box 39/2
Sothand 55t1 Birthday
Heft 11—357
Der Scherer
Jahrgang XIV—1912
C
Im Fache und verstauben und vergilben,
Ein Huldigungsgedicht
Ein künftig Futteral für Käsemilben
Die „Zeit“ vom 12. Wonnemond bringt folgen¬
Und Wurstbazillen. — Ja, Neurotica,
den poctischen Hirsebrei:
□
Noch besser Lesbica, Sadistica,
Am besten aber Masochistisches
Ann uen Peteise¬
Verbürgt dir heutzutage viel Sukzeß.
Das sind die Bucher, die man heut noch kauft,
(15. Mai 1912).
Je wüster solch ein Schmarrn, so wilder rauft
Wir gratulieren euch an diesem Tage,
Sich voll Begier und voller Brunst darum
Das liebe, hochverehrte Publikum. —
euch, unsern Brüdern, im geliebten Wien,
wir draußen kennen es fast nur durch ihn,
dem ich hier unsern Dank entgegentrage.
Seht nur die Fenster vieler Bücherbuden,
Gleichviel, ob Christen Herr'n sind oder Juden,
Wie oftmals lauschten wir der sanften Klage
Sobald ihr dieses Schrifttum angesehn,
aus seinem Mund, wehmütige Melodien
Muß auch die frömmste Galle übergehn.
Bei dieser Art Erotik ist ja nur
mit Lust vermischt ließ er vorüberzieh'n
Die ganze Pornographenliteratur
als weicher, daseinsseliger Lotophage.
Der keuscheste Pastorentochtertraum.
Ja, selbst der Sanchez und der Busenbaum,
Und weiter träumt und spielt er Blatt um
Der Laynez, Gury und die ganze werte
Blatt
Gepriesene Gerasener Schweineherde,
Fr
ein Wesen ab, schlicht, ohne wen zu fragen.
Die Jünger Jesu, welche die Grotik
u schauen und zu schildern niemals satt.
Verchristlichten in katechetische Zotik,
Mitsamt Ser Aretinos lussuriosi
Wir warten still, was wird er heuer tragen?
Sonetti oder auch den Capricciosi
nd lieben ihn — nichts Beßres läßt sich
Raggionamenti im Vergleich fürwahr
sagen!
Sind aller Unkeuschheit und Sünde bar,
. Arthur Schnitzler“
Gleichwie des Campe und des Schmid Geschichten,
so wie sein Wien, die schönste Vaterstadt.
bleibt in allem und jedem nur Genremaler.
Und könnten dienen selbst zum Unterrichten.
Kaiserswerth a. Rh.
Herbert Eulenberg.
Wir sollten ihn schematisch als Dramatiker
Der Unflat liegt in Haufen auf den Budeln,
einreihen, aber Bühnenraffinement ist nicht
Die liebe Leserschaft damit zu nubeln,
Ja, was wird er heuer tragen, der Herr Schnitz¬
Und Faultier Staat sieht in vergnügter Ruh
er — auf das sind wir auch neugierig —! Hoffent¬
Dramatik und seine scherzhaften Einakter
Der systematischen Verschweinung zu;
ich wird die Zeit, in der er „tragend“ ist, nicht allzu
sind geradeso Novelletten wie seine Novellen:
Und auf der andern Seite protzt wie nie
ange dauern und er wird recht bald kalben — nichts
„Sterben“, „Leutnant Gustel“, und sein lite¬
Die ungeheuerlichste Prüderie!
Besseres läßt sich so:
rarisches Bild verkörpert sich einzig in der
Das Standbild eines nackenden Apol'.
J.
Bühnennovelle „Liebelei“. Seine Versuche
Der schön und kraftvoll auf zur Höhe steigt
Und seinen Stempel — siehe Schiller! — zeigt,
im Thesen= und Problemstück „Freiwild“,
Kostprobe
Das Standbild macht die keuschen Seelen toll,
„Der einsame Weg“, „Der Ruf des Lebens“
Und unsere liebe Frau von Amathunt
zeigen den Mißbrauch der Dramenform für
Wühlt sittliche Entrüstung auf vom Grund.
novellistischen Zweck. Gemeinsam aber hält
In eines andern eminentem Schädel
Man benke nur: Zwei splitterfasernackte
Numort eintönig stets das „Süße Mädel“
dies innerlich verworrene Treiben ein Grund¬
Gestalten, edelschön und reizend,
Und zeugt vergnügt mit Max und Anatol
Mit ihren süßen Formen nimmer geizend —
gefühl zusammen: das Erotische. Sogar im
Par viel Esprit und noch mehr Kohl.
