VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 21

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goth Brthday
ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Leipziger Tageblatt
(Abend-Ausgabe)
Adresse: Leipzig
1 MATHE
Natum
Der sechzigjährige Schnitzler
Deuksche und österreichische Schriftsteller haben sich im
Maiheft von S. Fischers Neuer Rundschau“ vereinigt, um
Arthur Schnitzler zu seinem sechzigsten Geburkstag am 15. Mai
ihre Glückwünsche darzubringen. Wir geben aus der Fülle
3
dieser Beiträge hier zwei anderen Wienern das Wort.
Schnitzlers Theaterstücke sind vollkommene Theaterstücke, gebaut,
um zu fesseln, zu beschäftigen, zu unterhalten, in geistreicher Weise zu
überraschen, sie kun dem Augenblick genug und vermögen noch nach¬
träglich das Gemüt und die Gedanken zu beschäftigen; ihre Handlung
und ihr Dialog beschwingen einander wechselweise, die Charaktere sind
vorzüglich erfunden, leben ihr eigenes Leben und dienen doch nur dem
Ganzen. Wenn man diese Stücke auf der Bühne sieht, hat man das
Gefühl: derjenige, der sie gemacht hat, ist auf den Breibern zu Hause und
hat keinen anderen Ehrgeiz, als durch das Theater zu wirken.
Schnitzlers Erzählungen sind lebendig, spannend; sie haben immer
das nötige Dekail, aber nie zu viel davon, sie haben Psychologie, aber
die Psychologie dient nur dazu, den Gang des Ganzen in einem reizenden
Rhythmus bald zu verlangsamen, bald zu beschleunigen, sie stecken voll
Beobachtung, aber auch die Beobachtung ist dem eigentlichen Reiz der
Erzählung untergeoronet. Man hat das Gefühl, daß sie von einem
Mann herrühren, dessen primäres Talent das Talent des Erzählens
kurzer oder eigentlich mittellanger Erzählungen ist. In beiden Formen:
Drama und Erzählung, ist er durchaus ein Künstler und war es vom
erften Tage an. Es ist ein erstaunlicher Gedanke, daß die kleinen
Szenen aus dem Leben einer erfundenen Figur „Anatol“, die heute aller
Welt in Europa und über Europa hinaus geläufig ist, und eine in ihrer
Art vollkommen reife und meisterhafte Erzählung „Reichtum das erste
waren, womit er vor so vielen Jahren hervortrot.
Ihm sind alle Instrumente zu Dienst, die das Handwerk einem er¬
fahrenen und sehr nachdenklichen Künstler in die Hand gibt, um selbst
den scheinbar unergiebigen Stoff ganz zu bezwingen und der Materie
hren inneren Reichtum zu enklocken. Keines davon gebraucht er mit
größerer und reizvollerer Virtuosität als die Ironie. Je kühner er diese
inwendet, je mehr er seinen Stoff und seine Motive mit ihr in die
Enge treibt, desto weiter erscheint paradoxerweise sein geistiger Horizont.
So würde ich sagen, daß neben der „Liebelei“, die eine Arbeit von ganz
einziger Art ist, einige seiner beinen Kunstwerke — Erzählungen
oder Dramen — durch den Zauber der Ironie als die größten erscheinen.
Ihnen allen wohnt nicht nur die Andeutung inne, daß der Schöpfer
dieser kleinen Welten mehr von der Welt weiß, als er zu sagen vor¬
hat — dies ist ein gewöhnlicher Reflex aller Ironie —, sondern auch
dieses Besondere: man ahnt, er hätte noch mehr und vielleicht noch
Stärkeres zu geben, als ihm bisher zu geben gefallen hat oder gestattet
war. Unter diesen Umständen kann man nicht vom Alter eines solchen
Menschen sprechen, denn es ist durchaus möglich, daß ein solcher von
einem Teil seiner Kräfte noch niemals sichtbaren Gebrauch gemacht und
auch einen Teil seiner Jugend irgendwo zurückbehalten oder ver¬
borgen hat.
Hugo von Hofmannsthal.
