VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 115

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Sothandsth Birthdar
Rundschau
stärkt, daß er sich zu Denen energisch
geschlagen, die sich losgelöst von den
dogmatischen Satzungen eines drama¬
tischen Zeitalters, das damals ver¬
drängt wurde von der Heilslehre, die
uns aus dem Norden gekommen.
Ich denke weiter an seine, von
daher fast ununterbrochene Reihe von
Erfolgen. Ich denke heut vor allem
an einen, in diesen Jubiläumstagen
erschienenen*) Band neuer Novellen:
„Masken und Wunder“. Sechs
abgerundete, soignierte Kunstwerkchen.
Bei Schnitzler, und in der Dichtkunst
überhaupt, der sicherste und heikelste
Maßstab, so für die Kunst des Künstlers,
wie für die Geschmackskultur seiner Ich¬
erziehung. Auch hier die vollste Wirkung
ausgehend von den Stoffen des Er¬
lebten. Da ist „Der Mörder“ — ein
erschütternder Vorgang, wie mit Ma¬
gnesium=Blitzlicht die Abgrundmöglich¬
keiten in der Menschenseele psycho¬
logisch erhellend zu grauenvoller Natür¬
lichkeit: Ein gutmütig unbewehrter
junger Lebemann, verlobt, zugleich aber
verstrickt in eine ernsthafte Liaison, die
zu brechen dem Entschlußmüden un¬
möglich wird. Hin= und hergeworfen
von seinen unklar ihn umspinnenden
Empfindungen, die beide Frauen mit
gleicher Liebe umfassen, beschließt er:
sich zu befreien, indem er die Geliebte
tötet, um die Braut heiraten zu
können. Was er, fern von der Heimat
auf einer Meerfahrt, auch ausführt —
in der Phantasie schon alle Seligkeiten
lebend an der Seite der legitimen
Braut, die daheim längst einem andern
Manne sich verlobt hat und ihn schnöde
abweist. Ein Duell mit einem Anbeter
der Gemordeten bringt ihrem Mörder
erlösenden Tod. In den Erzählungen
ist überhaupt viel vom Tode die Rede:
*) Verlag S. Fischer, Berlin, wo dem¬
nächst, etwas post festum, eine Jubilä:
ums: Gesamtausgabe der Werke
Schnitzlers herauskommen soll, auf die
näher einzugehen ich mir vorbehalte.
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Ssel #

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„Der Tod des Junggesellen", „Der
tote Gabriel“, „Die dreifach Parnung“.
selbst in „Die Hirtenflöte, ein Phan¬
tasiebild mit symbolischen Schlagschatten
auf die Rätsel der Frauenseele. Die
— Schnitz¬
Rätsel der Frauenseele,
lers Domäne, auf der seiner anmu¬
tigen Plastik meisterliche Leistungen
glücken. Eins noch ist an Schnitzler
— je höher er in die
bemerkenswert
Jahre kommt, desto deutlicher wird
seine Neigung, in erzählender Form
sich auszusprechen. Zugleich wird gerade
im Deama seine Wortprägung immer
knapper und trotz der Knappheit er¬
giebiger, sinntiefer; während seine er¬
zählende Diktion immer behaglicher und
in epischer Unbeengtheit dahinfließt.
In seinen „Masken und Wundern“
finden sich Stellen, die man unbesehen
Kleist zuschreiben möchte, deren ruhig
und festgefügte Perioden an Michgel
Kohlhaas erinnern. Aber von ungleich
packenderer Wirkung und einer Schön¬
heit des Wortes, wie nur die vollaus¬
gereifte Entwickelung un ererheutigen
Muttersprache sie dem Künstler als
Instrument für seine Prägekraft und
seine Feilarbeit gewährt.
Kein Zweifel — wenn Schnitzler
auch ganz gewiß nicht zu den „Großen“.
Zeitlosen gehört, so nimmt er unter
den Heutigen doch einen Rang für
sich ein: den Rang der Besonderheit.
In ihm vereinigt sich der psychologische
Scharfblick, das pathologische Erkennen,
die beobachtende Erfahrung des Arztes;
die verdichtende Impression und durch¬
lichtende Phantasie des Dichters mit
der offenbar gütig beeiferten Menschen¬
liebe dessen, der die Kreatur hat leiden,
sterben, verzweifeln, Gott suchen und
den Teufel finden sehen. Eine zu¬
sammengesetzte Persönlichkeit, die, auf
ihr Kunstgestalten übertragen, reiche
und nachhaltige Wirkungen und Ein¬
drücke nicht verfehlen kann.
Wenn Einer auf beschwerlicher Berg¬
wanderung den höchsten Gipfel erreicht,
WAE PARS NARR ARRNGERNER RR