VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 85

box 39/2
Soth and 55th Birthday
Seite 312
Dr. Blochs Wochenschrift
im jüdischen Wien. Geschadet hat es ihm gerade nicht, und
unserer Zeit stehen bleiben. Aufrichtig möchte ich wünschen,
der Dichter hat ja glücklicherweise Zeit, zu warten, bis ihm
daß es dem Autor, in dessen rotblonde Dichtermähne sich noch
auch hier eine volle Anerkennung zuteil werden wird. Man
kein graues Haar mischt, gegönnt sein möchte, für sich und seine
kann über den absoluten Wert seiner Dichtungen streiten,
Kinder eine Epoche zu erleben, wo sie nicht mehr gelten können.
man kann einräumen, daß ihm die letzten tiefen und großen
Und noch in einem Punkt können wir, die Zollschan's
Akzente des Tragikers, wie sie Hofmannsthal, Anzengruber
Werk mit Bewunderung für die darin aufgebotene Gelehr¬
oder selbst Schönherr zu Gebote stehen, versagt sind, daß
samkeit, aber mit tiefer Trauer über die Schlußfolgerung,
seiner in das weite Land der Seile in ihren psychologischen
die er ziehen zu müssen glaubte, gelesen haben, durch Schnitzler
und physiologischen Untiefen so tief hinuntertauchenden und
Trost schöpfen. Die Schlußfolgerung, daß der europäische
so vornehm herausholenden Kunst mehr die anmutige Sil¬
Jude, der drei Generationen der Bildungswelt angehört, sich
honette als der große plastische Wurf gelingt, man mag
auch äußerlich vom Jndentum loslöst, Schnitzler ist ein Bei¬
einräumen, daß ihn Naturwahrheit und Schaffenskraft oft
spiel, eine leuchtende Zukunftshoffnung für das Gegenteil.
verlassen, wenn er seinen Nährboden, die obersten Schichten
Er lebt zufällig seit vier Generationen in Wien und sein Stamm¬
der Wiener Bourgeoisie verläßt, man mag bedauern, daß
baum (Urgroßvater: baronisierter Bankier: Großvater hervor¬
selbst da, wo er im „Vermächtnis“ und im „Freiwild“ tiefere
ragender Arzt und Fachschriftsteller; Vater: Universitäts¬
Probleme auschneidet, es wieder nur Probleme der Schnei¬
professor und Arzt von Weltruf) widerlegt Zollschans Behaup¬
dungsflächen dieser Kaste mit dem Kleinbürgertum oder der
tung von selbst. Hätten wir mehr Schnitzlers, daß heißt mehr
Boheme sind, eines ist aber sicher, diese langsam versinkende
zu Mehrern deutscher Geisteskultur, deutscher Sprache, deutschen
Welt, welche der wirtschaftlich= Aufschwung und der Liberalis¬
Weltruyms Gewordene, die ihr Judentum nicht verleugnen,
mus herangezogen, diese Wiener Frau der jüngsten Ver¬
wahrlich, um das Ansehen unseres Volkes wäre es besser
gangenheit, die von einem stärkeren „dritten“ Geschlecht ab¬
bestellt. Und so möge der Dichter diesen bescheidenen Fest¬
gelöst wird, und deren geheimen Leiden und noch geheimeren
gruß einer durch drei Generationen bestandenen Familien¬
Freuden der gewesene Nervenarzt so wundervoll nachgegangen
freundschaft mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit und
ist, dieser Rebenduft der Wiener Landschaft, der in der wach¬
Nachsicht aufnehmen.
C. B.
senden Großstadt verschwinden wird, dieses vornehme, dekadente
Z
Aesthetentum einer alternden Hyperkultur, alles das, was
die spezielle Wiener Note ausmacht, wird für den Kultur¬
historiker in Schnitzler's Werken weiterleben.
Der Dichter, der einst ein Stürmer und Dränger in
Glacéhandschuhen und Gamaschen war und jeden Zusammen¬
hang mit der Tradition ableugnen wollte, ist sich heute wohl
selbst bewußt, daß seine Bertha Garlan eine Tochter der
Hero, viele seine von Frauengunst getragenen und von Frauen
vorwärts geschobenen jungen Männer Abkömmlinge des
Phaon und Jason, ja selbst sein junger Medardus im
Innersten mit dem greisen Kaiser Rudolf II. wahlverwandt
ist. Und wie die Form bei ihm oft den Inhalt überragt,
ist er seit Walter von der Vogelweide der erste Oesterreicher,
dessen Sprache von Deutschen als mustergiltig empfunden
wird, eine Sprache, über die ein deutscher Literarhistoriker
mit Recht die Devise: Goethe gesetzt hat, und deren wir
uns umso mehr erfreuen können, als uirgends auf unsere
österreichische Literatursprache hochmütiger herabgeblickt
wurde, als im deutschen Norden.
Da spricht es nun Bände für die ganze Tragik des
Judentums, daß dieser Mann, der jüdischen Sitten, jüdischem
Ritus, jüdischem Volkscharakter ganz ferne steht, dem seiner
Erziehung nach das Indentum nicht einmal ein pieux
souvenir de famille, wie Theodor Gomperz von sich sagte,
sein konnte, der noch dazu, wie sein Dichter Bermann, die
im harten Daseinskampf erworbenen Fehler und Vorzüge
des Jnden gleich abstoßend empfindet, ihm, der nie einen
Daseinskampf geführt, der im praktischen Leben von rührender
Unbeholfenheit ist und eines am wenigsten versteht,
sich vorzudrängen und zur Geltung zu bringen, einer
der wenigen, der wohl in keiner Sekunde an sich den
Fluch erfahren, Jude zu sein unNm von germanischen
Volksgenossen vielleicht zuerst und am aufrichtigsten zugejubelt
worden ist, da ist es nun tief tregisch, wenn selbst
ein solcher Mann die aus tiefster Seele kommenden Worte
im Weg ins Freie gesagt hat: Glauben Sie, daß es einen
Christen auf Erden gibt, und wäre es der edelste und ge¬
rechteste und treueste, einen einzigen, der nicht in irgend
einem Augenblick des Grolls, des Unmuts, des Zorns selbst
gegen seinen besten Freund, gegen seine Geliebte, gegen seine
Frau, wenn sie Juden oder jüdischer Abkunft waren, deren
Judentum, innerlich wenigstens, ausgespielt hätte?" Diese
Worte, die eine so tief tragische Wahrheit enthalten und
noch wahrer wären, wenn Schnitzler statt Christ Deutscher
gesagt hätte, denn vom Italiener und Engländer möchte ich
das gleiche nicht behaupten, werden als trauriges Denkmal