Die Sbellung des repräsenkatiden oder von einer bestimmten Ge¬
sellschafts-, auch einer nationalen Schicht zur Repräsenkation erhobenen
Schriftstellers der letztverflossenen deeißig Jahre war und ist eine höchst
eigentümliche. Sofern er überhaupt eine geistige und moralische Wirkung
erzielen wollte, die nachhaltiger und eingreifender war als die des ie
weiligen einzelnen Produkts, mußte er auf das freie und alle nahe Be¬
ziehung scheinbar ausschaltende Spiel der Phankasie verzichten und seine
Figurenwelt dem Bedinglen und den Bedingnissen der Zeit ausliefern.
Um sich dann aber in Art und Charakter zu bewahren, bedurfte er eines
beständigen, sichtbaren Einsatzes von Persönlichkeit, einer Ueberbekonung
des parkeinehmenden Menschen fast, und diese Persönlichkeit stand hinter
dem Geschaffenen wie ein Baumeister, der, die Maße und Formen noch
in der Hand tragend, dem Bau nur mit seinen Augen glaubt, es aber
nicht wagt, ihn seiner wahren Bestimmung zu überlassen. Diese eigen¬
kümliche allgemeine Verfassung des Dichters hat natürlich ebenso eigen¬
tümliche Dichtergestaltenn. hervorgebracht, und eine der eigenkümlichsten
unter ihnen ist Arthur Schnitzler. Persönliches Gewicht und persönliche
Form treten reizvoll zutage, auch wo Verknüpfung und Gewalt zum
unpersönlich Welt-, Geschichts- und Zeithaften drängen; eine strenge
spröde Wahrhaftigkeit macht ihn mißtrauisch gegen die bildhafte Ueber¬
tragung, ja man könnte beinahe sagen, daß sie ihn mißtrauisch gegen die
Kunst und ihr verwirrendes Spiegelwesen überhaupk macht; eine
comanische, südliche, heitere Anmut des Geistes befähigt ihn, dieses Mi߬
trauen in eine Qualität zu verwandeln und ihm mit leichter Hand ironisch
schwebende Gebilde entgegenzusetzen. (Dies ist auch die Quelle der viel¬
fachen Mißverständnisse, denen er sein ganzes Leben hindurch preis¬
gegeben war.) Die Rätsel des sinnlichen und übersinnlichen Daseins
beunruhigen ihn quälend; doch während er diese unbefangen, sogar mit
Naivität in sich aufnimmt und sich halb skeptisch, halb philosophierend
der Bedrängnis zu entledigen sucht, wird er an jenen zum Kriliker der
Gesellschaft, verspäteter Enzyklolpädist, und imaginierk Beziehungen, die
die Konflikte darstellen wollen, ohne sie zu lösen. Da er sich weder zu
hassen noch zu lieben entscheidet, gab ihm die Nalur den Spokt und das
Verstehen, eine oft mütterliche Art von Verstehen. Da er viel zu fein¬
nervig und zu rücksichtsvoll ist, zu zertrümmern, sucht er gerecht zu
werden, ja gerecht zu sein. Wo er träumt, neigt er allsogleich zur psocho¬
logischen Utopie; wo er lächelt, beruft er sich schon über die Menschen
hinweg auf das Schicksal, und für seine Geschöpfe nimmt er alle Ver¬
antwortungen vorweg, um sie auf seiner, der Tradition entrissenen Wage
sorgfältig „und genau zu wägen. Eine sinnvolle und edle Bemühung,
eines Arztes der Seien und Erkenners der irdischen Dinge würdig;
und eine, die allerslos bleibt wie die Menschheit selbst.
Jakob Wassermann.
Der neue Leiter der Breslauer Opernbühne. Der Verwaltungsrat
der Breslauer Stadttheater G. m. b. H. hat als Leiter der Breslauer
R
Opernbühne den Intendanken des Stadttheaters in Saarbrücken und
Direktor des Stadttheaters in Trier, Tietjen, gewählt.
Theaierbrand in Paris. Ein Großfeuer zerstörte die gesamte
Bühneneinrichtung des Theakers Casino de Paris. Der Schaden
beträgt über eine Million Franken.