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6oth Birthday
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Saale Zeitung
Adresse: Halle a. d. Saale
Datum:
10 MAILZ
Literatur.
Josef Körner, Arthur Schnitzlers Gestalten und Pro¬
bleme. Mit einem Porträrve#Bichters und einigen
Szenekbildern. Wien. 1922, Amalthea=Verlag. Amal¬
thea=Bücherei Band 23.
Die Monographie Josef Körners „Arthur Schnitzlers
Gestalten und Probleme“ betritt neue Wege, das Schaffen
eines Künstlers darzustellen. Sie versucht mit Zuhilfe¬
nahme der Pschoanalyse das dichterisch= affen des be¬
zu beleuchten,
deutendsten Wiener Dramatikers nicht
sondern auch aus der Tiefe psychischer Erlebnisse zu er¬
klären. Sie geht darin von der Ansicht aus, daß die schöpfe¬
rischen Arbeiten eines Künstlers immer um bestimmte
typische Gestalten, Motive und Probleme kreisen. In die¬
sem Sinne legt sie durch das Gesamtwerk Arthur Schnitz¬
lers einen Längsschnitt und legt so alles Typische heraus,
so daß sich eine Reihe von Urerlebnissen des Dichters er¬
gibt, deren ständige Ausgestaltung und Umarbeitung sein
ganzes Schaffen umfaßt. Es ist, als ob des Dichters Seele
ausschließlich von dieser geringen Anzahl von Urideen er¬
griffen wäre und mit ihnen immer aufs neue ränge. So
erscheinen Motine, die das Hauptthema eines Werkes bil¬
den, in einem früheren als Episode, in einem späteren
klingen sie leise nach. Auf diese Weise gewinnt man ein
überaus gutes Verständnis der Absichten des Dichters, ver¬
mag seine Verdienste besser und gerechter zu bewerten.
Dabei ist das Aesthetisch=künstlerische keinesfalls vernach¬
lässigt. Dieser Versuch, einen Dichter mit Hilfe der Psycho¬
analyse zu erschöpfen, ist wohl der erste, der auf diesem Ge¬
biete gemacht wurde. Er verdient darum besondere Beach¬
tung und wäre es wert, daß er auch ein Muster für andere
Monographien dieser Art, die rein literarhistorisch sind,
bildete. Der Amalthea=Verlag hat das Werk besonders
schön ausgestattet, es erscheint auf bestes Friedenspapier
gedruckt, bringt ein Porträt des Künstlers und einige
Bühnenbilder.
r
20
Mamburgel Serrespondenk
1MA
Gratulanten für Arthur Schnihler.
Eine Reihe der besten deutschen Dichter vereinigt sich im
Maiheft der „Neuen Rundschau“ zu Glückwünschen für Arthur
Schnitzler, der am 15.,Mai 60 Jahre alt wird.
(Gerhart Hauptmann
schreibt: „Arthur Schnitzlers warme und feine Begabung be¬
sitzt einen Zug, der in Deutschland selten ist, Grazie. Es ist
deutsche Grazie, keine französische. Seine Gestalten, sein Theater
ist unaufdringlich bis zur möglichen Grenze. Man wird diesen des¬
halb manchmal ein wenig blaß anmutenden Schriftsteller immer
wieder revidieren müssen, um die farbigen Reize und großen
Schönheiten seines Werkes nicht zu verlieren und für den deutschen
Dauerbesitz zu retten. Den Sinn für Schnitzler besitzen, heißt
Kultur besitzen, und sich von Schnitzler angezogen fühlen, heißt
die Kultur suchen. Es sollte viel mehr, als es geschieht
Schnitzler gespielt werden.“
Thomas Mann
schreibt: „Ich bin der wiederkehrenden Gelegenheit froh, Arthur
Schnitzler meiner alten und immer, neuen Bewunderung zu
versichern. Die Stunden, ich wiederhole es, die ich im Theater
oder zu Hause im Lesestuhl mit der Anschauung seiner Werke
verbrachte, waren solche künstlerischer Geborgenheit, unzweifel¬
haftesten Vergnügens. glücklich erhöhten Lebensgefühls. Voll¬
endet österreichisch, ist er heute für jene seelische Sphäre in eine
ähnlich repräsentative Stellung hineingewachsen, wie etwa
Hauptmann für das Reich. Seine Schöpfungen besitzen allen
Schmelz, alle Geschmackskultur, alle Liebenswürdigleiten des
Oesterreichertums; aber als ihr besonderes Charakteristikum er¬
scheint mir eine gewisse Lebensstrenge, die weh tut — und die
wohl eigentlich nicht österreichisch ist. Hofmannsthal ist traum¬
haft intensiv, aber er hat nicht dies, und auch Altenberg hat es
nicht. Es mag vom Aerztlichen herrühren, — das Unempfind¬
liche, Unerbittliche.“
Hermann Bahr
faßt seinen Glückwunsch in folgende Worte: „Was meinst Du,
lieber Arthur, wie viel wird in hundert Jahren von Dir noch
am Leben sein? Und wie viel von mir? Wie viel von uns allen?
