VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 93

Otto Ernst, geb. 7. Oktober 1862
(Phot. A. Matzdorff, Berlin)
Der fünfzigste Geburtstag
as Jahr 1862 hat der deutschen Literatur
eine Reihe von Schriftstellern geschenkt, denen
vergönnt war, ihre Namen durch mannig¬
siche Strömungen und künstlerische Umwälzungen
hit starkem und gutem Klang hindurchzutragen.
n diesem Jahre, in dem die bekannten sieben ihr
sinfzigstes Lebensjahr vollenden, soll die Nation sich
lieses Besitzes lebhafter bewußt werden als sonst.
der Lyriker Stephan Zweig hat zuerst auf dieses
ubeljahr deutschen Schrifttums hingewiesen und
efordert, daß der Stolz und die Frende an ihrem
Schaffen nicht in Jubiläumsartikeln unsrer reich¬
ch 4000 Zeitungen kümmerlich versickern, sondern
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Johannes Schlaf, geb. 21. Juni 1862
(Phot. Kester & Co., München)
1912 (Bd. 108)
Gerhart Hauptmann, geb. 15. November 1862
(Phot. Aura Hertwig, Charlottenburg)
daß die Dichter durch ihre Werke geehrt werden
sollen. Die Jubilare sind¬
mit Ausnahme Jo¬
hannes Schlafs, der seit längerer Zeit vorwiegend
den Roman, die Novelle und den Essay pflegt¬
sämtlich Dramatiker. So sollen denn die deut
schen Bühnen dem deutschen Publikum ihre Schöp¬
fungen in mustergültigen Aufführungen gegen
mäßiges Eintrittsgeld spielen. Und die Nation
soll im Schauen und Genießen dankbar fühlen,
daß ihm ein Jahr eine Auswahl solcher tüchtiger
Kerle auf einmal beschert hat.
Es wäre gut, wenn dieser seltsame Zufall überall
noch zu einer andern Einsicht bekehrte. Wenn wir
die Geburtstagskinder heute gleichzeitig beglück¬
wünschen
den gemütlich=humorvollen Otto
Ernst, den geistreichen, maliziösen und form¬
gewandten Ludwig Fulda, den grüblerischen,
weichen Wiener Arthur Schnitzler, den
tiefsinnigen, Menschenschicksale formenden Ger¬
hart Hauptmann, den empfindsamen
Vildner unmerkbarer Stimmungen, Johannes
Schlaf, den derben, mutigen Kämpfer Mar
Dreyer und Wilhelm Meyer=Förster
den Verfasser des erfolgreichsten Theaterstücks der
letzten Jahrzehnte, „Alt=Heidelberg“ — wenn wir
sie so nebeneinander sehen, manch einen abgrund¬
tief getrennt vom andern durch sein Menschentum


Wilhelm Meyer=Förster, geb. 12. Juni 1862
(Phot. Hubert Lill, Stungart)

Ludwig Fulda, geb. 15. Juli 1862
(Phot. A. Matzdorff, Berlin)
und seine kunstlerische Art, so wird uns klar, wie
gleichgültig gegenüber der großen Allmutter Kunst,
die im Strome der Zeit immer die gleiche bleibt
und trüben Augen doch immer eine wechselnde
scheint, die „künstlerischen Theorien, die große Mehr¬
zahl der „literarischen Revolutionen" sind. Wie nach
der Bibel in des Herrgotts Hause, so sind in des
Okeanos tönenden Gärten viele Wohnungen. Der
Inhalt dieser Welt bleibt immer der gleiche. Ihn
stärker, tiefer, größer im eigenartigen Ich zu fühlen,
heißt Künstler sein. Und immer wird es sich wieder¬
holen, daß die Jugend, die selbst die Welt umzu¬
stülpen meint, alt wird und dann eben diese Welt,
weil sie durch andre Jugend wieder ein bißchen
anders geworden ist, wie Hebbels Meister Anton
nicht mehr versteht.
Karlernst Knatz

Arthur Schnitzler, geb. 15. Mai 1862
hot Aura Hertwig, Charlontenburg
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