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5othand551—Birthdap
Generalanzeiger für Düsseldorf
D Dasseldorf
findet sich immer ein Gevatter Schneider oder Hand¬
Das süße Mädel.
schuhmacher, der ihr das nicht weiter nachträgt,
worüber nach Hebbels strengerer norddeutscher Auf¬
W. Wien, im Mai.
Egmont
fassung „kein Mana hinwegkommt“. Ist
Es stammt vom Gretchen ab, wenn auch manche
von der Szene getreten, so nimmt Brackenburg
Züge auf eine nahe Verwandtschaft mit dem Klärchen
freundwillig seine Stelle ein. Im Elternhause wird
und auch mit der Luise Millerin hinweisen. Aber für
die „Bekanntschaft“ freilich nich gern gesehen, aber
Wien ist der Typus von Arthur Schuf#le4ein
oft als etwas Unvermeidliches hingenommen. Kei¬
für allemal festgelegt wordenIndefe Tagen, da
neswegs braucht das süße Ma#el mit dem Verstoßen¬
er (am 15. Mti) seinen fünfzigsten Geburtstag be¬
werden zu rechnen. „Alles verstehn, heißt alles ver¬
geht, mag es am Platze sein, einiges über seine
zeih'n“ und die Mutter der Mizzi oder der Josefin
populärste Figur, über das Wiener „süße Mädel“ zu
hat wohl im Laufe der eintönigen kleinbürgerlichen
sagen. Im „Anatol“, jener Sammlung leben¬
Ehejahre die kurzen Freuden ihrer Jugend nicht so
sprühender Dialoge, die 1893 erschien und deren
vollständig vergessen, um sie ihrer Tochter als Tod¬
einige in das ständige Repertoire der deutschen
sünden anzukreiden. Seltener findet sich der Vater
Bühnen aufgenommen worden sind, findet sich der
drein, und immerhin mag der alte Musikus in
Ausdruck zum ersten Viale. Dort stellt der Dichter
Schnitzters Liebelei“ mit seinem liebevoll=entschul
das süße Mädel in beabsichtigten Gegensatz zur
digenden Begreifen als Ausnahme gelten, wenn auch
Dame der bürgerlichen Gesellschaft, die ihren Her¬
seine Christine in der Wärme und Ursprünglichkeit
zensneigungen gern gefolgt wäre, wenn sie den Mut
ihrer hingebenden Empfindung die Reinkultur des
aufgebracht hätte. Das „süße Mädel“ aber, das aus
„süßen Mädels“ darstellt. Ihre Gegenspielerin, die
der Enge eines dürftigen Haushaltes kommt, den es
heiter=kecke und so gar nicht sentimentale Schlager¬
gewiß als Ladenmamsell oder Kontoristin mit be¬
streiten hilft, hat diesen Mut — oder diesen Leicht= mizzi wäre in München, in Berlin, in Köln ebenso¬
gut möglich — Christine ist reinstes Wiener Blut.
sinn — ganz wie man will.
Indes hat der Begriff des süßen Mädels, sobald!
Dem süßen Mädel sitzt die unstillbare Sehnsucht
er aus dem engen Kreise der Literatur heraustrat
nach Liebe, mag sie auch vergänglich sein wie die
und volkstümlich wurde, seinen Charakter sehr ver¬
Schönheit eines Maisonntags im Wienerwald, tief
ändert. Das Wiener süße Mädel wurde das hübsche
im warmen Herzen; sie fragt nicht nach Schmuck,
unbedenkliche Mädel der Großstadt schlechtweg, der
Toiletten oder gar Automobil, und gänzlich fern
Ausdruck wurde so verallgemeinert, daß die feinen
liegt ihr der Wunsch nach einer eigenen Wohnung,
aber sehr bestimmten Linien des Schnitzlerschen
dem Ideal ihrer Pariser Kollegin. Was sie von dem
Typus verloren gingen. Und wenn die Dichter der
Gefährten ihrer blühenden Tage verlangt, das ist
bekannten Operette „Das süße Mädel“ im besten
Liebe und wieder nur Liebe. Tief beglückt ist sie,
Librettistendeutich versicherten:
wenn sie an seinem Arme über blumige Frühlings¬
„Das ist das süße Mädel,
wiesen streifen kann, und führt „er“ sie des Abends
So wie es akkurat
in ein bescheidenes Gasthaus, so wird sie auf der
In seiner besten Laune
Speisekarte gewiß gleich unten nachsehen, wo die
Der Herrgott g'schaffen hat“
billigen Speisen verzeichnet sind. Daß „er“, der
einer höheren Gesellschaftsklasse entstammt, Offizier] so verschlug es nichts mehr, daß dieses süße Mädel
oder Beamter, Doktor oder wenigstens Student zufällig den Beruf einer — Masseuse ausübte. Das
süße Mädel war ein Modewort geworden, das heute
in späteren Semestern, sie niemals heiraten wird,
in Wien längst außer Gebrauch gekommen ist. Man
das weiß sie Aber sie weiß auch, daß die nächsichtige
kennt es noch als Firma eines nächtlichen Wein¬
Auffassung ihres Kreises ein Gretchenschicksal nicht
befürchten läßt. Will sie nachher noch heiraten, so lokales; um vom süßen Mädel in seiner einstigen!
