VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 79

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Spiels, gilt ihm als das klarste Symbol des Lebens.
Fzu beweisen, daß ihr Herz zum so= und sovielsten Male frei
„Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug“ steht als Motto'
lichter Frühe,“ heißt es einmal,
ist. Neben die Wiener Schlichtheit, neben die wehmutvolle
über den „Lebendigen Stunden“. Wir spielen und
nie mehr an blühenden Liv¬
Grazie des Dreivierteltaktes hat Schnitzler also den Snobis¬
kein
wissen selbst nicht mehr, wo Wahrheit und Lüge beginnen: —
ternder Brüste umweht,
mus gesetzt, der sogar zu allerhand widernatürlichen Reiz¬
was Wunder, daß wir nach den Dingen greifen, die uns am
r für uns, kein Schimmer mehr
mitteln greift, als wie zu Suggestion oder zu Telepathie.
begehrenswertesten erscheinen? Ein charmantes Tändeln, inz
hinsinken, bluten, verenden,
Er hat die süßen Szenen „Anatol“, die derben Auftritte
dem bekanntlich das Weib Meisterin ist. Bei Schnitzler ist
wenn dir davor nicht
„Reigen“ und die allerergreifendste Skizze „Leutnant
dieses Weib die große Lüge oder vielmehr: sie lügt nie, son¬
weder Tod noch Leben.“
vielleicht um zu sagen, daß man
Gust! geschrieben —
dern gibt in jeder Minute eine neue Wahrheit. So wird'
mit all der schlichten Herzlichkeit vor der Gewißheit des
jene Beatrice Nardi zum Urbild aller Schwankenden, und
Endes nicht weiter kommt, daß die Natürlichkeit im Sterben
Schleier, der die Dinge verhüllt, verwandelt, verzau¬
ihr
liegt und daß es nötig ist, sich in ein künstliches Traumda¬
bert, kehrt wieder, so oft Frauen ausziehen, um sich Männer.
sein hineinzuarbeiten und hier wenigstens den Augenblick und
zu gewinnen.
nur diesen zu genießen.
Dann gibt es Augenblicke — „lebendige Stunden“, da
Deshalb scheint in Schnitzlers Welt auch nicht alles klar.
die Lügen fallen. Die spielerischen Menschen erkennen ur¬
Er bevorzugt die Andeutungen und er läßt erraten. Seine
plötzlich ihren Wesenskern und ihre Lebenslüge und sind
Liebesspiele wickeln sich nie in der Oeffentlichkeit ab und er
vielleicht sogar in der Lage, sich auf sicheren Grund und
g
folgt dabei oft den Franzosen, welche durch das Hinzutun
Boden zu retten. Aber sehr oft oder meistens scheuen Schnitz¬
eines „gewissen Etwas“ die Konturen verwischen und die
lers Gestalten die Enthüllung der Wahrheit, wie den eigenen
Wahrheiten verschleiern. Viele zwar werden sagen: das alles
Tod und verharren in der Illusion — im Maskenkostüm
sind Mittel, die Vollkommene nicht anwenden und die über
auf der Bühne.
das Atemnachlassen des Autors hinweghelfen sollen; aber
Das prächtigste, wenn auch gesuchteste Spiel, welches
niemand vermag zu behaupten, daß Schnitzler ein Nicht¬
t der „Grüne Kakadu“¬
Schnitzler iemals erdacht, enthäl
Dramatiker ist, wie die meisten Franzosen.
Hier, am Vorabend der französischen Revolution, spielen sicht
Nein, obwohl er ein Träumer, — ein exakter Forscher,
Aristokraten in das Schauspielertum herüber, spielen Schaus
ein scharf auslugender Naturalistenfreund, ein grandioser
spieler Aristokraten. spielen sie Mord und die Mörder spielen
Psycholog, ein unfehlbarer Zielgewinner (wiewohl auch sehr
Wahrheit. Schließlich weiß niemand, wo Anfang und Ende:
oft auf weichen Ibsensohlen) muß er immer und immer wie¬

und nur das bleiche Marmorantlitz des Todes erledigt alle
der genannt werden: er träumt niemals auf Kosten seiner
zitternden Zweisel.
