VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 91

d
2. 50th and 55th Birtnnay box 39/2
27
4
Teinne.
Bei Gelegenheit diefes fünfzigften Geburtstages sei für
dankenstrichen. Er umgeht das Unfagbare nicht kokett;
den Teilnehmenden auf einige Broschüren, die das Werk
er sagt es ernst, Wort für Wort, langfam. Das ist gut.
Schnitzlers behandeln, hingewiesen.
Das ist schön in seinem Buche „Mara“. Es gibt nicht viele,
Julius Kapp schrieb eine ausführliche Darstellung, die Werk
die es ähnlich fagten; aber es gibt auch keine bessere
um Werk in der hiftorischen Reihenfolge erklärt und
Lektüre, keine beffere befonders für die Frauen, als die
kritiliert. Es ist eine gute Philologenarbeit, die lich jedes
Bücher Hafenauers, der lie lehrt, das Bewußtsein ihrer
tiefere Erfaffen schenkt. Das Buch kann wegen der
Schönheit zu haben, ihr Schickfal zu tragen, hingegeben,
ausführlichen Inhaltsangaben den ganzen Schnitler er¬
ohne Bitterkeiten, ohne die Fragen, die keine Antworten
letzen; das ist ein Fehler Kapps. Auch die Urteile möchte
haben. Man kann nur wünschen, daß Hafenauer soviel
wohl nicht jeder immer unterschreiben; das Buch Kapps
Anerkennung gezollt werde, als genügt, ihn nicht verzwei¬
ift aber die beste Grundlage zur Kenntnis Schnitzlers
feln zu lasfen, — die Liebe gegeben werde, die ihn bewahrt,
und gewährt die bequemste Überlicht.
lich felbst zu verlieren, sondern mächtig macht zu werden,
I. K. Ratislav schrieb eine Studie, die viel Rühmenswertes
was er verlpricht: ein neuer Stendhal, der die Liebe, die
zu fagen weiß und große Hoffnungen auf Schnitzler setzt.
große Liebe gestaltet.
Er bedenkt nicht, daß Schnitzler foviel vom Tode und
Zuleht darf ich die Taffache nicht umgehen, daß Halenauers
vom Sterben schrieb, ohne auch nur einmal eine end¬
Bücher von Gustav Wolf ausgestattet find. Man lieht
gültige Anschauung, ein dauerndes, bildklares Angeschautes
Zeichnungen von einer Genauigkeit, Mannigfaltigkeit und
zu lagen. Warum heißt man einen: „Dichter“? —
Wucht, daß man staunt; weil von diesem Künstler die Welt
Viktor Klemperer schrieb einen Effay, der gut ist. Er ve¬
noch nichts weiß, darf man auf Kubin hinweisen, den er
kennt das Welen Schnitziers nicht. Er bestimmt es als die
Georg Hecht
in manchem übertrifft.
Art, in allem das Leidvolle zu erkennen: in der Luft den
Tod. Es ist die ganze Zerissenheit Schnitzlers. Klemperer
aber spendet keinen Kranz; sein Lob ist sehr vorlichtig,
Uber Schnitzler
wenn auch nicht so kühl und es wird dem Lefer dadurch
Es ist jetzt die Zeit, daß die Jungen von einft alt werden.
die gewille Zuneigung, ein gewilles Schönfärben in Denk¬
Auch Schnibler wird 50 Jahre. Man wird viel über ihn
barkeiten und Entschuldigungen Schnitzler gegenüber mög¬
schreiben. Die Zeitungen werden ihn nennen und loben
lich. Am Schluffe möchte man Tagen: er ist zwar kein Dichter,
oder tadeln. Es wird bekannt werden, daß die Welt von
aber ein fehr netter, liebenswerter Schriftsteller.
Schnitzlers Werken voll ist, was keiner bisher wußte.
