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S0th and 55th Birthdap
Ken
zu beweisen, daß ihr Herz zum so
mehr übers Feld springen in lichter Frühe,“ heißt es einmal,
ist. Neben die Wiener Schlichthei
„den Himmel überm Haupt — nie mehr an blühenden Liv¬
Ka
Feuilleton.
Grazie des Dreivierteltaktes hate
kein
pen hängen, vom Dufte zitternder Brüste umweht, —
mus gesetzt, der sogar zu allerha#
Das
Laut lebendiger Stimmen mehr für uns, kein Schimmer mehr
77
mitteln greift, als wie zu Sugge
hinsinken, bluten, verenden,
von Sonne und Sternen ...
Arthur Schnitzler.
Cerr
Er hat die süßen Szenen „Anat
eingegraben werden für alle Zeit — wenn dir davor nicht
Zum 50. Geburtstag am 15. Mai.
„Reigen“ und die allerergreifen
graut, Freund, verstehst du weder Tod noch Leben.“
[Gustl geschrieben — vielleicht
Zuerst und vor allem: Wien lebt in seinem Werke. Nicht
mit all der schlichten Herzlichkeit
wie Hauptmann und Schlaf, die demselben guten Jahrgang
Endes nicht weiter kommt, daß die
1862 entstammen, kommt er vom Naturalismus, sondern
liegt und daß es nötig ist, sich in
er schöpft aus der überreichen Kultur der Donau=Stadt;
sein hineinzuarbeiten und hier weni
ja vielleicht sind die treuherzigen, bald lustigen, bald senti¬
nur diesen zu genießen.
mentalen Wiener Lokaldichter in einem gewissen Sinne auch!
Deshalb scheint in Schnitzlers
seine literarischen Ahnen. Seine Gefährten und Erzieher
Er bevorzugt die Andeutungen un
aber bleiben die Naturalisten.
Liebesspiele wickeln sich nie in der
82 00
Wien lebt in seinem Werke — das bedeutet eine Ein¬
folgt dabei oft den Franzosen, w
schränkung. Er ist nicht groß, er bleibt in seinem Kreise und
I
eines „gewissen Etwas“ die Kon
er wird erst in der Beschränkung ein unübertrefflicher Meister
9
Wahrheiten verschleiern. Viele zwa
derart, daß er immer mehr nach innen geht, immer leiser
836 18
sind Mittel, die Vollkommene nich
und versonnener wird. Er, der vor allem Dramatiker ist,
das Atemnachlassen des Autors
packt nicht das großartige Leben der Helden, sondern das
niemand vermag zu behaupten,
8#
kleine ziemlich nutzlose der sehr vielen; das Leben der La¬
Dramatiker ist, wie die meisten I#
denmädel etwa, die sich verlieben, und der jungen Herren,
10000
Nein, obwohl er ein Träume
die sie verlassen. Der Wiener Ladenmädel und der Wie¬
ein scharf auslugender Naturalist
7
ner Herren, die ohne frohe Laune und Musik undenkbar
*7
Psycholog, ein unfehlbarer Zielgen
sind. Er packt das Leben von anmutigen Träumern, wie sie
Sewtlig Mittat“
oft auf weichen Ibsensohlen) muß
in Schuberts und Grillparzers Tagen schon ihr Wesen trieben
der genannt werden: er träumt
und wie sie fast vorbildlich oder doch wenigstens unvergeßlich
Artur Schnitzler.