Sehn möcht' ich den, den 's nicht im Innern packte!
dunkel=seichten Renaissancestück „Der Schleier
Der Mann — heißt's in der Presse — „der den
Das aber ist es eben, die Gefühle,
der Beatrice“, dessen formale Vorzüge von
Geist
Sie leiten Wasser auf des Satans Mühle!
Hoffmannsthal angelernt, wird eine Haupt¬
Wepachtet und als Großer sich erweist“. —
Der Freigeist nennt's ästhetischen Genuß;
Obzwar ihm doch das meiste vorgetan
und Staatsaktion zu schleierhafter Liebelei.
In Wahrheit wird damit der Priapus
Die Jeanne Marni, der Henri Labedan,
Daß diese bei ihm öfters zur Liebestragödie
Geweckt, wovor sich ängstlich hüten muß
So was wie Heine, Rochefoucauld, Stendhal
Der wahre Christ. Und also läßt die Sippe,
werden soll, hat er rein äußerlich anempfun¬
nd Nietzsche, Swift und Bulwer allzumal,
Die Volk und Herrscher führt an ihrer Strippe,
den, seiner reizvollen Machepalette solche
Doch siehst du hin — in Chrfurcht nicht, in scheuer! —
Dem nackigten Apoll ein Futteral
düsteren Farben abgequält. Sein einziges
Was birgt denn wohl dies geistige Ungeheuer? —
Anstecken und der Venus von Perkal
wirklich ernst aus dem Innersten gequollenes
Ei nun: reellen Dreck und künstlich Feuer.
Ein Unterröckchen um die Lenden legen,
Das aber schmeckt den guten Leuten just,
Opus, die zehn schmutzigen Dialoge „Reigen“.
Auf daß beim Anblick ihrer Naturalien
e mehr pikant, so besser für die Brust.
Sich nicht die „tierischen" Begierden regen
formal manchmal an Reinhold Lenz erin¬
ns Sex elle spinn dich ein, o Dichter,
Der frumben Herren, die mit den Fäkalien
nernd, hat notwendigerweise den Endzweck,
nd setze überall auf erotische Lichter,
Liguorischer Moraltheologie
die ihm allein gültige Erotik zu symbolisie¬
m Reigen lasse schweben flott vorbei
Zum Bersten vollgepfropft die Phantasie.
ren, mit starken, naturalistischen Nuancen,
die ganze Süße=Mädel=Kompanei,
Sie fürchten — aber ihr versteht mich schon,
kannst gar du in Gedankenstrichen dichten
doch fern jeder großen Linie. Die Armut
Wenn ich nur sage: Insurrektion!
die prickelnd=feinen Unterleibsgeschichten,
Und ach! kein Beichtkind in der Nähe weilt,
und Leere verdeckt er als Handelskundiger
nd drechselst du als ein gewandter Schnitzler
Daß es des Moralisten Schmerzen heilt ...
durch sparsame Zinsanlage seines kleinen
eschichten vom und für —
Um zu vermeiden solch Gelüst, bekam
Vermögens. Kaum ist er tot, da wuchert das
st deiner Ethik oberste Sentenz:
Jedwede Nacktheit eine kurze Scham.
Gras schon wieder; kaum ist sein neuestes
Nymphomanie, Orgasnus und Potenz,
Und Faultier Staat sieht in vergnügter Ruh
Ward deinem Werke der Erfolg beschieden,
Der systematischen Vertrottlung zu ...
