VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 188

Seite 312
Nr. 19
Dr. Blochs Wochenschrift
im jüdischen Wien. Geschadet hat es ihm gerade nicht, und unserer Zeit stehen bleiben. Aufrichtig möchte ich wünschen,
der Dichter hat ja glücklicherweise Zeit, zu warten, bis ihm
daß es dem Autor, in dessen rotblonde Dichtermähne sich noch
auch hier eine volle Anerkennung zuteil werden wird. Man
kein graues Haar mischt, gegönnt sein möchte, für sich und seine
kann über den absoluten Wert seiner Dichtungen streiten,
Kinder eine Epoche zu erleben, wo sie nicht mehr gelten können.
man kann einräumen, daß ihm die letzten tiefen und großen
Und noch in einem Punkt können wir, die Zollschan's
Akzente des Tragikers, wie sie Hofmannsthal, Anzengruber
Werk mit Bewunderung für die darin aufgebotene Gelehr¬
oder selbst Schönherr zu Gebote stehen, versagt sind, daß
samkeit, aber mit tiefer Trauer über die Shlußfolgerung,
seiner in das weite Land der Seele in ihren psychologischen
die er ziehen zu müssen glaubte, gelesen haben, durch Schnitzler
und physiologischen Untiefen so tief hinuntertauchenden und
Trost schöpfen. Die Schlußfolgerung, daß der europäische
so vornehm herausholenden Kunst mehr die anmutige Sil¬
Jude, der drei Generationen der Bildungswelt angehört, sich
honette als der große plastische Wurf gelingt, man mag
auch äußerlich vom Judentum loslöst, Schnitzler ist ein Bei¬
einräumen, daß ihn Naturwahrheit und Schaffenskraft oft
spiel, eine leuchtende Zukunftshoffnung für das Gegenteil.
verlassen, wenn er seinen Nährboden, die obersten Schichten
Er lebt zufällig seit vier Generationen in Wien und sein Stamm¬
der Wiener Bourgeoisie verläßt, man mag bedauern, daß
baum (Urgroßvater: baronisierter Bankier: Großvater hervor¬
selbst da, wo er im „Vermächtnis“ und im „Freiwild“ tiefere
ragender Arzt und Fachschriftsteller; Vater: Universitäts¬
Probleme anschneidet, es wieder nur Probleme der Schnei¬
professor und Arzt von Weltruf) widerlegt Zollschans Behaup¬
dungsflächen dieser Kaste mit dem Kleinbürgertum oder der
tung von selbst. Hätten wir mehr Schnitzlers, daß heißt mehr
Bohème sind, eines ist aber sicher, diese langsam versinkende
zu Mehrern deutscher Geisteskultur, deutscher Sprache, deutschen
Welt, welche der wirtschaftliche Aufschwung und der Liberalis¬
Weltruyms Gewordene, die ihr Judentum nicht verleugnen,
mus herangezogen, diese Wiener Frau der jüngsten Ver¬
wahrlich, um das Ansehen unseres Volkes wäre es besser
gangenheit, die von einem stärkeren „dritten“ Geschlecht ab¬
bestellt. Und so möge der Dichter diesen bescheidenen Fest¬
gelöst wird, und deren geheimen Leiden und noch geheimeren
gruß einer durch drei Generationen bestandenen Familien¬
Freuden der gewesene Nervenarzt so wundervoll nachgegangen
freundschaft mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit und
ist, dieser Rebenduft der Wiener Landschaft, der in der wach¬
Nachsicht aufnehmen.
B.
senden Großstadt verschwinden wird, dieses vornehme, dekadente
Aesthetentum einer alternden Hyperkultur, alles das, was
die spezielle Wiener Note ausmacht, wird für den Kultur¬
Vom Jahrmarkt des Tebens.
historiker in Schnitzler's Werken weiterleben.
Der Dichter, der einst ein Stürmer und Dränger in
Ein Monument für einen berühmten Märtyrer der
Glacéhandschuhen und Gamaschen war und jeden Zusammen¬
Inquisition in Lissabon.
hang mit der Tradition ableugnen wollte, ist sich heute wohl
In Lissabon wird, wie wir dortigen Blättern ent¬
selbst bewußt, daß seine Bertha Garlan eine Tochter der
nehmen, demnächst auf dem vornehmsten Platze der
Hero, viele seine von Frauengunst getragenen und von Frauen
Stadt, auf welchem sich auch die Kathedrale befindet,
vorwärts geschobenen jungen Männer Abkömmlinge des
ein Monument zum Andenken des portugiesischen Dich¬
Phaon und Jason, ja selbst sein junger Medardus im
ters Antonio Jose da Silva enthüllt werden. Antonio
Innersten mit dem greisen Kaiser Rudolf II. wahlverwandt
Jose da Silva wurde im Jahre 1705 in Nio de Janeiro
ist. Und wie die Form bei ihm oft den Inhalt überragt,
als Sohn eines berühmten jüdischen brasilianischen Advo¬
ist er seit Walter von der Vogelweide der erste Oesterreicher,
katen am 8. Mai geboren. Beide Eltern waren
dessen Sprache von Deutschen als mustergiltig empfunden
Marannen, die mit Gewalt zur Taufe geführt wurden.
