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Lothand sth Birthday box 39/2
Im „Ruf des Lebens“ schon macht Schnitzler den Versuch, das Starre
und Schematische der Verknüpfungen festzustellen, in dem Wirrsal der
Zusammenhänge eine Primitivität zu zeigen, die beinahe an das Marionetten¬
spiel erinnert. Er rückt dann noch eine Stufe höher und erkennt den
Humor, der im Schematischen sich birgt. Er weiß, daß es irgendwo einen
Gipfel geben muß, von dem aus wir auf uns selbst hernieder schauen und
zu uns herablächeln können. Es gibt eine Höhe über den Ereignissen, von
der aus gesehen, alle ihre Wichtigkeiten klein und komisch wirken. Und
jedes dichterische Bemühen muß sich von dort her als halb schon wieder
lächerliche Spielerei ausnehmen, die alten ewigen Kasperlfiguren dieses
Welttheaters mit neuen, differenzierten Farben zu bemalen, in neuen über¬
flüssig bedeutungsvollen Geberden zu bewegen. Sein „Großer Wurstel“ und
sein „Tapferer Cassian“ sind die reizvollen Versuche eines Dichters, über
sich selbst hinauszudringen. In ihnen ist das spöttische Mißtrauen gegen
große Worte, das anmutig erschreckte Abrücken vom eigenen Pathos.
Werin wir sein Werk heute betrachten, ergibt sich: daß er ein Wer¬
dender ist, einer, der noch nicht fertig werden konnte. Er hat nur erst
die Umrisse seines Könnens und seiner Art entworfen. Mit solch meister¬
lichen Strichen freilich, daß wir aus ihnen sein Wesen zu begreifen ver¬
mögen; die Wurzeln seiner edlen Menschlichkeit, die Gepflegtheit seiner
aristokratischen Technik. Seinen Hang zur Weichheit und seine Kraft zur
Härte. Seine männlich ernste Anmut, und den seltsamen Liebreiz, mit dem
er am Ende eines langen ernsten Nachdenkens zu einem kindlichen Auf¬
lachen gelangt.
Er hat viele Werke geschaffen, die berühmt geworden sind, und
manche von ihnen werden vielleicht noch berühmter werden, als man heute
ermessen mag. Aber in keinem von ihnen ist noch ein Zeichen des Ab¬
schließens, in allen pulsiert die Verheißung des Kommenden. Sie nehmen sich
aus wie Entwicklungsstationen, wie Botschaften von unterwegs. Sie scheinen
aus einem Reichtum zu kommen, der eben dabei ist, sich zu münzen und
zu ordnen.
Seine Entscheidungen stehen noch bevor. Daß er uns diese erwartende
Empfindung, dieses, mit seinem Wachstum im Wachsen begriffene Zutrauen
zu geben vermag, zu allem, was er uns bis jetzt schon gegeben hat, macht
seine beste Wirkung aus. Vielleicht bringen uns die nächsten Jahre das reine
Lustspiel, das man von ihm erhofft, vielleicht auch den großen Roman,
den einer doch schreiben kann, der den Weg ins Freie gefunden hat,
wie er.
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Im „Ruf des Lebens“ schon macht Schnitzler den Versuch, das Starre
und Schematische der Verknüpfungen festzustellen, in dem Wirrsal der
Zusammenhänge eine Primitivität zu zeigen, die beinahe an das Marionetten¬
spiel erinnert. Er rückt dann noch eine Stufe höher und erkennt den
Humor, der im Schematischen sich birgt. Er weiß, daß es irgendwo einen
Gipfel geben muß, von dem aus wir auf uns selbst hernieder schauen und
zu uns herablächeln können. Es gibt eine Höhe über den Ereignissen, von
der aus gesehen, alle ihre Wichtigkeiten klein und komisch wirken. Und
jedes dichterische Bemühen muß sich von dort her als halb schon wieder
lächerliche Spielerei ausnehmen, die alten ewigen Kasperlfiguren dieses
Welttheaters mit neuen, differenzierten Farben zu bemalen, in neuen über¬
flüssig bedeutungsvollen Geberden zu bewegen. Sein „Großer Wurstel“ und
sein „Tapferer Cassian“ sind die reizvollen Versuche eines Dichters, über
sich selbst hinauszudringen. In ihnen ist das spöttische Mißtrauen gegen
große Worte, das anmutig erschreckte Abrücken vom eigenen Pathos.
Werin wir sein Werk heute betrachten, ergibt sich: daß er ein Wer¬
dender ist, einer, der noch nicht fertig werden konnte. Er hat nur erst
die Umrisse seines Könnens und seiner Art entworfen. Mit solch meister¬
lichen Strichen freilich, daß wir aus ihnen sein Wesen zu begreifen ver¬
mögen; die Wurzeln seiner edlen Menschlichkeit, die Gepflegtheit seiner
aristokratischen Technik. Seinen Hang zur Weichheit und seine Kraft zur
Härte. Seine männlich ernste Anmut, und den seltsamen Liebreiz, mit dem
er am Ende eines langen ernsten Nachdenkens zu einem kindlichen Auf¬
lachen gelangt.
Er hat viele Werke geschaffen, die berühmt geworden sind, und
manche von ihnen werden vielleicht noch berühmter werden, als man heute
ermessen mag. Aber in keinem von ihnen ist noch ein Zeichen des Ab¬
schließens, in allen pulsiert die Verheißung des Kommenden. Sie nehmen sich
aus wie Entwicklungsstationen, wie Botschaften von unterwegs. Sie scheinen
aus einem Reichtum zu kommen, der eben dabei ist, sich zu münzen und
zu ordnen.
Seine Entscheidungen stehen noch bevor. Daß er uns diese erwartende
Empfindung, dieses, mit seinem Wachstum im Wachsen begriffene Zutrauen
zu geben vermag, zu allem, was er uns bis jetzt schon gegeben hat, macht
seine beste Wirkung aus. Vielleicht bringen uns die nächsten Jahre das reine
Lustspiel, das man von ihm erhofft, vielleicht auch den großen Roman,
den einer doch schreiben kann, der den Weg ins Freie gefunden hat,
wie er.
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