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gothBrhday
* Der Kritiker*
Zeitschrift für Wirtschaft, Politik und Kunst
Herausgeber: Dr. C. F. W. Behl und Dr. Neulaender.
I. u. 2. Maihert.
4. Jahrgang 1922.
Arthur Schnitzler.
von Walter Lewy.
Arthur Schnitzfers 60. Geburtstag wird nicht wie der Gerhart Haupt¬
manns eine Angelegenheit des Volkes sein. Hauptmanns Kunst und Menschen
sind vom Volk und zeugen für das Volk. Er hat es zu sich bekehrt und es
feiert ihn als seinen Propheten. Arthurs Schnitzlers Name aber ist Symbol
für eine andere Welt, eine andere Menschenart, der zwar auch Volkstüm¬
liches anhaftet, die jedoch stets irgendwie darüber steht. Schnitzlers Men¬
schen eignet allen ein gewisser Adel der Person, eine Differenziertheit ihrer
seelischen Kultur und Struktur, sie haben alle Gesten der Resignation und
über ihnen lagert die Patina einer verschimmernden Welt des Glücks. Im
„Anatol“ ist die Typus am intensivsten herauskristallisiert, jenem leisen
Werk, dessen bestrickende Melodie ungeahnte Stimmungen hervorzaubert.
Schnitzlers Gestalten sind alle „Dämmerseelen“, die, einer dunkien Gewalt
folgend, von einander weg-, zu einander hinstreben, die Erfüllung suchen
und nur ihrem Gefühl leben.
Auf zwei Grundthemen baut jede Schnitzlersche Dichtung sich auf: Der
Liebe und dem Sterben, Von Werk zu Werk sich vervollkommnend, hat er
einen hinreißenden Rhyhmus, einen bezwingenden Stil gefunden, der ein
Thema von allen Seiten beleuchten, es aus der Tiefe gedanklicher Be¬
trachtung zur Höhe eines perlenden Dialogs erheben kann, In diesem Sinn
sind seine Novelle „Sterben“ und sein Schauspiel „Liebelei“ Meisterwerke.
Das Tempo seines „Leutnant Gustl“, der in einer Nacht ein Schicksal er¬
lebt, das ihn Todeserfahrung und Lebenszwang bis zur Neige auskosten
läßt, ist unerreicht, Schnitzlers Epik ist mustergültig, wenn sie in konzen¬
triertester Form einer Novelle oder Novellette die Tragik eines Lebens
schildert, sie bleibt es noch, wenn sie, einen breiten Rahmen umspannend,
sich zu einem Roman, wie dem tiefgreifenden „Weg ins Freie, auswirkt.
Das Problem des „erotischen Ergriffenseins“ der Geschlechter formt er in
jedem seiner Werke und führt es in ehrlicher Offenheit, mit dem Reiz dich¬
terischen Erlebens verklärt, bis zur Höhe seiner „Reigen“-Di l-4e, der Er¬
kenntnisse im „Weiten Land“ und einer seiner letzten Schöpfungen, der
wertvollen Novelle„Casanovas Heimfahrt.
Das Erotische in allen seinen Erscheinungen als Lebensform und Lebens¬
gehalt, ist die Domäne Schnitzlers. Die Liebe als Kampf und als Spiel, als
Trieb und als Krampf hat er gemalt. Mit der ganzen weichen Geschmeidigkeit
seiner Dialektik hat er fast die schönsten Liebesszenen in deutscher Sprache
geschaffen. Immer um einen Ton zu hell, um einen Grad zu hingebend. Ohne
die Brutalitäten, höchstens der gewaltigen Wildheit und der wilden Gewalt
der Liebe, Das pathologische Moment, das bei seinen Schöpfungen regel¬
mäßig zum Ausdruck kommt, verschwindet völlig, wenn es sich um die Sehn¬
sucht zweier Menschen handelt. Eine Probe auf sein Dichtertum.
Er ist ein Aristokrat des Wortes, wie Rilke im Lyrischen. Der Schöpfer
einer lockenden Welt, nach deren genießerischem Frohsinn unser Sinn in
manchen Augenblicken steht, wenn die Arbeit getan ist. Der ernste Künder
einer lächelnden Philosophie, deren wir bedürfen.
gothBrhday
* Der Kritiker*
Zeitschrift für Wirtschaft, Politik und Kunst
Herausgeber: Dr. C. F. W. Behl und Dr. Neulaender.
