5oth and 55th Birthday box 39/2
Die Gegenwart.
Nr. 20
315
rische Willkür in lächerliche Ohnmacht zu wan¬
hundert leichten Variationen beplaudert. Die
deln. Der Zweckgedanke schwindet, aus dem
Kette der „Anatol“=Szenen und des „Reigen“
Tun dieser Menschen nicht weniger als aus
sind vielleicht das Originalste, was Schnitzler
dem Erleiden. „Wir spielen alle, wer es weiß,
geschaffen hat, mit dem lässigen Humor ihrer ver¬
ist klug.“ Das wird die Lebensdevise des
steckten und immer durchblitzenden Grundtriebe
Schnitzlerschen Geschlechtes, das bleibt der
eine wirkliche Bereicherung deutscher Dialogkunst.
Grundzug seiner Menschen, wenn die kleinen
Das Thema ist freilich monoton genug. Diese
Größen der „Literatur“ ihre Gefühlchen ge¬
Leute, die sich ohne Ziel, Zweck, Sinn in der Welt
schäftstüchtig aufbauschen, wenn der Zauberer
fühlen, die niemandem wahrhaft angehören,
keinem Menschen und keiner Sache, die haben
„Paracelsus“ wider seinen Willen Wunder tut
nur ein Interesse, das ihre Lebensgeister zu¬
und noch, wenn die „Letzten Masken“ fallen.
Diese Tragödie des Komödiantentums gewinnt
sammenhält: die „Liebe“ wie sie sie verstehen,
höchste Wucht in dem gefährlich blitzenden Akt
Frauengunst, Sinnengenuß, Gesellschaftsspiel,
Spiel mit allen ernsten und eitlen In¬
vom „Grünen Kakadu“ wo sich die gespielten
stinkten, auch der eigenen Seele, Spiel mit
Verbrechen der theatralischen Kneipe in echten
Wollust und Schmerz, Geld und Geist, Untreue
Mord und wirklichen Aufstand wandeln, wäh¬
und Eifersucht, Leben und Tod. Wenn dies
rend die hochadligen Zuschauer mit unver¬
Spiel, statt in kleinen sentimental =ironischen
minderter Lüsternheit auch diesen Effekt hin¬
Szenen aufzuglitzern, mit schwachen Stim¬
nehmen — genießerisch bis zur Guillotine.
mungskräften in einen breiten Fünfakter ver¬
Nicht oft hat Schnitzler sein Thema zu so
sponnen wird, wie das jüngst im „weiten
starker, geschlossener Wirkung zu ballen ver¬
Land“ geschah, so kann es uns gleichgültig und
mocht wie in diesem Einakter mit dem außer¬
lästig erscheinen. Wenn aber Schnitzler in glück¬
ordentlich glücklichen Handlungsmotiv. Sonst
licheren Stunden seine melancholischen Epikurae¬
ist das Fabulieren nicht eben seine Stärke,
er untheatralisch, leicht und graziös, hinspielen
und die Wucht geradlinigen Vortrags nicht
läßt, so klingt vom Leben und Leiden unserer
seine Sache. Feine, raffinierte, weitgespannte
Zeit ein Ton an, dem sich keines Zeitgenossen
Kombinationen alter Motive bilden seine Kunst.
Ohr wird fühllos verschließen können. Freilich,
Deshalb liegt seine eigentliche Stärke nicht im
es ist der Ton einer Frage ohne Antwort,
Erzählen. Auch die wenige Lyrik Schnitzlers,
die Melancholie eines Endes ohne neuen An¬
die bekannt wurde, ist merkwürdig stumpf und
fang. Die starke Kraft, die aus dem Ewigen
trocken; in seinen Versdramen (von denen doch
der Zeit Werte der Erneuerung, Antworten,
vor allem „Der Schleier der Beatrice“ viel
Verheißungen zuführt, die Kraft ist nicht mächtig
Schönes bietet) ist er ganz wesentlich von seinem
in Schnitzlers Werk; und weil sie kaum unter¬
jüngeren Landsmann Hugo von Hofmannsthal
irdisch und scheu in ihm anklingt, weil er nur
abhängig. Die mystische Melancholie seines
Rätsel und nicht Lösungen hat, darum wird er
Tonfalls, die bedrückende Pracht seiner Bilder
in der Geschichte nicht bei den Großen, den
wendet auch Schnitzler hier an, aber schwächer
Ewigen, den Menschheitsführern stehen. Aber
als jener Meister der Neuromantik, hierin ein
weil er für seine Person doch eine Lösung fand,
Zweiter, ein Mitläufer. Schnitzler hat wohl nicht
indem er der Frage Worte, dem Leid Musik,
den schamlosen Schwung, die hemmungslose
der Not Gestalt gab, so bleibt uns sein Bild
seelische Hingabe, die man braucht, um als
unter den echten und ernsten Künstlern stehen,
Lyriker, als Verskünstler ganz ein Eigener zu
und in dieser Gegewart sind viele, die ihn mit
sein. Skepsis bricht seine Gefühle, weltmännische
Grund verehren, und fast noch mehr, ihn lieben.
Zurückhaltung verschleiert ihren Ausdruck. So
ist er am eigensten und damit künstlerisch wohl
am bedeutendsten in den kleinen, weltmännisch
saloppen Dialogen, in denen er „als leicht¬
sinniger Melancholiker“ sein großes Thema in
Die Gegenwart.
