VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 18

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—Blethday
Ostsee-Zeitung
Stettis
3- MAT192
Artur Schnitzler.
Zum 60. T5- Mai),
#
Von Hugo von Hofmannsthal.
Der Verlag von S. Fischer in Berlin widmet das
Maiheft der „Neuen Rundschau“ dem 60. Geburtstag Artur
Schnitzlers indem es Würdigungsartikel von Auernheimer,
Hermann Bahr Gerhart Hauptmann, Hugo Hofmannsthal,
Alfred Kskr, Thömas Mann, Stefan Zweig ung andern
berühmten Freunden des Dichters veröffentlicht. Der sol¬
gende Beitrag Hofmannsthals wird besonderes Interesse
finden:
Schnitzlers Theaterstücke sind vollkommene Theaterstücke, gebaut,
um zu fesseln, zu beschäftigen, zu unterhalten, in geistreicher Weise.
zu überraschen; sie tun dem Augenblick genug und vermögen noch
nachträglich das Gemüt und die Gedanken zu beschäftigen; ihre Hand¬
lung und ihr Dialog beschwingen einander wechselweise, die Charak¬
tere sind vorzüglich erfunden, leben ihr eigenes Leben und dienen doch
nur dem Ganzen. Wenn man diese Stücke auf der Bühne sieht, hat
man das Gefühl: derjenige, der sie gemacht hat, ist auf den Brettern
zu Hause und hat keinen anderen Ehrgeiz, als durch das Theater zu
wirken.
Schnitzlers Erzählungen sind lebendig, spannend; sie haben immer
das nötige Detail, aber nie zuviel davon, sie haben Psychologie, aber
die Psychologie dient nur dazu, den Gang des Ganzen in einem rei¬
genden Rhythmus bald zu verlangsamen, bald zu beschleunigen, sie
stecken voll Beobachtung, aber auch die Beobachtung ist dem eigentlichen
Reiz der Erzählung untergeordnet. Man hat das Gefühl, daß sie von
einem Mann herrühren, dessen primäres Talent das Talent des Er¬
zählers kurzer oder eigentlich mitteklanger Erzählungen ist. In beiden
Formen: Drama und Erzählung ist er durchaus ein Künstler, und
war es vom ersten Tage an. Es ist ein erstaulicher Gedanke, daß die
kleinen Szenen aus dem Leben einer erfundenen Figur „Anatol“,
die heute aller Welt in Europa und über Europa hinaus geläufig ist,
und eine kurze, in ihrer Art vollkommen reife und meisterhafte Er¬
zählung „Reichtum“ das erste waren, womit er vor so vielen Jahren
hervortrat.
Ihm sind alle Instrumente zu Dienst, die das Handwerk einem
erfahrenen und sehr nachdenklichen Künstler in die Hand gibt, um
selbst den scheinbar unergiebigen Stoff ganz zu bezwingen und der
Materie ihren inneren Reichtum zu entlocken. Keines davon gebraucht
er mit größerer und reizvollerer Virtuosität als die Ironie. Je
kühner er diese anwendet, je mehr er seinen Stoff und seine Motive
mit ihr in die Enge treibt, desto weiter erscheint paradoxerweise sein
geistiger Horizont. So würde ich sagen, daß neben der „Liebelei“,
die eine Arbeit von ganz einziger Art ist, einige seiner kleinen Kunst¬
werke — Erzählungen oder Dramen — durch den Zauber der Ironie
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als die größten erscheinen. Ihnen allen wohnt nicht nur die Andeu¬
tung inne, daß der Schöpfer dieser kleinen Welten mehr von der Welt
weiß, als er zu sagen vor hat — dies ist ein gewöhnlicher Reflex aller
Ironie —, sondern auch dieses Besondere: man ahnt. er hätte noch
mehr und vielleicht noch Stärkeres zu geben, als ihm bisher zu geben
gefallen hat oder gestattet war. Unter diesen Umständen kann man
nicht vom Alter eines solchen Menschen sprechen, denn es ist durchaus
möglich, daß ein solcher von einem Teil seiner Kräfte noch niemals
sichtbaren Gebrauch gemacht und auch einen Teil seiner Jugend
irgendwo zurückbehalten oder verborgen hat.