box 39/2
Sothand 55th Birthdar
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S e
Wienerische übersetzt; sie mußten das Allzu¬
schen Hommungen, der seelischen Irrwege,
lebhafte. Kapriziöse. Leidenschaftliche ablegen
er ist der Dichter der müden und gebroche¬
und dafür das Zärtliche, Schmiegsame. Sanfte
nen Seeien. Immer wieder stehen sich zwei
Menschen gegenüber, die zueinander wollen
eintauschen. Zu den weichen Linien, den sanf¬
und allem Anscheine nach auch zueinänder
ten Ubergängen der Wiener Hügehlandschaft
können. Nichts scheint sie daran zu hindern,
passen heftige, bewegliche Menschen nicht, die
einander zuzufliegen, zuzustürmen, in eins
laue, einschläfernde Wiener Luft läßt häufige
zu verschmelzen, sich abzusättigen, wie zwei
Temperamentsausbrüche, ein Glühen und Bro¬
entgegengesetzt geladene elektrische Atome.
deln in Permanenz nicht zu, aus der stillen
Plötzlich entdecken sie in ihren Seelen, in
Wiener Vorstadt kommen keine leidenschaft¬
ihrer Vergangenheit, oder in der Gegenwart
lichen Frauengestalten. In Wien, sind Formen
einen kranken Punkt, der zur Wunde, zum
und Bewegungen gedämpft, ein wenig lässig
riesenhaften, unüberwindlichen Hindernis
und müde, und in den Seelen steckt bereits et¬
wird. Sie halten ein, mit schmerzendem Her¬
was von der orientalischen Schwermütigkoit.
zen. brennendem Hirn und reichen sich dann
Die Seeien, die Schnitzler schildert, ha¬
müde, gebrochen die Hände zum Abschied.
ben immer etwas von dieser Schwermütigkeit,
Diese Stürme spielen sich immer in der Tiefe
sie haben alle einen kleinen Knicks. Die Men¬
ab, die Oberfläche bleibt ruhig und unbewegt.
schen gehen nicht gerade, aufrecht, bestimmt
Die Mienen bleiben kühl, die Worte sind leicht
auf ein Ziel zu, sondern'sie zögern und
und ländelnd, große Gesten werden gemieden,
schwanken und taumeln, schlagen Seitenwege
die Außenwelt bemerkt nichts von der Un¬
eip und erreichen ihr Ziel nicht. Sie sehen
ordnung. Weder das Leben noch der Tod ver¬
plötzlich andere Ziele vor sich, andere Land¬
dient eine große Geste.
schaffen, die den Wanderer stärker reizen
Die Menschen Schnitzlers sind durch¬
und ihn endgiltig vom Hauptweg abziehen. In
tränkt von alter Wiener Kultur und viel zu
seinem Herzen aber lebt das alte Ziel, unver¬
wohlerzogen, um die Welt mit ihren Gefühlen
gessen, mit unverminderter Schönheit, an
zu belästigen. Sie verlieren bei aller Melan¬
seiner Seele frißt die Sehnsucht, und er wankt
cholie nie ihre mondaine Uberlegenheit, sie
auf dem neuen Weg als Beladener, Gebroche¬
sind sentimental und spöttisch und von der
'ner dahin. Es kommt auch vor, daß er auf
Unwichtigkeit ihres eigenen Schicksals über¬
seinem Wege müde wird, daß das Ziel an Glanz
zeugt. Auch der Tod hat für sie seine
und Farbe verliert und der Wanderer auf
Schrecken verloren. Von der Liebe führt ein
halbem Wege umkehrt. Oder er stößt auf un¬
kurzer Weg zum Tode, überall lauert er ne¬
erwartete Hindernisse und hat nicht die
Kraft. den Mut, sie aus dem Wege zu schleu- ben der Liebe, und sic, die lächelnden Akteure,
manchmal auch mit dem Bewußtsein zu
daß nachher der Tod folgt. Diese Kult
Lebens, des Liebens und des Sterbens
die meisten Gestalten Schnitzlers. Es
Kultur des österreichischen Aristokraten
Schnitzler oft, wenn auch ohne adelige
men, vorführt. Er läßt ihn eine lieben
dige. leicht geistreiche, anmutige Sprache
chen. ohne auf den Stil besondere Sorgf
verwenden. Dennoch steckt in dieser tä#
den, ein wenig nachlässigen Sprechweis
Unmenge von Kultur, die freilich nun
feinen Ohren herausgehört wird. Es is
feines, stilisiertes Wienerisch, oder bess
Hochdeutsch mit leichtem wienerischen
schlag. Alle Gestalten Schnitzlersw
tief im Wiener Boden, sein Milieu, sein
sein Dialog, Stimmung und Atmosphärg
durchaus wienerisch. Kein Wunder, dal
ihn für den Dichter Wiens hält, daß ma
ihm das Wiener Lustspiel, den Wiener R#
erwartel. Beides ist er der deutschen Lité
bis jetzt schuldig geblieben. Denn der
ins Freie“ ist wohl ein Roman, der in
spielt, aber nicht der Roman Wiens. Wir
fen hoffen, daß Artur Schnitzler, der die
nen des Jung-Wienertums längst ver
und sich zu einer freien Unabhängigkei
wickelt hat, uns jetzt, im reifen Mannes
auf der Höhe seiner reifen und menschl
Kunst, noch das große Werk bescheren
das man als den Extrakt des Wienertum
trachten darf.