Nr. 20
315
rische Willkür in lächerliche Ohnmacht zu wan¬
hundert leichten Variationen beplaudert. Die
deln. Der Zweckgedanke schwindet, aus dem
Kette der „Anatol“=Szenen und des „Reigen“
Tun dieser Menschen nicht weniger als aus
sind vielleicht das Originalste, was Schnitzler
dem Erleiden. „Wir spielen alle, wer es weiß,
geschaffen hat, mit dem lässigen Humor ihrer ver¬
ist klug.“ Das wird die Lebensdevise des
steckten und immer durchblitzenden Grundtriebe
Schnitzlerschen Geschlechtes, das bleibt der
eine wirkliche Bereicherung deutscher Dialogkunst.
Grundzug seiner Menschen, wenn die kleinen
Das Thema ist freilich monoton genug. Diese
Größen der „Literatur“ ihre Gefühlchen ge¬
Leute, die sich ohne Ziel, Zweck, Sinn in der Welt
schäftstüchtig aufbauschen, wenn der Zauberer
fühlen, die niemandem wahrhaft angehören,
keinem Menschen und keiner Sache, die haben
„Paracelsus“ wider seinen Willen Wunder tut
nur ein Interesse, das ihre Lebensgeister zu¬
und noch, wenn die „Letzten Masken“ fallen.
Diese Tragödie des Komödiantentums gewinnt
sammenhält: die „Liebe“ wie sie sie verstehen,
höchste Wucht in dem gefährlich blitzenden Akt
Frauengunst, Sinnengenuß, Gesellschaftsspiel,
Spiel mit allen ernsten und eitlen In¬
vom „Grünen Kakadu“ wo sich die gespielten
stinkten, auch der eigenen Seele, Spiel mit
Verbrechen der theatralischen Kneipe in echten
Wollust und Schmerz, Geld und Geist, Untreue
Mord und wirklichen Aufstand wandeln, wäh¬
und Eifersucht, Leben und Tod. Wenn dies
rend die hochadligen Zuschauer mit unver¬
Spiel, statt in kleinen sentimental =ironischen
minderter Lüsternheit auch diesen Effekt hin¬
Szenen aufzuglitzern, mit schwachen Stim¬
nehmen — genießerisch bis zur Guillotine.
mungskräften in einen breiten Fünfakter ver¬
Nicht oft hat Schnitzler sein Thema zu so
sponnen wird, wie das jüngst im „weiten
starker, geschlossener Wirkung zu ballen ver¬
Land“ geschah, so kann es uns gleichgültig und
mocht wie in diesem Einakter mit dem außer¬
lästig erscheinen. Wenn aber Schnitzler in glück¬
ordentlich glücklichen Handlungsmotiv. Sonst
licheren Stunden seine melancholischen Epikurae¬
ist das Fabulieren nicht eben seine Stärke,
er untheatralisch, leicht und graziös, hinspielen
und die Wucht geradlinigen Vortrags nicht
läßt, so klingt vom Leben und Leiden unserer
seine Sache. Feine, raffinierte, weitgespannte
Zeit ein Ton an, dem sich keines Zeitgenossen
Kombinationen alter Motive bilden seine Kunst.
Ohr wird fühllos verschließen können. Freilich,
Deshalb liegt seine eigentliche Stärke nicht im
es ist der Ton einer Frage ohne Antwort,
Erzählen. Auch die wenige Lyrik Schnitzlers,
die Melancholie eines Endes ohne neuen An¬
die bekannt wurde, ist merkwürdig stumpf und
fang. Die starke Kraft, die aus dem Ewigen
trocken; in seinen Versdramen (von denen doch
der Zeit Werte der Erneuerung, Antworten,
vor allem „Der Schleier der Beatrice“ viel
Verheißungen zuführt, die Kraft ist nicht mächtig
Schönes bietet) ist er ganz wesentlich von seinem
in Schnitzlers Werk; und weil sie kaum unter¬
jüngeren Landsmann Hugo von Hofmannsthal
irdisch und scheu in ihm anklingt, weil er nur
abhängig. Die mystische Melancholie seines
Rätsel und nicht Lösungen hat, darum wird er
Tonfalls, die bedrückende Pracht seiner Bilder
in der Geschichte nicht bei den Großen, den
wendet auch Schnitzler hier an, aber schwächer
Ewigen, den Menschheitsführern stehen. Aber
als jener Meister der Neuromantik, hierin ein
weil er für seine Person doch eine Lösung fand,
Zweiter, ein Mitläufer. Schnitzler hat wohl nicht
indem er der Frage Worte, dem Leid Musik,
den schamlosen Schwung, die hemmungslose
der Not Gestalt gab, so bleibt uns sein Bild
seelische Hingabe, die man braucht, um als
unter den echten und ernsten Künstlern stehen,
Lyriker, als Verskünstler ganz ein Eigener zu
und in dieser Gegewart sind viele, die ihn mit
sein. Skepsis bricht seine Gefühle, weltmännische
Grund verehren, und fast noch mehr, ihn lieben.
Zurückhaltung verschleiert ihren Ausdruck. So
ist er am eigensten und damit künstlerisch wohl
am bedeutendsten in den kleinen, weltmännisch
saloppen Dialogen, in denen er „als leicht¬
sinniger Melancholiker“ sein großes Thema in