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box 39/3
Ein Schnitzlerbuch.
Zur rechten Stunde hat Josef Körner im Amaltheaverlag (Wien)
sein Arthur Schnitzler-Buch erscheinen lassen. Es gibt auf über 200 Seiten
ein klar umrissenes Bild der geistigen Leistung, die das dichterische Werk
Schnitzlers für uns bedeutet. Es hält sich — fast allzu bewußt — frei von
jeglichem hymnischen Aufschwung, wird dem Schaffen des Wiener Dichters
durch kluge Analyse seiner Wesenheit gerecht und unterläßt es nicht, das,
was schwach und verfehlt anmutet, ohne Schönfärberei bloßzulegen. Im An¬
schluß an Schnitzlers Hauptwerke werden die Elemente seiner Kunst erörtert
und so die Grundlinie klar und sicher aufgezeigt. Körner will drei Schaffens¬
perioden erkennen: die lebemännliche bis 1897, die männliche bis etwa 1913
und von da ab die Altersperiode, deren entscheidende Schöpfungen noch
ausstehen, Er behandelt das menschliche Liebesleben als „das Haupt- und
Mittelpunktsproblem“ von Schnitzlers gesamtem Schaffen und kommt schlie߬
lich zu dem Ergebnis, daß „seit Hebbels Hingang nur wenige im deutschen
Land erstanden sind, die „in Bezug auf den zwischen den Geschlechtern
anhängigen großen Prozeß“ so Wertvolles vorzubringen hatten wie dieser
Wiener Dichter“. — Körners Arbeit stellt einen sehr wertvollen Versuch dar,
dem manch gutes und aufhellendes Wort über Schnitzler geglückt ist. Der
melancholische Skeptiker einer Untergangszeit, der uns dichterische Gebilde
von wehmutsvoller Grazie geschenkt hat und das Leben nicht für mehr nimmt,
als es scheinen will, darf sich wohl kaum einer unbedingten Lobpreisung
erwartend sein. Und so wird er das Körnersche Buch sicherlich mit jener
selbsterkennenden lächelnden Skepsis hinnehmen, die ihm eigen ist- und
B
seinen innersten menschlichen Wert ausmacht.
Was will Frankreich?
Von Günther Moszkowski.
Es wäre verfehlt, wollte man den Ausgang der Konferenz von Genua
lediglich nach den unterschriebenen und paragraphierten Resolutionen beur¬
teilen. Richtiger als alle gefaßten Beschlüsse ist der allgemeine Stimmungs¬
gehalt, den dieser internationale Meinungsaustausch zurücklassen wird, nach¬
dem die Staatsmänner abgereist sind. Selten hat sich eine Gelegenheit ge¬
boten, die Stellungnahme der europäischen Regierungen zu den wichtigsten
Problemen der Gegenwart so genau zu studieren, wie in den Tagen von
Genua, in denen die Notwendigkeit der Beantwortung scharf präcisierter
Denkschriften und Resolutionen es zumindest schwierig machten, die eigene
Auffassung vor der aufs äußerste gespannten, scharf aushorchenden Oeffent¬
lichkeit zu verbergen. Wohl haben sich gewaltige Kontraste in den nationalen
Weltanschauungen der Völker gezeigt, die das Gelingen der Konferenz aufs
äußerste gefährdeten, aber ihre Offenbarung wird vielleicht dazu beitragen,
im Laufe der Zeit Mittel und Wege zu finden, die die Leiden Europas heilen
und eine neue politische Konstellation auf dem Kontinent herbeiführen werden.
Auf den ersten Blick scheint sich keine Regierung so weit von den
Grundsätzen entfernt zu haben, die nach den letzten drei Friedensjahren
von den übrigen Völkern als die unumgänglichen Voraussetzungen des euro¬
päischen Wiederaufbaus angesehen werden wie die französische, Bis jetzt
ist in Genua nur das russische Problem zur Sprache gekommen, nachdem auf
den ausdrücklichen Wunsch Frankreichs die Frage des Wiederaufbaus des
eigenen Landes als eine politische und zudem schon im Versailler Friedens¬
vertrag gelöste Frage nicht in der Tagesordnung aufgenommen wurde. Da
die Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich in Genua nicht in ihrem
vollen Ausmaß ausgetragen werden konnten, beherrschte der russische-fran¬
zösische Antagonismus die Konferenz. Auf der einen Seite verteidigte man
mit vielleicht einwandfreien juristischen Argumenten die Thesis der Unan¬
greifbarkeit des Privateigentums, auf der andern Seite wollte man wenigstens
im Prinzip den Grundsatz der Sozialisierung ohne Entschädigung aufrecht er¬
halten. Und in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen standen die
Völker, denen weniger an grundsätzlichen Auseinandersetzungen gelegen war
als an der Wiederaufnahme des russischen Wirtschaftskomplexes in das Netz
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Ein Schnitzlerbuch.