Du ftagst vielleicht, ob ich Dich das grad an Deinem sechzigsten
Geburtstag fragen muß, aber kannst Du -Dich erinnern, daß ich
je schicklich war? Und Du wirst auch gleich sehen. Du kommst
bei meiner Frage weit besser weg, als Du vermetest.
Was wird denn in hundert Jahren überhaupt sein, dort,
wo wir jetzt sind, wo vor einiger Zeit noch unser altes Oester¬
reich war? Nun, ich vermute: da wird in hundert Jahren
wieder jenes Oesterreich sein, wenn auch vielleicht ein bißchen
anders, ein bißchen verrückt, nämlich mehr nach Osten, vielleicht
auch unter einer anderen Firma, wahrscheinlich unter einem
anderen Namen, ich denke, daß es Böhmen heißen wird den
heiligen Benes wird es als Erzvater verehren, und dieses neu
betitelte Reich, als Eckfenster Europas, wieder für die Länder
des Abendlandes genau so wichtig, geheimnisvoll und unver¬
ständlich, wie es unter dem alten Namen war. wird nun, gerade
S
Sen
weil es auf seine neue Form sehr stolz sein wird, das Bedürfnis
aller neuen Formen haben: sich mit Ahnen zu versehen und sich
möglichst weit zurückzudatieren; es wird leidenschaftlich historisch
gesinnt sein. Und in seiner Urgeschichte wird das letzte Kapitel,
bevor das Erwachen der Menschheit beginnt. ja von uns han¬
deln: denk Dir, wie ungeheuer interessent wir dann sein wer¬
den, als die letzten Stammväter, um die gleichsam der Urwald
noch rauscht! Und wenn man dann die Sitten, Denkweisen,
Lebensarten des sanften Abendrots, in dem das Oesterreich der
Vorwelt verglomm, durchforscht haben wird, wird man sich an
den Künstler halten, der jenes Abendrot von 1890 bis 1920 am
reinsten zu spiegeln scheint. Und der, lieber Arthur, bist Dul“
6oth Birthday
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Saale Zeitung
Adresse: Halle a. d. Saale
Datum:
10 MAILZ
Literatur.
Josef Körner, Arthur Schnitzlers Gestalten und Pro¬
bleme. Mit einem Porträrve#Bichters und einigen
Szenekbildern. Wien. 1922, Amalthea=Verlag. Amal¬
thea=Bücherei Band 23.
Die Monographie Josef Körners „Arthur Schnitzlers
Gestalten und Probleme“ betritt neue Wege, das Schaffen
eines Künstlers darzustellen. Sie versucht mit Zuhilfe¬
nahme der Pschoanalyse das dichterisch= affen des be¬
zu beleuchten,
deutendsten Wiener Dramatikers nicht
sondern auch aus der Tiefe psychischer Erlebnisse zu er¬
klären. Sie geht darin von der Ansicht aus, daß die schöpfe¬
rischen Arbeiten eines Künstlers immer um bestimmte
typische Gestalten, Motive und Probleme kreisen. In die¬
sem Sinne legt sie durch das Gesamtwerk Arthur Schnitz¬
lers einen Längsschnitt und legt so alles Typische heraus,
so daß sich eine Reihe von Urerlebnissen des Dichters er¬
gibt, deren ständige Ausgestaltung und Umarbeitung sein
ganzes Schaffen umfaßt. Es ist, als ob des Dichters Seele
ausschließlich von dieser geringen Anzahl von Urideen er¬
griffen wäre und mit ihnen immer aufs neue ränge. So
erscheinen Motine, die das Hauptthema eines Werkes bil¬
den, in einem früheren als Episode, in einem späteren
klingen sie leise nach. Auf diese Weise gewinnt man ein
überaus gutes Verständnis der Absichten des Dichters, ver¬
mag seine Verdienste besser und gerechter zu bewerten.
Dabei ist das Aesthetisch=künstlerische keinesfalls vernach¬
lässigt. Dieser Versuch, einen Dichter mit Hilfe der Psycho¬
analyse zu erschöpfen, ist wohl der erste, der auf diesem Ge¬
biete gemacht wurde. Er verdient darum besondere Beach¬
tung und wäre es wert, daß er auch ein Muster für andere
Monographien dieser Art, die rein literarhistorisch sind,
bildete. Der Amalthea=Verlag hat das Werk besonders
schön ausgestattet, es erscheint auf bestes Friedenspapier
gedruckt, bringt ein Porträt des Künstlers und einige
Bühnenbilder.