I. u. 2. Maihert.
4. Jahrgang 1922.
Arthur Schnitzler.
von Walter Lewy.
Arthur Schnitzfers 60. Geburtstag wird nicht wie der Gerhart Haupt¬
manns eine Angelegenheit des Volkes sein. Hauptmanns Kunst und Menschen
sind vom Volk und zeugen für das Volk. Er hat es zu sich bekehrt und es
feiert ihn als seinen Propheten. Arthurs Schnitzlers Name aber ist Symbol
für eine andere Welt, eine andere Menschenart, der zwar auch Volkstüm¬
liches anhaftet, die jedoch stets irgendwie darüber steht. Schnitzlers Men¬
schen eignet allen ein gewisser Adel der Person, eine Differenziertheit ihrer
seelischen Kultur und Struktur, sie haben alle Gesten der Resignation und
über ihnen lagert die Patina einer verschimmernden Welt des Glücks. Im
„Anatol“ ist die Typus am intensivsten herauskristallisiert, jenem leisen
Werk, dessen bestrickende Melodie ungeahnte Stimmungen hervorzaubert.
Schnitzlers Gestalten sind alle „Dämmerseelen“, die, einer dunkien Gewalt
folgend, von einander weg-, zu einander hinstreben, die Erfüllung suchen
und nur ihrem Gefühl leben.
Auf zwei Grundthemen baut jede Schnitzlersche Dichtung sich auf: Der
Liebe und dem Sterben, Von Werk zu Werk sich vervollkommnend, hat er
einen hinreißenden Rhyhmus, einen bezwingenden Stil gefunden, der ein
Thema von allen Seiten beleuchten, es aus der Tiefe gedanklicher Be¬
trachtung zur Höhe eines perlenden Dialogs erheben kann, In diesem Sinn
sind seine Novelle „Sterben“ und sein Schauspiel „Liebelei“ Meisterwerke.
Das Tempo seines „Leutnant Gustl“, der in einer Nacht ein Schicksal er¬
lebt, das ihn Todeserfahrung und Lebenszwang bis zur Neige auskosten
läßt, ist unerreicht, Schnitzlers Epik ist mustergültig, wenn sie in konzen¬
triertester Form einer Novelle oder Novellette die Tragik eines Lebens
schildert, sie bleibt es noch, wenn sie, einen breiten Rahmen umspannend,
sich zu einem Roman, wie dem tiefgreifenden „Weg ins Freie, auswirkt.
Das Problem des „erotischen Ergriffenseins“ der Geschlechter formt er in
jedem seiner Werke und führt es in ehrlicher Offenheit, mit dem Reiz dich¬
terischen Erlebens verklärt, bis zur Höhe seiner „Reigen“-Di l-4e, der Er¬
kenntnisse im „Weiten Land“ und einer seiner letzten Schöpfungen, der
wertvollen Novelle„Casanovas Heimfahrt.
Das Erotische in allen seinen Erscheinungen als Lebensform und Lebens¬
gehalt, ist die Domäne Schnitzlers. Die Liebe als Kampf und als Spiel, als
Trieb und als Krampf hat er gemalt. Mit der ganzen weichen Geschmeidigkeit
seiner Dialektik hat er fast die schönsten Liebesszenen in deutscher Sprache
geschaffen. Immer um einen Ton zu hell, um einen Grad zu hingebend. Ohne
die Brutalitäten, höchstens der gewaltigen Wildheit und der wilden Gewalt
der Liebe, Das pathologische Moment, das bei seinen Schöpfungen regel¬
mäßig zum Ausdruck kommt, verschwindet völlig, wenn es sich um die Sehn¬
sucht zweier Menschen handelt. Eine Probe auf sein Dichtertum.
Er ist ein Aristokrat des Wortes, wie Rilke im Lyrischen. Der Schöpfer
einer lockenden Welt, nach deren genießerischem Frohsinn unser Sinn in
manchen Augenblicken steht, wenn die Arbeit getan ist. Der ernste Künder
einer lächelnden Philosophie, deren wir bedürfen.