Zur rechten Stunde hat Josef Körner im Amaltheaverlag (Wien)
sein Arthur Schnitzler-Buch erscheinen lassen. Es gibt auf über 200 Seiten
ein klar umrissenes Bild der geistigen Leistung, die das dichterische Werk
Schnitzlers für uns bedeutet. Es hält sich — fast allzu bewußt — frei von
jeglichem hymnischen Aufschwung, wird dem Schaffen des Wiener Dichters
durch kluge Analyse seiner Wesenheit gerecht und unterläßt es nicht, das,
was schwach und verfehlt anmutet, ohne Schönfärberei bloßzulegen. Im An¬
schluß an Schnitzlers Hauptwerke werden die Elemente seiner Kunst erörtert
und so die Grundlinie klar und sicher aufgezeigt. Körner will drei Schaffens¬
perioden erkennen: die lebemännliche bis 1897, die männliche bis etwa 1913
und von da ab die Altersperiode, deren entscheidende Schöpfungen noch
ausstehen, Er behandelt das menschliche Liebesleben als „das Haupt- und
Mittelpunktsproblem“ von Schnitzlers gesamtem Schaffen und kommt schlie߬
lich zu dem Ergebnis, daß „seit Hebbels Hingang nur wenige im deutschen
Land erstanden sind, die „in Bezug auf den zwischen den Geschlechtern
anhängigen großen Prozeß“ so Wertvolles vorzubringen hatten wie dieser
Wiener Dichter“. — Körners Arbeit stellt einen sehr wertvollen Versuch dar,
dem manch gutes und aufhellendes Wort über Schnitzler geglückt ist. Der
melancholische Skeptiker einer Untergangszeit, der uns dichterische Gebilde
von wehmutsvoller Grazie geschenkt hat und das Leben nicht für mehr nimmt,
als es scheinen will, darf sich wohl kaum einer unbedingten Lobpreisung
erwartend sein. Und so wird er das Körnersche Buch sicherlich mit jener
selbsterkennenden lächelnden Skepsis hinnehmen, die ihm eigen ist- und
B
seinen innersten menschlichen Wert ausmacht.
Was will Frankreich?
Von Günther Moszkowski.
Es wäre verfehlt, wollte man den Ausgang der Konferenz von Genua
lediglich nach den unterschriebenen und paragraphierten Resolutionen beur¬
teilen. Richtiger als alle gefaßten Beschlüsse ist der allgemeine Stimmungs¬
gehalt, den dieser internationale Meinungsaustausch zurücklassen wird, nach¬
dem die Staatsmänner abgereist sind. Selten hat sich eine Gelegenheit ge¬
boten, die Stellungnahme der europäischen Regierungen zu den wichtigsten
Problemen der Gegenwart so genau zu studieren, wie in den Tagen von
Genua, in denen die Notwendigkeit der Beantwortung scharf präcisierter
Denkschriften und Resolutionen es zumindest schwierig machten, die eigene
Auffassung vor der aufs äußerste gespannten, scharf aushorchenden Oeffent¬
lichkeit zu verbergen. Wohl haben sich gewaltige Kontraste in den nationalen
Weltanschauungen der Völker gezeigt, die das Gelingen der Konferenz aufs
äußerste gefährdeten, aber ihre Offenbarung wird vielleicht dazu beitragen,
im Laufe der Zeit Mittel und Wege zu finden, die die Leiden Europas heilen
und eine neue politische Konstellation auf dem Kontinent herbeiführen werden.
Auf den ersten Blick scheint sich keine Regierung so weit von den
Grundsätzen entfernt zu haben, die nach den letzten drei Friedensjahren
von den übrigen Völkern als die unumgänglichen Voraussetzungen des euro¬
päischen Wiederaufbaus angesehen werden wie die französische, Bis jetzt
ist in Genua nur das russische Problem zur Sprache gekommen, nachdem auf
den ausdrücklichen Wunsch Frankreichs die Frage des Wiederaufbaus des
eigenen Landes als eine politische und zudem schon im Versailler Friedens¬
vertrag gelöste Frage nicht in der Tagesordnung aufgenommen wurde. Da
die Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich in Genua nicht in ihrem
vollen Ausmaß ausgetragen werden konnten, beherrschte der russische-fran¬
zösische Antagonismus die Konferenz. Auf der einen Seite verteidigte man
mit vielleicht einwandfreien juristischen Argumenten die Thesis der Unan¬
greifbarkeit des Privateigentums, auf der andern Seite wollte man wenigstens
im Prinzip den Grundsatz der Sozialisierung ohne Entschädigung aufrecht er¬
halten. Und in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen standen die
Völker, denen weniger an grundsätzlichen Auseinandersetzungen gelegen war
als an der Wiederaufnahme des russischen Wirtschaftskomplexes in das Netz