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Mamburgel Serrespondenk
1MA
Gratulanten für Arthur Schnihler.
Eine Reihe der besten deutschen Dichter vereinigt sich im
Maiheft der „Neuen Rundschau“ zu Glückwünschen für Arthur
Schnitzler, der am 15.,Mai 60 Jahre alt wird.
(Gerhart Hauptmann
schreibt: „Arthur Schnitzlers warme und feine Begabung be¬
sitzt einen Zug, der in Deutschland selten ist, Grazie. Es ist
deutsche Grazie, keine französische. Seine Gestalten, sein Theater
ist unaufdringlich bis zur möglichen Grenze. Man wird diesen des¬
halb manchmal ein wenig blaß anmutenden Schriftsteller immer
wieder revidieren müssen, um die farbigen Reize und großen
Schönheiten seines Werkes nicht zu verlieren und für den deutschen
Dauerbesitz zu retten. Den Sinn für Schnitzler besitzen, heißt
Kultur besitzen, und sich von Schnitzler angezogen fühlen, heißt
die Kultur suchen. Es sollte viel mehr, als es geschieht
Schnitzler gespielt werden.“
Thomas Mann
schreibt: „Ich bin der wiederkehrenden Gelegenheit froh, Arthur
Schnitzler meiner alten und immer, neuen Bewunderung zu
versichern. Die Stunden, ich wiederhole es, die ich im Theater
oder zu Hause im Lesestuhl mit der Anschauung seiner Werke
verbrachte, waren solche künstlerischer Geborgenheit, unzweifel¬
haftesten Vergnügens. glücklich erhöhten Lebensgefühls. Voll¬
endet österreichisch, ist er heute für jene seelische Sphäre in eine
ähnlich repräsentative Stellung hineingewachsen, wie etwa
Hauptmann für das Reich. Seine Schöpfungen besitzen allen
Schmelz, alle Geschmackskultur, alle Liebenswürdigleiten des
Oesterreichertums; aber als ihr besonderes Charakteristikum er¬
scheint mir eine gewisse Lebensstrenge, die weh tut — und die
wohl eigentlich nicht österreichisch ist. Hofmannsthal ist traum¬
haft intensiv, aber er hat nicht dies, und auch Altenberg hat es
nicht. Es mag vom Aerztlichen herrühren, — das Unempfind¬
liche, Unerbittliche.“
Hermann Bahr
faßt seinen Glückwunsch in folgende Worte: „Was meinst Du,
lieber Arthur, wie viel wird in hundert Jahren von Dir noch
am Leben sein? Und wie viel von mir? Wie viel von uns allen?
Du ftagst vielleicht, ob ich Dich das grad an Deinem sechzigsten
Geburtstag fragen muß, aber kannst Du -Dich erinnern, daß ich
je schicklich war? Und Du wirst auch gleich sehen. Du kommst
bei meiner Frage weit besser weg, als Du vermetest.
Was wird denn in hundert Jahren überhaupt sein, dort,
wo wir jetzt sind, wo vor einiger Zeit noch unser altes Oester¬
reich war? Nun, ich vermute: da wird in hundert Jahren
wieder jenes Oesterreich sein, wenn auch vielleicht ein bißchen
anders, ein bißchen verrückt, nämlich mehr nach Osten, vielleicht
auch unter einer anderen Firma, wahrscheinlich unter einem
anderen Namen, ich denke, daß es Böhmen heißen wird den
heiligen Benes wird es als Erzvater verehren, und dieses neu
betitelte Reich, als Eckfenster Europas, wieder für die Länder
des Abendlandes genau so wichtig, geheimnisvoll und unver¬
ständlich, wie es unter dem alten Namen war. wird nun, gerade
S
Sen
weil es auf seine neue Form sehr stolz sein wird, das Bedürfnis
aller neuen Formen haben: sich mit Ahnen zu versehen und sich
möglichst weit zurückzudatieren; es wird leidenschaftlich historisch
gesinnt sein. Und in seiner Urgeschichte wird das letzte Kapitel,
bevor das Erwachen der Menschheit beginnt. ja von uns han¬
deln: denk Dir, wie ungeheuer interessent wir dann sein wer¬
den, als die letzten Stammväter, um die gleichsam der Urwald
noch rauscht! Und wenn man dann die Sitten, Denkweisen,
Lebensarten des sanften Abendrots, in dem das Oesterreich der
Vorwelt verglomm, durchforscht haben wird, wird man sich an
den Künstler halten, der jenes Abendrot von 1890 bis 1920 am
reinsten zu spiegeln scheint. Und der, lieber Arthur, bist Dul“