wird, eine Sprache, über die ein deutscher Literarhistoriker
Im Alter von 8 Jahren kam Antonio Jose in Ent¬
mit Recht die Devise: Goethe gesetzt hat, und deren wir
sprechung eines Ediktes des Königs Johann des Fünf¬
uns umso mehr erfreuen können, als nirgends auf unsere
ten, wonach sämtliche verdächtigen und geheimen Juden
österreichische Literatursprache hochmütiger herabgeblickt
Brasiliens in die Hauptstadt Portugals gebracht werden
wurde, als im deutschen Norden.
mußten, mit seinen Eltern nach Lissabon, wo sie unter
Da spricht es nun Bände für die ganze Tragik des
ständiger Aufsicht der Inquisition standen. Hier studierte
Judentums, daß dieser Mann, der jüdischen Sitten, jüdischem
er die Rechtswissenschaft, widmete jedoch den größten Teil
Ritus, jüdischem Volkscharakter ganz ferne steht, dem seiner
seiner Zeit seinen poetischen Neigungen und dem Studium
Erziehung nach das Judentum nicht einmal ein pieux
der Literatur. Seine Poesie brachte ihn auch zuerst in
souvenir de famille, wie Theodor Gomperz von sich sagte,
Konflikt mit der heiligen Inquisition. Im Alter von
sein konnte, der noch dazu, wie sein Dichter Bermann, die
kaum 21 Jahren wurde er in den Kerker geworfen,
im harten Daseinskampf erworbenen Fehler und Vorzüge
und am 18. September 1726 als Ebraizzante zum ersten¬
des Juden gleich abstoßend empfindet, ihm, der nie einen
mal der Tortur unterzogen. Von da ab beginnt die
Daseinskampf geführt, der im praktischen Leben von rührender
große Serie der unbeschreiblichen Qualen für ihn und
Unbeholfenheit ist und eines am wenigsten versteht,
seine Familie. Einer hochstehenden Protektion verdankte
sich vorzudrängen und zur Geltung zu bringen, einer
er seine Befreiung und heiratete gleichfalls eine Ma¬
der wenigen, der wohl in keiner Sekunde an sich den
rannin namens Leonora Maria Carvallo, Tochter der
Fluch erfahren, Jude zu sein und dem von germanischen
Hanna Henriques, welch letztere ihr Leben auf dem
Volksgenossen vielleicht zuerst und am aufrichtigsten zugejubelt
Scheiterhausen lassen mußte.
worden ist, da ist es nun tief tragisch, wenn selbst
ein solcher Mann die aus tiefster Seele kommenden Worte
Antonio Jose da Silva widmete sich nun ganz der
im Weg ins Freie gesagt hat: „Glauben Sie, daß es einen
Poesie. Frei wie in seinem Denken war er auch in
Christen auf Erden gibt, und wäre es der edelste und ge¬
seinen Schriften. Und das sollte sein Verderben sein.
rechteste und treueste, einen einzigen, der nicht in irgend
Er geriet das zweitemal in den Kerker, diesmal mit¬
einem Augenblick des Grolls, des Unmuts, des Zorns selbst
samt seiner jungen Gattin und seiner greisen Mutter.
gegen seinen besten Freund, gegen seine Geliebte, gegen seine
Seine sämtlichen Schriften, seine Gedichte, Lustspiel= und
Frau, wenn sie Juden oder jüdischer Abkunft waren, deren
Dramen, welche in jener Zeit sich der größten Populari¬
Judentum, innerlich wenigstens, ausgespielt hätte?" Diese
tät erfreuten, wurden auf den Inder gesetzt und öffent¬
Worte, die eine so tief tragische Wahrheit enthalten und
lich verbrannt. Am 19. Oktober 1739 starb Antonio
noch wahrer wären, wenn Schnitzler statt Christ Deutscher
Jose da Silva, nachdem er den Torturen aller Grade
gesagt hätte, denn vom Italiener und Engländer möchte ich
unterworfen war, auf dem Campo de Lu in Lissabon
das gleiche nicht behaupten, werden als trauriges Denkmal den Feuertod des Märtyrers. „Der Tod dieses Men¬