5othand551—Birthdap
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D Dasseldorf
findet sich immer ein Gevatter Schneider oder Hand¬
Das süße Mädel.
schuhmacher, der ihr das nicht weiter nachträgt,
worüber nach Hebbels strengerer norddeutscher Auf¬
W. Wien, im Mai.
Egmont
fassung „kein Mana hinwegkommt“. Ist
Es stammt vom Gretchen ab, wenn auch manche
von der Szene getreten, so nimmt Brackenburg
Züge auf eine nahe Verwandtschaft mit dem Klärchen
freundwillig seine Stelle ein. Im Elternhause wird
und auch mit der Luise Millerin hinweisen. Aber für
die „Bekanntschaft“ freilich nich gern gesehen, aber
Wien ist der Typus von Arthur Schuf#le4ein
oft als etwas Unvermeidliches hingenommen. Kei¬
für allemal festgelegt wordenIndefe Tagen, da
neswegs braucht das süße Ma#el mit dem Verstoßen¬
er (am 15. Mti) seinen fünfzigsten Geburtstag be¬
werden zu rechnen. „Alles verstehn, heißt alles ver¬
geht, mag es am Platze sein, einiges über seine
zeih'n“ und die Mutter der Mizzi oder der Josefin
populärste Figur, über das Wiener „süße Mädel“ zu
hat wohl im Laufe der eintönigen kleinbürgerlichen
sagen. Im „Anatol“, jener Sammlung leben¬
Ehejahre die kurzen Freuden ihrer Jugend nicht so
sprühender Dialoge, die 1893 erschien und deren
vollständig vergessen, um sie ihrer Tochter als Tod¬
einige in das ständige Repertoire der deutschen
sünden anzukreiden. Seltener findet sich der Vater
Bühnen aufgenommen worden sind, findet sich der
drein, und immerhin mag der alte Musikus in
Ausdruck zum ersten Viale. Dort stellt der Dichter
Schnitzters Liebelei“ mit seinem liebevoll=entschul
das süße Mädel in beabsichtigten Gegensatz zur
digenden Begreifen als Ausnahme gelten, wenn auch
Dame der bürgerlichen Gesellschaft, die ihren Her¬
seine Christine in der Wärme und Ursprünglichkeit
zensneigungen gern gefolgt wäre, wenn sie den Mut
ihrer hingebenden Empfindung die Reinkultur des
aufgebracht hätte. Das „süße Mädel“ aber, das aus
„süßen Mädels“ darstellt. Ihre Gegenspielerin, die
der Enge eines dürftigen Haushaltes kommt, den es
heiter=kecke und so gar nicht sentimentale Schlager¬
gewiß als Ladenmamsell oder Kontoristin mit be¬
streiten hilft, hat diesen Mut — oder diesen Leicht= mizzi wäre in München, in Berlin, in Köln ebenso¬
gut möglich — Christine ist reinstes Wiener Blut.
sinn — ganz wie man will.
Indes hat der Begriff des süßen Mädels, sobald!
Dem süßen Mädel sitzt die unstillbare Sehnsucht
er aus dem engen Kreise der Literatur heraustrat
nach Liebe, mag sie auch vergänglich sein wie die
und volkstümlich wurde, seinen Charakter sehr ver¬
Schönheit eines Maisonntags im Wienerwald, tief
ändert. Das Wiener süße Mädel wurde das hübsche
im warmen Herzen; sie fragt nicht nach Schmuck,
unbedenkliche Mädel der Großstadt schlechtweg, der
Toiletten oder gar Automobil, und gänzlich fern
Ausdruck wurde so verallgemeinert, daß die feinen
liegt ihr der Wunsch nach einer eigenen Wohnung,
aber sehr bestimmten Linien des Schnitzlerschen
dem Ideal ihrer Pariser Kollegin. Was sie von dem
Typus verloren gingen. Und wenn die Dichter der
Gefährten ihrer blühenden Tage verlangt, das ist
bekannten Operette „Das süße Mädel“ im besten
Liebe und wieder nur Liebe. Tief beglückt ist sie,
Librettistendeutich versicherten:
wenn sie an seinem Arme über blumige Frühlings¬
„Das ist das süße Mädel,
wiesen streifen kann, und führt „er“ sie des Abends
So wie es akkurat
in ein bescheidenes Gasthaus, so wird sie auf der
In seiner besten Laune
Speisekarte gewiß gleich unten nachsehen, wo die
Der Herrgott g'schaffen hat“
billigen Speisen verzeichnet sind. Daß „er“, der
einer höheren Gesellschaftsklasse entstammt, Offizier] so verschlug es nichts mehr, daß dieses süße Mädel
oder Beamter, Doktor oder wenigstens Student zufällig den Beruf einer — Masseuse ausübte. Das
süße Mädel war ein Modewort geworden, das heute
in späteren Semestern, sie niemals heiraten wird,
in Wien längst außer Gebrauch gekommen ist. Man
das weiß sie Aber sie weiß auch, daß die nächsichtige
kennt es noch als Firma eines nächtlichen Wein¬
Auffassung ihres Kreises ein Gretchenschicksal nicht
befürchten läßt. Will sie nachher noch heiraten, so lokales; um vom süßen Mädel in seiner einstigen!