Kunst! Das macht wohl, weil er
geworden sind. Aber wenn Schnitzler Wien schildert, so
wachen Beruf übte, weil er als
schildert er es wie eine Legende. Die Musik und das Lachen
Der Ruf nach dem Leben schlägt bei Schnitzler immer
Augen offen zu halten, Diagnosen
das alles klingt so fern; und wenn er von der ver¬
wieder am Tode an; und so wie er die schönsten Worte über
zu forschen. Der Arzt schuf hier
liebten Ladnerin, dem „süßen Mädel“, erzählt, dann vergißt
die Liebe gegeben, so sprach er die tiessten über das Sterben
niemals irrt, der sicherer geht,
er nicht, ihr einen kleinen Heiligenschein anzuheften und
aus. Oder wenn er sie nicht aussprach, so breitete er wenig¬
neben ihm, und der sich vor al
sie so rührend schlicht und ergreifend darzustellen, daß man an
stens das samtene Dunkel von Stuben, in denen bis zur
steht, wie kompliziert ihre Pshche
Aschenbrödel denkt, die am Herdfeuer sitzt und sich nach dem
Abschiedsstunde Särge warten, als Himmel über die Liebe
Daß Schnitzler ein Forscher
Prinzen sehnt. Vielleicht hat Schnitzler überhaupt nur
seiner süßen Mädel und seiner schwächlichen kränklichen
Dialogen an. Diese sind regelmä
Legenden erzählt, Legenden vom Lieben und Sterben von
jungen Herrn. Da erhält der erotische Reiz, der bei
und diese übertreffen die photogre
heimlichsten Gedanken und Gefühlen, über denen das Leben
Schnitzler Ewigkeitswerte birgt, etwas Bedeutenderes, Fas¬
an echtester Poesie. Allerdinas
verrinnt und der Tod anhebt, wie eine schwere süße Melodie.
zinierenderes; und nicht selten denkt man bei seinen Men¬
ter bisweilen auch auf das Wider
Aber auch diese verrinnt, weil sie im Getriebe des Welt¬
schen, die lieben, an Marionetten, die doch nur an Drähten
auf das Kitschige und Wienerische
geschehens so garnichts besonderes zu bedeuten hat.
hängen, was sich übrigens am besten bei jenen Stücken er¬
wir da oben zitierten vom „Nie
kennen läßt, die ihm mißlungen sind: am „Schleier der
Also geht Schnitzler weit über die alten Wiener Lokal¬
pen hängen, vom Dufte zittern
Veatricc“ am Einsamen Weg“ am „Ruf des
das mag als Beispiel hierfür gelte
dichter hinaus und am Ende läßt er seine Leutchen doch
Lebens“. Ja, ausgesprochene Marionettenstücke, wie „Der
an das Morgen denken. Er läßt sie die tiefsten Ent¬
gleisungen sind selten, ja man wei
tapfere Cassian“ und „Der Schleier der Pie¬
von auf die Rechnung der Zeit
täuschungen der Liebe erfahren und treibt sie so weit, daß
rette“, scheinen beinahe symbolischer für Schnitzlers Kunst,
meinen übt Schnitzler die Kunst
sie das Ganze für Spiel nehmen. Damit freilich erwacht
als der „Anatol“ und die „Liebelei“. Das Wollen
eisernen Selbstbeherrschung, wie es
durchaus keine Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber, denn
kommt allemal hinter dem Gefühl.
Snobisten ist, wenn sie auch inne
da Schnitzlers Menschen der Gedanke an den Tod als etwas
rohr gleichen.
Wiener Mädel und junge Herren... Diese Herren
Entsetzliches erscheint, so klammern sie sich geradezu krampf¬
sind blasiert, müde, dekadent. Sie lieben die Paradoxe, die
haft an dieses Leben, ohne viel nach seinen Fehlern zu
Es sind eigentlich bloß drei
fragen; ja, der Ruf nach dem Leben durchhallt das ganze
vornehmen Lässigkeiten; sie lieben das Flanieren, um die
kennt: Liebe, Tod und Theater. M
Werk wild und ununterbrochen. So wird die Elegie seiner Ge¬
Frauen zu reizen und doch achtlos an ihnen vorüber¬
stalten zerstört, wenn es ums Sterben geht... „Nie zugehen, aber sie lieben auch die Blumen im Knopfloch, um 1 etwas ganz besonderes. Das
1
S0th and 55th Birthdap
Ken
zu beweisen, daß ihr Herz zum so
mehr übers Feld springen in lichter Frühe,“ heißt es einmal,
ist. Neben die Wiener Schlichthei
„den Himmel überm Haupt — nie mehr an blühenden Liv¬
Ka
Feuilleton.
