VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 5

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Soth and 55th Birthday
ten zusammen, sperrte sie in die Schublade und steckte den Schlüssel zu
sich.“ Und wer ist unter uns, der sicher wäre, daß nicht auch ihn der
Herr noch erhört? Arthur, mir bangt oft, denn Anatol hat viel zum Hofrat
Pharaos.
Du hast jetzt Erfolg um Erfolg. Aber Du weißt ja, daß man in dieser
Stadt hier nur durch Mißverständnis Erfolg hat, dadurch allein, daß die
Leute nicht merken, wer man ist. Warum soll man sich ein solches Mi߬
verständnis nicht gefallen lassen? Aber gib dem Teufel nur dieser kleinen
Finger, so hat er Dich schon und Du wünschest Dir dann, daß sie Dich
mißverstehen! Nein, Arthur, man kann nicht unerkannt berühmt sein. Es
hilft Dir nichts, einmal wirst Du doch wählen müssen. Wählen zwischen
Wien und Dir!
Weißt Du noch, daß ich Dir das schon vor Jahren schrieb? Ganz
plötzlich kam es einmal über mich. Ich taumelte damals noch im Irrgarten
der Theaterkritik, da saß ich einst in einem Stück von Dir, auch einem
der Stücke, die mir so gut gefallen, bis mir dann auf einmal einfällt, daß
sie von Dir sind, denn von Dir gefallen sie mir nicht, weil Du mehr bist
und ich, was Du bist, ganz von Dir will. So saß ich ganz beklommen da
und dann sollt“ ich über das Stück schreiben, ich fing es zu erzählen an,
aber ich mußte Dir alles sagen und so verwandelte sich die „Rezension“.
mitten drin in einen Brief an Dich — o die armen Abonnenten des Neuen
Wiener Tagblatts, die werden am andern Tag erschrocken sein! Ich aber
konnte nicht anders, ich mußte, so schrieb ich mitten drin plötzlich auf
Dich los:
„Beiseite leben. Still sein. Sich nicht vermessen, um sich nicht zu
verlieren. Umgekehrt wie Brand: nicht „alles oder nichts“, sondern da¬
zwischen. Nicht hochmütig auf die Wahrheit pochen, die, wenn sie extrem
wird, über unsere Kraft geht. Die kleinen Lügen nicht verachten, aus denen
doch manchmal etwas so Wirkliches wie dieser kleine Bub hier wird, worin
vielleicht das eigentliche Wunder und das letzte Geheimnis unseres Lebens
liegt. Eine Gesinnung, die sich seit ein paar Jahren bei Schnitzler immer
wieder meldet, sogar im „Einsamen Weg“, seiner reichsten, so wunderbar
— lieber
tiefen und reichen Dichtung. Eine Gesinnung, die auf mich
Arthur, sei nicht bös, aber: Bekenntnis gegen Bekenntnis — allmählich
unerträglich pensioniert wirkt. Eine Gesinnung, mit der sich auch Hebbel,
durch Österreich gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit gehört in
unser Leben nicht, nimmt, wenn sie sich darin zeigt, eine Schuld auf sich
und muß sie tragisch büßen. Ich habe sonst meinen Marxi mus mit der Zeit
recht bedingen gelernt, aber da muß ich doch sagen: Dies scheint mir
wirklich nichts als der geistige Ausdruck einer sinkenden ökonomischen
Klasse zu sein, die, da sie sich durch die Entwicklung unaufhaltsam zer¬
rieben fühlt, jetzt einfach aus dem Leben desertieren will. Durch unsere
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