Kunst! Das macht wohl, weil er nebenher einen so lebens¬
Nach dem Spiel aber gibt es auch Nächte — Nächte
eSchnitzler¬
wachen Beruf übte, weil er als Arzt verpflichtet war, dia
voll grauenhafter Einsamkeit und erfüllt mit der Erkenntnis,
Augen offen zu halten, Diagnosen zu stellen, zu sezieren und
eben schlägt bei Schnitzler immer
daß kein Mensch sich um den anderen kümmert. Und in dem
zu forschen. Der Arzt schuf hier den Psychologen der sich
so wie er die schönsten Worte über
Getriebe des Tages nirgends ein Ruhevunkt. Gegenwark
niemals irrt, der sicherer geht, als die meisten Dichtenden
er die tiefsten über das Sterben
gibt es nicht und das Wort, das eben erst klang, ist jetzt schon
neben ihm, und der sich vor allem auf die Frauen ver¬
ht aussprach, so breitete er wenig¬
Erinnerung. Solche Gedanken schleichen über den „Ein¬
Ge¬
steht, wie kompliziert ihre Psyche sich auch ausnehmen möge.
von Stuben, in denen bis zur
samen Weg“ und durchs „Zwischenspiel“
Daß Schnitzler ein Forscher ist, merkt man bereits seinen
rten, als Himmel über die Liebe
danken, die immer leiser und von Menschen geäußert werden,
Dialogen an. Diese sind regelmäßig wundervoll beobachtet
seiner schwächlichen kränklichen
welche absterben. Aber: „Es scheint mir, daß jetzt ein
und diese übertreffen die photographischen der Naturalisten
ält der erotische Reiz, der bei
besseres Geschlecht heranwächst, — mehr Haltung und weniger
dabei verfällt der Dich¬
an echtester Poesie. Allerdings —
lbirgt, etwas Bedeutenderes, Fas¬
Geist.“ Das Wort, das endlich den Weg ins Freie zeigt!
ter bisweilen auch auf das Widernatürliche, wenn nicht gar
elten denkt man bei seinen Men¬
So ranken sich die Gedanken von Werk zu Werk, fast in
auf das Kitschige und Wienerische im schlechtei Sinne. Was
onetten, die doch nur an Drähten
jedem neue Blüten treibend. Sie ranken sich vom „Ana¬
wir da oben zitierten vom „Nie mehr an blühenden Lip¬
s am besten bei jenen Stücken er¬
tol“ zum „Märchen“ und vom „Märchen“ zur „Liebelei“.
pen hängen, vom Dufte zitternder Brüste umweht“,
ungen sind: am „Schleier der
Von dort zum „Freiwild“, zum „Vermächtnis“, zum „Grü¬
das mag als Beispiel hierfür gelten; aber dergleichen Ent¬
ksamen Weg“ am „Ruf des
nen Kakadu“, zum „Paracelsus“. Und dann den „Lebendigen
gleisungen sind selten, ja man weiß nicht einmal, wieviel da¬
chene Marionettenstücke, wie „Der
Stunden“, dem Schleier der Beatrice“, diesem großgewoll¬
von auf die Rechnung der Zeit zu setzen ist. Im allge¬
nd „Der Schleier der Pie¬
ten Renaissancedrama, dem „Einsamen Weg“, dem „Zwi¬
meinen übt Schnitzler die Kunst der Konzentration, der
symbolischer für Schnitzlers Kunst,
schenspiel“ und dem „Ruf des Lebens“ entgegen. Zuletzt die
eisernen Selbstbeherrschung, wie es äußerlich die Art seiner
die „Liebelei“. Das Wollen
schwermütige Phantasie des „Jungen Medardus“ und „Das
Snobisten ist, wenn sie auch innerlich schwankendem Schilf¬
Gefühl.
weite Land“.
rohr gleichen.
Schnitzler ist kein Parteimann. Er hat dazu nach seinen
Diese Herren
junge Herren...
eigenen Worten weder den Mut, noch das Temperament, noch
bent. Sie lieben die Paradoxe, die
Es sind eigentlich bloß drei Themen, die Schnitzler
die Einfalt. Er liebt — es ist wohl aus allem Gesagten her¬
sie lieben das Flanieren, um die
kennt: Liebe, Tod und Theater. Mit dem letzteren aber ist es
doch achtlos an ihnen vorüber¬
sich die Blumen im Knopfloch, um 1 etwas ganz besonderes. Das Theater, die Stätte des vorgegangen — das Zurückgemgene, mie es sich auch in