Grazie des Dreivierteltaktes hate
kein
pen hängen, vom Dufte zitternder Brüste umweht, —
mus gesetzt, der sogar zu allerha#
Das
Laut lebendiger Stimmen mehr für uns, kein Schimmer mehr
77
mitteln greift, als wie zu Sugge
hinsinken, bluten, verenden,
von Sonne und Sternen ...
Arthur Schnitzler.
Cerr
Er hat die süßen Szenen „Anat
eingegraben werden für alle Zeit — wenn dir davor nicht
Zum 50. Geburtstag am 15. Mai.
„Reigen“ und die allerergreifen
graut, Freund, verstehst du weder Tod noch Leben.“
[Gustl geschrieben — vielleicht
Zuerst und vor allem: Wien lebt in seinem Werke. Nicht
mit all der schlichten Herzlichkeit
wie Hauptmann und Schlaf, die demselben guten Jahrgang
Endes nicht weiter kommt, daß die
1862 entstammen, kommt er vom Naturalismus, sondern
liegt und daß es nötig ist, sich in
er schöpft aus der überreichen Kultur der Donau=Stadt;
sein hineinzuarbeiten und hier weni
ja vielleicht sind die treuherzigen, bald lustigen, bald senti¬
nur diesen zu genießen.
mentalen Wiener Lokaldichter in einem gewissen Sinne auch!
Deshalb scheint in Schnitzlers
seine literarischen Ahnen. Seine Gefährten und Erzieher
Er bevorzugt die Andeutungen un
aber bleiben die Naturalisten.
Liebesspiele wickeln sich nie in der
82 00
Wien lebt in seinem Werke — das bedeutet eine Ein¬
folgt dabei oft den Franzosen, w
schränkung. Er ist nicht groß, er bleibt in seinem Kreise und
I
eines „gewissen Etwas“ die Kon
er wird erst in der Beschränkung ein unübertrefflicher Meister
9
Wahrheiten verschleiern. Viele zwa
derart, daß er immer mehr nach innen geht, immer leiser
836 18
sind Mittel, die Vollkommene nich
und versonnener wird. Er, der vor allem Dramatiker ist,
das Atemnachlassen des Autors
packt nicht das großartige Leben der Helden, sondern das
niemand vermag zu behaupten,
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kleine ziemlich nutzlose der sehr vielen; das Leben der La¬
Dramatiker ist, wie die meisten I#
denmädel etwa, die sich verlieben, und der jungen Herren,
10000
Nein, obwohl er ein Träume
die sie verlassen. Der Wiener Ladenmädel und der Wie¬
ein scharf auslugender Naturalist
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ner Herren, die ohne frohe Laune und Musik undenkbar
*7
Psycholog, ein unfehlbarer Zielgen
sind. Er packt das Leben von anmutigen Träumern, wie sie
Sewtlig Mittat“
oft auf weichen Ibsensohlen) muß
in Schuberts und Grillparzers Tagen schon ihr Wesen trieben
der genannt werden: er träumt
und wie sie fast vorbildlich oder doch wenigstens unvergeßlich
Artur Schnitzler.
