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5oth and 55th Birthday
den geistigen Mittelpunkt festgelegt und hat seinem wüsten Untergangsthema
Zug um Zug, Beispiel auf Beispiel, Beleg auf Beleg, Fall auf Fall zugeführt.
Mit einem Reichtum des Witzes, einer Straffheit des Gefüges, einer Klarheit
der Steigerung, daß ein fortreißender Sieg der Grundarbeit zustande kommt,
wie er kaum einen Franzosen so rein und scharf je gelang. Gewiß, es
bleibt mehr im gallischen Genre als andere Werke Schnitzlers; die Gestalten
des „Einsamen Weg“ sind uns menschlich näher als Henri und der Herzog,
die doch nur bunte Fäden im Gespinst sind. Aber das ganze Netz ist
unzerreißlich und groß gewoben, fängt und hält uns sicherer als irgend eine
andere Arbeit Schnitzlers; es nimmt uns und reißt uns in alle Schauer
der eigentlich Schnitzlerschen Tragödie, der Tragödie des Komödiantentums.
GLOCKWUNSCH. VON HERMANN BAHR.
imm dies, lieber Arthur, von mir auf, wie's Dir gebracht wird:
reinen Herzens!
Zwanzig Jahre leben wir jetzt an einander her, oft lief der eine
— wunderlich vom Wege querfeldein, doch nie so weit, daß wir uns
aus den Augen kamen. Vielleicht weißt Du drum mehr als ich selbst von
mir; und ich vielleicht von Dir. So gewähre, daß ich Dir sagen darf, was
mit Dir ist: laß mich Dich Dir deuten!
Wahrheit spricht: werde was Du bist! Welt spricht: Mir diene, mir!
Wien spricht: Nur nix übertreiben! Wer, in dieses Land gebannt, hatte je
den Mut zu wählen? Wir sind hier vom Schlag der Menschen, denen der
Meister Seuse nachsagt, daß sie wollen und wollen doch nicht. So gehts allen;
nur merkt man es an anderen mehr als an sich. Und auch Du, mein Arthur,
hast zuweilen Wien erhört, auch Du hast Dich von Dir selbst, von der
Entscheidung zu Dir selbst wegschmeicheln lassen! Dann schreibst Du Gie
Stücke, die nicht von Dir sind, sondern vom Anatol. Denn, Arthur, der Wiener
in Dir ist Anatol. Den werden sie heute kränzen. Nimm den Kranz, heb
Dir ihn gut auf, aber leg ihn weg! Leg ihn weg und laß ihn weg, dann
aber geh getrost auf den Sechziger los. Den Anatol laß bei dem Wiener Kranz,
er ist kein Begleiter zu dem, was Deiner harrt! Schöneres kann, wer Dir
gut ist, Dir am heutigen Tage nicht wünschen.
Erinnerst Du Dich, was Kürnberger über Grillparzer schrieb? Moses
flehte zum Herrn: schicke einen anderen, Herr, schicke meinen Bruder
Aron! Aber der Herr hat ihn nicht erhört. Sonst wäre Moses gestorben
„als ein alter loyaler Hofrat des Pharao.“ Grillparzer aber hat der Herr
erhört. „Grillparzer packte seine großen Fähigkeiten und starken Leidenschaf¬
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den geistigen Mittelpunkt festgelegt und hat seinem wüsten Untergangsthema
Zug um Zug, Beispiel auf Beispiel, Beleg auf Beleg, Fall auf Fall zugeführt.
Mit einem Reichtum des Witzes, einer Straffheit des Gefüges, einer Klarheit
der Steigerung, daß ein fortreißender Sieg der Grundarbeit zustande kommt,
wie er kaum einen Franzosen so rein und scharf je gelang. Gewiß, es
bleibt mehr im gallischen Genre als andere Werke Schnitzlers; die Gestalten
des „Einsamen Weg“ sind uns menschlich näher als Henri und der Herzog,
die doch nur bunte Fäden im Gespinst sind. Aber das ganze Netz ist
unzerreißlich und groß gewoben, fängt und hält uns sicherer als irgend eine
andere Arbeit Schnitzlers; es nimmt uns und reißt uns in alle Schauer
der eigentlich Schnitzlerschen Tragödie, der Tragödie des Komödiantentums.
GLOCKWUNSCH. VON HERMANN BAHR.
imm dies, lieber Arthur, von mir auf, wie's Dir gebracht wird:
reinen Herzens!
Zwanzig Jahre leben wir jetzt an einander her, oft lief der eine
— wunderlich vom Wege querfeldein, doch nie so weit, daß wir uns
aus den Augen kamen. Vielleicht weißt Du drum mehr als ich selbst von
mir; und ich vielleicht von Dir. So gewähre, daß ich Dir sagen darf, was
mit Dir ist: laß mich Dich Dir deuten!
Wahrheit spricht: werde was Du bist! Welt spricht: Mir diene, mir!
Wien spricht: Nur nix übertreiben! Wer, in dieses Land gebannt, hatte je
den Mut zu wählen? Wir sind hier vom Schlag der Menschen, denen der
Meister Seuse nachsagt, daß sie wollen und wollen doch nicht. So gehts allen;
nur merkt man es an anderen mehr als an sich. Und auch Du, mein Arthur,
hast zuweilen Wien erhört, auch Du hast Dich von Dir selbst, von der
Entscheidung zu Dir selbst wegschmeicheln lassen! Dann schreibst Du Gie
Stücke, die nicht von Dir sind, sondern vom Anatol. Denn, Arthur, der Wiener
in Dir ist Anatol. Den werden sie heute kränzen. Nimm den Kranz, heb
Dir ihn gut auf, aber leg ihn weg! Leg ihn weg und laß ihn weg, dann
aber geh getrost auf den Sechziger los. Den Anatol laß bei dem Wiener Kranz,
er ist kein Begleiter zu dem, was Deiner harrt! Schöneres kann, wer Dir
gut ist, Dir am heutigen Tage nicht wünschen.
Erinnerst Du Dich, was Kürnberger über Grillparzer schrieb? Moses
flehte zum Herrn: schicke einen anderen, Herr, schicke meinen Bruder
Aron! Aber der Herr hat ihn nicht erhört. Sonst wäre Moses gestorben
„als ein alter loyaler Hofrat des Pharao.“ Grillparzer aber hat der Herr
erhört. „Grillparzer packte seine großen Fähigkeiten und starken Leidenschaf¬
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