Gegenüber den übergeschnappten Jubelfanfa¬
Zu wirken, wie die schärfsten Kanthariden,
ren der Jerichoposaunen und Schofarhörner in den
Fritt selbst beim ausgedorrten Jubelschwein
Judenblättern, welche Schnitzler als „bedeutendsten Derselbe Staat, der sonst so sehr empfindlich,
Ein allerletzter Priapismus ein
Sothand 55t1 Birthday
Heft 11—357
Der Scherer
Jahrgang XIV—1912
C
Im Fache und verstauben und vergilben,
Ein Huldigungsgedicht
Ein künftig Futteral für Käsemilben
Die „Zeit“ vom 12. Wonnemond bringt folgen¬
Und Wurstbazillen. — Ja, Neurotica,
den poctischen Hirsebrei:
□
Noch besser Lesbica, Sadistica,
Am besten aber Masochistisches
Ann uen Peteise¬
Verbürgt dir heutzutage viel Sukzeß.
Das sind die Bucher, die man heut noch kauft,
(15. Mai 1912).
Je wüster solch ein Schmarrn, so wilder rauft
Wir gratulieren euch an diesem Tage,
Sich voll Begier und voller Brunst darum
Das liebe, hochverehrte Publikum. —
euch, unsern Brüdern, im geliebten Wien,
wir draußen kennen es fast nur durch ihn,
dem ich hier unsern Dank entgegentrage.
Seht nur die Fenster vieler Bücherbuden,
Gleichviel, ob Christen Herr'n sind oder Juden,
Wie oftmals lauschten wir der sanften Klage
Sobald ihr dieses Schrifttum angesehn,
aus seinem Mund, wehmütige Melodien
Muß auch die frömmste Galle übergehn.
Bei dieser Art Erotik ist ja nur
mit Lust vermischt ließ er vorüberzieh'n
Die ganze Pornographenliteratur
als weicher, daseinsseliger Lotophage.
Der keuscheste Pastorentochtertraum.
Ja, selbst der Sanchez und der Busenbaum,
Und weiter träumt und spielt er Blatt um
Der Laynez, Gury und die ganze werte
Blatt
Gepriesene Gerasener Schweineherde,
Fr
ein Wesen ab, schlicht, ohne wen zu fragen.
Die Jünger Jesu, welche die Grotik
u schauen und zu schildern niemals satt.
Verchristlichten in katechetische Zotik,
Mitsamt Ser Aretinos lussuriosi
Wir warten still, was wird er heuer tragen?
Sonetti oder auch den Capricciosi
nd lieben ihn — nichts Beßres läßt sich
Raggionamenti im Vergleich fürwahr
sagen!
Sind aller Unkeuschheit und Sünde bar,
. Arthur Schnitzler“
Gleichwie des Campe und des Schmid Geschichten,
so wie sein Wien, die schönste Vaterstadt.
bleibt in allem und jedem nur Genremaler.
Und könnten dienen selbst zum Unterrichten.
Kaiserswerth a. Rh.
Herbert Eulenberg.
Wir sollten ihn schematisch als Dramatiker
Der Unflat liegt in Haufen auf den Budeln,
einreihen, aber Bühnenraffinement ist nicht
Die liebe Leserschaft damit zu nubeln,
Ja, was wird er heuer tragen, der Herr Schnitz¬
Und Faultier Staat sieht in vergnügter Ruh
er — auf das sind wir auch neugierig —! Hoffent¬
Dramatik und seine scherzhaften Einakter
Der systematischen Verschweinung zu;
ich wird die Zeit, in der er „tragend“ ist, nicht allzu
sind geradeso Novelletten wie seine Novellen:
Und auf der andern Seite protzt wie nie
ange dauern und er wird recht bald kalben — nichts
„Sterben“, „Leutnant Gustel“, und sein lite¬
Die ungeheuerlichste Prüderie!
Besseres läßt sich so:
rarisches Bild verkörpert sich einzig in der
Das Standbild eines nackenden Apol'.
J.
Bühnennovelle „Liebelei“. Seine Versuche
Der schön und kraftvoll auf zur Höhe steigt
Und seinen Stempel — siehe Schiller! — zeigt,
im Thesen= und Problemstück „Freiwild“,
Kostprobe
Das Standbild macht die keuschen Seelen toll,
„Der einsame Weg“, „Der Ruf des Lebens“
Und unsere liebe Frau von Amathunt
zeigen den Mißbrauch der Dramenform für
Wühlt sittliche Entrüstung auf vom Grund.
novellistischen Zweck. Gemeinsam aber hält
In eines andern eminentem Schädel
Man benke nur: Zwei splitterfasernackte
Numort eintönig stets das „Süße Mädel“
dies innerlich verworrene Treiben ein Grund¬
Gestalten, edelschön und reizend,
Und zeugt vergnügt mit Max und Anatol
Mit ihren süßen Formen nimmer geizend —
gefühl zusammen: das Erotische. Sogar im
Par viel Esprit und noch mehr Kohl.