Kunst! Das macht wohl, weil er
geworden sind. Aber wenn Schnitzler Wien schildert, so
wachen Beruf übte, weil er als
schildert er es wie eine Legende. Die Musik und das Lachen
Der Ruf nach dem Leben schlägt bei Schnitzler immer
Augen offen zu halten, Diagnosen
das alles klingt so fern; und wenn er von der ver¬
wieder am Tode an; und so wie er die schönsten Worte über
zu forschen. Der Arzt schuf hier
liebten Ladnerin, dem „süßen Mädel“, erzählt, dann vergißt
die Liebe gegeben, so sprach er die tiessten über das Sterben
niemals irrt, der sicherer geht,
er nicht, ihr einen kleinen Heiligenschein anzuheften und
aus. Oder wenn er sie nicht aussprach, so breitete er wenig¬
neben ihm, und der sich vor al
sie so rührend schlicht und ergreifend darzustellen, daß man an
stens das samtene Dunkel von Stuben, in denen bis zur
steht, wie kompliziert ihre Pshche
Aschenbrödel denkt, die am Herdfeuer sitzt und sich nach dem
Abschiedsstunde Särge warten, als Himmel über die Liebe
Daß Schnitzler ein Forscher
Prinzen sehnt. Vielleicht hat Schnitzler überhaupt nur
seiner süßen Mädel und seiner schwächlichen kränklichen
Dialogen an. Diese sind regelmä
Legenden erzählt, Legenden vom Lieben und Sterben von
jungen Herrn. Da erhält der erotische Reiz, der bei
und diese übertreffen die photogre
heimlichsten Gedanken und Gefühlen, über denen das Leben
Schnitzler Ewigkeitswerte birgt, etwas Bedeutenderes, Fas¬
an echtester Poesie. Allerdinas
verrinnt und der Tod anhebt, wie eine schwere süße Melodie.
zinierenderes; und nicht selten denkt man bei seinen Men¬
ter bisweilen auch auf das Wider
Aber auch diese verrinnt, weil sie im Getriebe des Welt¬
schen, die lieben, an Marionetten, die doch nur an Drähten
auf das Kitschige und Wienerische
geschehens so garnichts besonderes zu bedeuten hat.
hängen, was sich übrigens am besten bei jenen Stücken er¬
wir da oben zitierten vom „Nie
kennen läßt, die ihm mißlungen sind: am „Schleier der
Also geht Schnitzler weit über die alten Wiener Lokal¬
pen hängen, vom Dufte zittern
Veatricc“ am Einsamen Weg“ am „Ruf des
das mag als Beispiel hierfür gelte
dichter hinaus und am Ende läßt er seine Leutchen doch
Lebens“. Ja, ausgesprochene Marionettenstücke, wie „Der
an das Morgen denken. Er läßt sie die tiefsten Ent¬
gleisungen sind selten, ja man wei
tapfere Cassian“ und „Der Schleier der Pie¬
von auf die Rechnung der Zeit
täuschungen der Liebe erfahren und treibt sie so weit, daß
rette“, scheinen beinahe symbolischer für Schnitzlers Kunst,
meinen übt Schnitzler die Kunst
sie das Ganze für Spiel nehmen. Damit freilich erwacht
als der „Anatol“ und die „Liebelei“. Das Wollen
eisernen Selbstbeherrschung, wie es
durchaus keine Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber, denn
kommt allemal hinter dem Gefühl.
Snobisten ist, wenn sie auch inne
da Schnitzlers Menschen der Gedanke an den Tod als etwas
rohr gleichen.
Wiener Mädel und junge Herren... Diese Herren
Entsetzliches erscheint, so klammern sie sich geradezu krampf¬
sind blasiert, müde, dekadent. Sie lieben die Paradoxe, die
haft an dieses Leben, ohne viel nach seinen Fehlern zu
Es sind eigentlich bloß drei
fragen; ja, der Ruf nach dem Leben durchhallt das ganze
vornehmen Lässigkeiten; sie lieben das Flanieren, um die
kennt: Liebe, Tod und Theater. M
Werk wild und ununterbrochen. So wird die Elegie seiner Ge¬
Frauen zu reizen und doch achtlos an ihnen vorüber¬
stalten zerstört, wenn es ums Sterben geht... „Nie zugehen, aber sie lieben auch die Blumen im Knopfloch, um 1 etwas ganz besonderes. Das
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