl von Weh und Reue, von Zärtlichkeit, Todesahnung
und Glückessehnsucht in der Brust.
Hier ist der breite Todesschatten, den Schnitzler immer über die
Festlichkeiten des Lebens hingleiten läßt. Fröhlichkeit und Fülle des
Seins rückt er immer hart an den Rand der furchtbaren Leere, sieghaftes
Glück auf seiner Höhe rückt er dicht an den Abgrund, daß es vom Schauer
des Sturzes angeweht wird. Wie in Hebbels Rosengedicht scheinen Schnitzlers
Menschen in jedem sommerlichen Augenblick der Daseinslust, in ihrem
wachem Bewußtsein vor sich hinzusagen: „So weit im Leben ist zu nah am Tod“.
Hier waltet auch schon das Schicksal, wie Schnitzler es ansieht.
Jenes Schicksal, das Pointierungen liebt. Der junge Mann ist in einer vor¬
übergehenden Affaire befangen gewesen. Ein kleiner Roman mit einer ver¬
heirateten Frau. Was weiter? Er wird daraus hervorschreiten. Dies Erlebnis
beginnt schon von ihm abzugleiten, spurlos beinahe. Schon öffnet sich der
Reichtum neuer Erlebnisse vor ihm. Aber er hat es nicht gewußt, daß
jener erledigte Roman eben der Roman seines Daseins gewesen, daß er
selbst der tragische, todgeweihte Held dieser abgeschmackten Geschichte ist.
Er glaubt, ein anderes Stück beginne. Aber er irrt sich. Er muß in der
letzten Szene des alten Stückes sterben, jener Komödie, die ihn ganz und
gar nicht mehr interessiert. Seine Ahnung setzt erst am Schlusse ein. Zu
spät für ein Entrinnen. Nur früh genug, um noch knapp vor dem Fallen
des Vorhangs zu erkennen, daß es ein dichterischer Einfall des Schicksals
ist, ihn nicht als heroisches Opfer seiner Leidenschaft sterben zu lassen,
sondern als einen schon Entnüchterten, als einen, der mit seiner Neigung
schon bei einer andern weilt, als bei derjenigen, für die er sich töten läßt.
Diese andere wieder, das Vorstadtmädchen, hat ihre ganze Liebe, ihren ganzen
Glauben, den Inhalt ihrer Juger. hingegeben, an einen Mann, der eines
Tazes im Kampf um eine fremde, ferne Frau erschossen wird. Ein Schicksal,
das sich in Pointierungen gefällt.
* *
Aber das sind nur scheinbare Pointen. In einem höheren Betracht als
in dem der wirksamen Fabelführung sind es Perspektiven. Durchblicke in
die Zusammenhänge aller Menschen. Wir sind aneinander gebunden mit
unsichtbaren Fäden, ohne es zu ahnen, wie jene mondaine, ehebrecherische
Frau an das einfache, unschuldige Vorstadtmädchen gebunden ist, ohne daß
sie es jemals wissen wird. Ein großer Puppenspieler hält uns alle an diesen
Fäden, und wir spielen alle mit in einem Stück, dessen Sinn und Inhalt,
dessen Handlung und Ausgang wir nicht kennen. Das ist die dichterische
Weltanschauung Arthur Schnitzlers, und seine Kunst strebt von der „Liebelei“.
angefangen, beständig dahin, Zusammenhänge zu geben, keine Ausschnitte.
Er gibt sie fröhlich, wie in jenem übermütigen Zyklus kleiner unsagbarer
Umarmungen, den er „Reigen“ nennt. Wie sind da alle ineinander verschränkt,
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