Sehn möcht' ich den, den 's nicht im Innern packte!
dunkel=seichten Renaissancestück „Der Schleier
Der Mann — heißt's in der Presse — „der den
Das aber ist es eben, die Gefühle,
der Beatrice“, dessen formale Vorzüge von
Geist
Sie leiten Wasser auf des Satans Mühle!
Hoffmannsthal angelernt, wird eine Haupt¬
Wepachtet und als Großer sich erweist“. —
Der Freigeist nennt's ästhetischen Genuß;
Obzwar ihm doch das meiste vorgetan
und Staatsaktion zu schleierhafter Liebelei.
In Wahrheit wird damit der Priapus
Die Jeanne Marni, der Henri Labedan,
Daß diese bei ihm öfters zur Liebestragödie
Geweckt, wovor sich ängstlich hüten muß
So was wie Heine, Rochefoucauld, Stendhal
Der wahre Christ. Und also läßt die Sippe,
werden soll, hat er rein äußerlich anempfun¬
nd Nietzsche, Swift und Bulwer allzumal,
Die Volk und Herrscher führt an ihrer Strippe,
den, seiner reizvollen Machepalette solche
Doch siehst du hin — in Chrfurcht nicht, in scheuer! —
Dem nackigten Apoll ein Futteral
düsteren Farben abgequält. Sein einziges
Was birgt denn wohl dies geistige Ungeheuer? —
Anstecken und der Venus von Perkal
wirklich ernst aus dem Innersten gequollenes
Ei nun: reellen Dreck und künstlich Feuer.
Ein Unterröckchen um die Lenden legen,
Das aber schmeckt den guten Leuten just,
Opus, die zehn schmutzigen Dialoge „Reigen“.
Auf daß beim Anblick ihrer Naturalien
e mehr pikant, so besser für die Brust.
Sich nicht die „tierischen" Begierden regen
formal manchmal an Reinhold Lenz erin¬
ns Sex elle spinn dich ein, o Dichter,
Der frumben Herren, die mit den Fäkalien
nernd, hat notwendigerweise den Endzweck,
nd setze überall auf erotische Lichter,
Liguorischer Moraltheologie
die ihm allein gültige Erotik zu symbolisie¬
m Reigen lasse schweben flott vorbei
Zum Bersten vollgepfropft die Phantasie.
ren, mit starken, naturalistischen Nuancen,
die ganze Süße=Mädel=Kompanei,
Sie fürchten — aber ihr versteht mich schon,
kannst gar du in Gedankenstrichen dichten
doch fern jeder großen Linie. Die Armut
Wenn ich nur sage: Insurrektion!
die prickelnd=feinen Unterleibsgeschichten,
Und ach! kein Beichtkind in der Nähe weilt,
und Leere verdeckt er als Handelskundiger
nd drechselst du als ein gewandter Schnitzler
Daß es des Moralisten Schmerzen heilt ...
durch sparsame Zinsanlage seines kleinen
eschichten vom und für —
Um zu vermeiden solch Gelüst, bekam
Vermögens. Kaum ist er tot, da wuchert das
st deiner Ethik oberste Sentenz:
Jedwede Nacktheit eine kurze Scham.
Gras schon wieder; kaum ist sein neuestes
Nymphomanie, Orgasnus und Potenz,
Und Faultier Staat sieht in vergnügter Ruh
Ward deinem Werke der Erfolg beschieden,
Der systematischen Vertrottlung zu ...
Gegenüber den übergeschnappten Jubelfanfa¬
Zu wirken, wie die schärfsten Kanthariden,
ren der Jerichoposaunen und Schofarhörner in den
Fritt selbst beim ausgedorrten Jubelschwein
Judenblättern, welche Schnitzler als „bedeutendsten Derselbe Staat, der sonst so sehr empfindlich,
Ein allerletzter Priapismus ein