Georg Hecht
Wenn einer aber nun wirklich, z. B. an der Hand einer
Monographie, die Werke Schnitzlers repetiert, wird er eine
erschreckende Ahnlichkeit zwischen Heinrich Heine und
Dramatische Werke
Schnitzler bemerken. Auch in ihm is das Jüdische ein
Auf dem Gebiet der dramatischen Literatur scheint ein
wichtiger und bedingender Teil, ein Grundton; auch in
bisher noch unerforschtes Geletz zu walten, nach dem
ihm ist die Zerriffenheit, die das Leben in viele Stücke
fast jede Generation sich mit dem Erbe auseinandersetzen
teilt, auch in ihm hat jede Thefe die Antithefe, auch er
muß, das die Hellenen und Germanen-Kelten uns in ihrem
kann die Entschließung feiner eigenen Seele nicht lagen,
Sagenkreis hinterlaffen haben. Eine neue Periode in dieser
auch er ist der gleißende Erotiker. Und Schnitler ist Arzt
Hinsicht haben Hofmannsthal und Stucken mit Werken
und feziert und kuriert alles aus dem einen Punkt. Das
von großer, vor allem lprachlicher Schönheit eingeleitet.
wenigstens tat Heine nicht, soweit ließ er sich von der
Dies kann jedoch auf die Dauer nicht darüber hinweg¬
Brotik — ach, ein verschämtes Wort! — nicht treiben.
täuschen, daß dieser Bewegung etwas Schwächliches und
Ich will nicht fagen, daß Schnitzlers Werk unsittlich wäre.
Ungesundes anhaftet; die Gestalten diefer Dramen bleiben
Das könnte man ertragen, aber die Unanständigkeit bis¬
für uns kalt und, im letzten Grunde, intereffelos; wo es
weilen wird einem über. Die ganze dargestellte Erotik
aber der Dichter versucht, sie durch eine komplizierte
läßt einen so kühl; man begreift den Menschen nicht, der
Pfychologie zu modernilieren, letzt er lie in Zwielpalt zu
dreißig jahre um die paar Taffachen herumschreiben kann,
ihrem altertümlichen Gewand und zu den unerschütter¬
ob zwei lich bekommen oder nicht, ob sie sich behalten.
lichen Vorstellungen, die wir seit früher Kindheit mit ihnen
Wenn nur wenigstens diefer fauerfüße Wiener Lokalion
verbinden, und vermag daher keine befriedigende Wirkung
nicht in den Büchern wäre, nicht diefes „fuße Mädel“, das
zu erzielen. Trotzdem haben sich auch junge Talente in
unzulängliche Geschöpf.
den Dienft dieser romantischen Bewegung gestellt, fodaß
Wäre Schnitzler dem Wege gefolgt, den er anfing, als er
unfere dramatische Produktion der Schablone anheimzu¬
den „Schleier der Beatrice“ schrieb, als er den Kapell¬
fallen droht. Immerhin wäre ein Stück zum mindesten
meister aus der „Liebelei“ gestaltete, dann hätte er vielleicht
lefenswert wegen feiner klangvollen Verfe und feiner
weniger Werke, aber einiges Tüchtige vollbracht. Der
prachtvollen, bilderreichen Sprache.
irrtum wiegt bei Schnitzler schwerer, weil er lich feiner
Dieses argumentum pro läßt sich leider nicht auf Gustav
fehr bewußt ist und nach den Fehlschlägen von „Tendenz¬
Renner anwenden, der feine Dramen „Alkeste“ und
Dramatik“ abließ. Aber die Erotik brachte ihm Ruhm und
„Merlin“ (Stuttgart, Adolf Bonz & Co.) ebenfalls aus
Anfehen. Gewiß: er hat Werke, die gut sind. „Sterben“.
der alten Mythenwelt geschöpft hat. Seine Sprache int
gibt einen Inhalt und im „Weg ins Freie“ ist der Schluß
nüchterne, verfifizierte Profa, feine Vergleiche sind matt
gehalten, ehrlich und hinterläßt eine schöne Stimmung.
oder gequält. Alkefte ist auch dramatisch fehr schwach.
Es ist viel Gute, viel Verzeihen-können in Schnitzler, ein
Im gleichnamigen Euripideischen Drama opfert lich Al¬
Menich der Böles und Gutes litt und auf feine Weise fertig
keste dem Todesgott für den Gatten Admetos, wird aber
wurde. Er hat lronie und auch Humor. Das tröftet über
von Herakles dem Hades wieder entriffen. Renner be¬
manches; über das Pfychologilieren und Sezieren.
handelt die Vorgeschichte hiezu: wie Alkeste diefes Opfer
Doch wenn sich nicht fehr vieles ändert, dürfte nach 100
bringt. Das einaktige Stück verläuft mehr episch als
Jahren auch Schnitzler kein Denkmal in Deutschland haben,
dramatisch und endigt in der Abschiedstzene Alkestes
ganz so wie Heine.
mit
35