—
UIN OLEUA ANEE N
Sothand 55th Birthdar
F
S e
Wienerische übersetzt; sie mußten das Allzu¬
schen Hommungen, der seelischen Irrwege,
lebhafte. Kapriziöse. Leidenschaftliche ablegen
er ist der Dichter der müden und gebroche¬
und dafür das Zärtliche, Schmiegsame. Sanfte
nen Seeien. Immer wieder stehen sich zwei
Menschen gegenüber, die zueinander wollen
eintauschen. Zu den weichen Linien, den sanf¬
und allem Anscheine nach auch zueinänder
ten Ubergängen der Wiener Hügehlandschaft
können. Nichts scheint sie daran zu hindern,
passen heftige, bewegliche Menschen nicht, die
einander zuzufliegen, zuzustürmen, in eins
laue, einschläfernde Wiener Luft läßt häufige
zu verschmelzen, sich abzusättigen, wie zwei
Temperamentsausbrüche, ein Glühen und Bro¬
entgegengesetzt geladene elektrische Atome.
deln in Permanenz nicht zu, aus der stillen
Plötzlich entdecken sie in ihren Seelen, in
Wiener Vorstadt kommen keine leidenschaft¬
ihrer Vergangenheit, oder in der Gegenwart
lichen Frauengestalten. In Wien, sind Formen
einen kranken Punkt, der zur Wunde, zum
und Bewegungen gedämpft, ein wenig lässig
riesenhaften, unüberwindlichen Hindernis
und müde, und in den Seelen steckt bereits et¬
wird. Sie halten ein, mit schmerzendem Her¬
was von der orientalischen Schwermütigkoit.
zen. brennendem Hirn und reichen sich dann
Die Seeien, die Schnitzler schildert, ha¬
müde, gebrochen die Hände zum Abschied.
ben immer etwas von dieser Schwermütigkeit,
Diese Stürme spielen sich immer in der Tiefe
sie haben alle einen kleinen Knicks. Die Men¬
ab, die Oberfläche bleibt ruhig und unbewegt.
schen gehen nicht gerade, aufrecht, bestimmt
Die Mienen bleiben kühl, die Worte sind leicht
auf ein Ziel zu, sondern'sie zögern und
und ländelnd, große Gesten werden gemieden,
schwanken und taumeln, schlagen Seitenwege
die Außenwelt bemerkt nichts von der Un¬
eip und erreichen ihr Ziel nicht. Sie sehen
ordnung. Weder das Leben noch der Tod ver¬
plötzlich andere Ziele vor sich, andere Land¬
dient eine große Geste.
schaffen, die den Wanderer stärker reizen
Die Menschen Schnitzlers sind durch¬
und ihn endgiltig vom Hauptweg abziehen. In
tränkt von alter Wiener Kultur und viel zu
seinem Herzen aber lebt das alte Ziel, unver¬
wohlerzogen, um die Welt mit ihren Gefühlen
gessen, mit unverminderter Schönheit, an
zu belästigen. Sie verlieren bei aller Melan¬
seiner Seele frißt die Sehnsucht, und er wankt
cholie nie ihre mondaine Uberlegenheit, sie
auf dem neuen Weg als Beladener, Gebroche¬
sind sentimental und spöttisch und von der
'ner dahin. Es kommt auch vor, daß er auf
Unwichtigkeit ihres eigenen Schicksals über¬
seinem Wege müde wird, daß das Ziel an Glanz
zeugt. Auch der Tod hat für sie seine
und Farbe verliert und der Wanderer auf
Schrecken verloren. Von der Liebe führt ein
halbem Wege umkehrt. Oder er stößt auf un¬
kurzer Weg zum Tode, überall lauert er ne¬
erwartete Hindernisse und hat nicht die
Kraft. den Mut, sie aus dem Wege zu schleu- ben der Liebe, und sic, die lächelnden Akteure,
manchmal auch mit dem Bewußtsein zu
daß nachher der Tod folgt. Diese Kult
Lebens, des Liebens und des Sterbens
die meisten Gestalten Schnitzlers. Es
Kultur des österreichischen Aristokraten
Schnitzler oft, wenn auch ohne adelige
men, vorführt. Er läßt ihn eine lieben
dige. leicht geistreiche, anmutige Sprache
chen. ohne auf den Stil besondere Sorgf
verwenden. Dennoch steckt in dieser tä#
den, ein wenig nachlässigen Sprechweis
Unmenge von Kultur, die freilich nun
feinen Ohren herausgehört wird. Es is
feines, stilisiertes Wienerisch, oder bess
Hochdeutsch mit leichtem wienerischen
schlag. Alle Gestalten Schnitzlersw
tief im Wiener Boden, sein Milieu, sein
sein Dialog, Stimmung und Atmosphärg
durchaus wienerisch. Kein Wunder, dal
ihn für den Dichter Wiens hält, daß ma
ihm das Wiener Lustspiel, den Wiener R#
erwartel. Beides ist er der deutschen Lité
bis jetzt schuldig geblieben. Denn der
ins Freie“ ist wohl ein Roman, der in
spielt, aber nicht der Roman Wiens. Wir
fen hoffen, daß Artur Schnitzler, der die
nen des Jung-Wienertums längst ver
und sich zu einer freien Unabhängigkei
wickelt hat, uns jetzt, im reifen Mannes
auf der Höhe seiner reifen und menschl
Kunst, noch das große Werk bescheren
das man als den Extrakt des Wienertum
trachten darf.
—
UIN OLEUA ANEE N