VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 128

Soth and 55th Birth
ich den damals erschienenen „Schleier der
nitzler
Beatrice“ bewundernd las und besonders
schöne Stellen angestrichen hatte, nahln er mir den
Band aus der Hand und blätterte in ihm. Da
e0
lächelte er zustimmend und fortan plauderten wir
über seine Arbeiten, wie es ihm und mir beliebte.
n, wo er
Die Familie Schnitzler ist eine Aexziedynastie.
war da¬
Der Vater war eine bekannte Kapazität, der äliere
em durch
Sohn zählt zu den berühmtesten Chirurgen Wiens,
amen ge¬
die einzige Schwester vermählte sich mit einem
sehr für
Arzt. Auch Artur Schnitzler wählte die medi¬
n Schöp¬
zinische Laufbahn, doch ist er wohl immer mehr
r sei ein
Künstler gewesen, und das viele Traurige, Hä߬
nissüßer
liche und Krankhafte, das er kennen lernte, hat
emals zu
ihn bedrückt. Er sagte, der Einblick in mensch¬
hlte. Ihm
liches Elend habe ihm viel Lebensfreude geraubt
angenheit,
und er müsse nun bei allen Leuten etwas Krankes
atirischer
suchen; anderseits hat gewiß sein Arztberuf seinen
wiß mehr
Blick für die Tiefen geschärft. An seine Künstler¬
#itig frohe
mission glaubend, hat er schon vor dem Erfolg die
Karriere vernachlässigt, nur einige Privatgratis¬
che Treus
patienten behandelt und sich der Dichtkunst hinge¬
scher Na¬
geben.
s verant¬
Neben seiner täglichen, angestrengten, schrift¬
stellerischen Arbeit bildet er sich weiter, liest viel
Phantasie
und lernt immer wieder an Goethe, Keller und
Weibchen
anderen Meistern des Stils. Mit Vorliebe be¬
bei einem
trieb er damals in der Jahrhundertwende histo¬
ländischen
rische Studien, vertiefte sich in die Zeit der italie¬
uneigen¬
nischen Renaissance, als er den „Schleier der
ser eigent¬
Beatrice“ schuf, und plante an einem großen ge¬
llige Dul¬
schichtlichen Werke, vielleicht unbewußt, schon an
dem „Jungen Medardus“ der im Jahre
des Wie¬
1910 das Burgtheater, das die „Beatrice“ abge¬
uren, wie
lehnt, erobern sollte. Er wollte nicht nur als der
war au
Dichter der Liebe und des Süßen Mädels gelten,
t schlecht
und, vierzig Jahre alt, sagte er: „Ich fühle meine
sickhaltend.
beste Zeit vor mir, ich wage mich jetzt auf weites,
nheld, gab
historisches Gebiet!“ Der in der französischen
sondern
Revolution spielende Einakter Der grüne
Lenbach
Kakadu“ gehört zu seinen Lieblingsschöpfungen,
konnte:
ein genialer Einfall, in drei Tagen beinahe ohne
festhalten,
Korrektur vollendet — wie schade, daß er so selten
den
mehr auf dem Spielplan erscheint!
er in der
Schnitzler wäre kein Künstler kein Sehnsüch¬
tiger, Unbefriedigter, wenn er nicht das ersehnte,
die Ge¬
im all= was er nicht besitzt, und so sprach er oft davon, daß
er lieber ein eleganter, schneidiger Herrnreiter
da konnte
sein möchte, mit viel Muskelkraft und wenig Denk¬
kur ab¬
vermögen, der das Leben unbefangen genießt. und
an sein
dem schöner Frauen Gunst holder lächelt, als dem
beit, und
enkte und Dichter. Gewiß würde er nicht ernstlich tauschen“
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wollen, aber er bewunderte und beneidele ane; Benleitmüstt. Schnitzter ist heiterer geworden,
weil ja reife Menschen meist froher sind als junge,
starken schönen Menschen, die nicht von des Ge¬
voll unerfüllter Sehnsucht und voll Konflikte.
dankens Blässe angekränkelt, nicht die tausend
Herr seiner Kunst, kennt er auch ihre Grenzen.
Stimmungen und Zweifel des Schaffenden kennen.
In heiliger Scheu, fern jedem Dilettantismus
Mittelgroß, eher zur Fülle neigend, mit einem
und dem Schein, schafft er nicht überhastete, wohl¬
etwas weichen Gesicht, gütigen Augen und nach¬
durchbildete, abgerundet reise Werke. Und lächelnd
denklich liebenswürdigem Lächeln, leicht seminin,
iann er an seinem fünfzigsten Geburtstag wie¬
ist Schnitzler durch und durch Wiener und in
derholen, was er vor zehn Jahren gesagt: „Ich
seinen Lebensgewohnheiten der etwas verwöhnte
fühle meine beste Zeit vor mir!“
Mann aus gutem Haus. Nur in Wien fühlt er
sich dauernd heimisch, wenn er auch gern in Berlin
weilt, wo er vielfache interessante Beziehungen
Das Klaster—
hat und in dem anregenden Kreise seines Ver¬
legers „Fischer“ verkehrt. Oesterreicher und
Jude, von jener feinen, alten Kultur, wie man sie
unter Oesterreichs Juden zuweilen findet, ist er
vielleicht gerade seiner Abstammung wegen dop¬
pelt empfindsam und zurückhaltend, mit Unrecht
wurde ihm seine Exklusivität manchmal für Hoch¬
mut ausgelegt.
Als „Leutnant Gustl“ unliebsames Auf¬
sehen erregte und im „Freiwild“ das Duell
der Offiziere getadelt wurde, da hat man dem
Dichter, der nur ein Problem künstlerisch ohne
Tendenz gestalten wollte, mit Unrecht vorgewor¬
sen, er sei antimilitärisch gesinnt. Dieses Urteil
hat ihn gekränkt weil er stets eine starke Sym¬
pathie für die frische, unmittelbare Art des Sol¬
datenstandes gehegt und mit Vorliebe des eigenen
Militärjahres gedachte. Die teils dummen Ur¬
teile über seinen vielumstrittenen „Reigen“, die
erotischen Skizzen, waren ihm auch unlieb — nur
dem Drängen seiner Freunde war er gefolgt, als
er das in kleiner numerierter Zahl erschienene
Bändchen, der Oeffentlichkeit übergab: ich be¬
sitze noch ein solches Widmungsexemplar dieser
Skizzen, die gewiß nicht freier sind, als eine große
Zahl gern gelesener, französischer Arbeiten dieser
Art.
Ein echter Wiener ist Schnitzler auch in seiner
Begabung für Musik. Er hat als Junggeselle
viele Jahre auf derselben Etage mit seiner Mut¬
ter eine behagliche Garconwohnung innegehabt
und jeden Tag mit der von ihm verehrten. alten
Dame vierhändig musiziert. In Konzerten ist er
ein oft gesehener Gast und als er Anfang der
Vierziger heiratete, da führte er eine Frau heim.
die eine schöne Stimme hat. So singt und klingt
es in dem hübschen Heim, das er draußen im
gartengrünen Cottageviertel, fern vom Großstadt¬ 2
ein kleiner
getriebe, bewohnt und seine Kinder,
Junge und ein Mädchen, zwitschern die fröhliche