VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 22

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Arthur Schnitzler.
Zu seinem sechzigsten Geburtstag.
Problematik, sein Wesensnerv, sein Abgrund, aus dem Er¬
Das Maiheft der Neuen Rundschau (Verlag S. Fischer,
Soweit aus den Ge¬
kenntnis und Belenntnis aufsteigt? -
Berlin), das als Schnitzler=Heft erscheint, vereinigt die
heimnissen eines künstlerischen Werkes die Lösung dieser
Glückwünsche von zeitgenössischen Schriftstellern zum sech¬
Frage versucht werden darf, möcht ich dies antworten: We¬
zigsten Geburtstag des Dichters am 15. Mai. Wir bringen
sensnerv ist die uneingestandene, bange, leidenschaftliche Sehn¬
aus den Beitrigen, von denen wir Auernheimer, Bahr, Blei,
sucht, zu lieben und geliebt zu werden. In der Welt
Gerhart Hauptmann, Hollaender, Kerr, Heinrich und Thomas
Schnitzlers herrscht eine fatale Einsamkeit, eine prädestinierte
Mann, Wassermann, Stefan Zweig und Hugo von Hofmanns¬
Beziehungslosigkeit der Seelen. Aber auch Eros herrscht, die
thal nennen, die von Franz Werfel.
„zu einander gewandten Seelen reißen an der Kette; vergeblich,
sie sind allzu bedingt, unbewußt bejahen sie ihre Einsamkeit.
Wie schwer es ist, und zumal auf kargem Raum, über
— So auch muß man die Rolle des Todes in diesen Dich
einen Dichter etwas auszusagen, was vor dem inneren Wahr¬
tungen verstehen. Nicht der hervische, nicht der religiöse Toh
heitssinn bestehen kann. Wie alles Lebendige, wie jeder
wird geschaut, nicht der notwendige Tod, in den sich der
Organismus erregt ein Gedicht tausend Gedanken, Assozia¬
Mesisch nach den Worten des alten Testaments „gesättigt
tionen, Erkenntnisse, es wechselt mit dem Lichte der Stunden,
an Leben“ ergibt, nicht der Tod, der nur eine durchbrochene
Jahreszeiten und Lebensalter Farbe und Gesicht, es ist un¬
Larve bedeutet!! — Von den Schnitzlerschen Menschen wird
faßbar. Wer getraute sich, den nächsten Menschen, der mit
der Tod, das Vergehen, das Aufhören gefürchtet, weil Lieben
ihm das Leben teilt, zu deuten?? Und vor dem geheimnis¬
und Geliebtwerden ihnen niemals erschöpfend gelingt, weil der
vollen ewigen Wachstum eines Kunstwerks haben so viele
unendliche Vorhalt nicht aufgelöst ist, die Melodie ihre
die kecke Stirne der Definition! — Daß aber ein Werk, um
Kadenz nicht fand, auf Kindstufe der Eros stehen geblieben,
friedet von den Seiten des Buchs, sich verwandeln kann und
der Stand der Sehnsucht nicht überschritten ward.
immer wieder neue Züge trägt, ist eben ein Zeichen, daß es
Schnitzler sieht nicht — wie ihm seit manchem Jahr¬
Organismus ist, Gedicht!
zehnt die Kritik nachsagt — den Tod als Arzt; er sieht ihn
Ein Meister, wie Arthur Schnitzler, ist unter den Deut¬
als Ethiker. In dem vielleicht unbewußten System seiner
schen ein höchst seltener Fall. Schnitzler ist in unserm
Weltanschauung bedeutet Tod die Strafe für Einsamkeit.
heutigen Schrifttum gewiß der einzige Vertreter der Latinität.
Des Dichters Frauengestalten sind im Gegensatz zu
Unter diesem Wort verstehe ich im Gegensaß zu allem
seinen Männerfiguren das heroische Element des Werks. Die
Ausladenden, Verzweigten. Romantischen, Erziehungsroman¬
Frau, als die dem Leben Nähere, durchbricht zuweilen die
haften, die Kunst der klaren, geschmeidigen Linie. Die No¬
Mauer der Vereinsamung, sie erliegt dem Ruf des Lebens,
vellen und Einakter Schnitzlers vor allem zeigen die Schärfe
sie verliert ihr Ich an die Liebe. Ich denke hier vor ollem
des nicht malenden, sondern zeichnerischen Menschen, des
an Schnitzlers herrliche Novelle: „Die Hirtenflöte“.
Künstlers, dem die notwendige unbeirrbare Abwickelung, die
Das Weib ist das endämonische Prinzip, und es klingt unter
rapide Logik höherer Schaffensrausch ist, als Ueberraschung
dem Spiegel all dieser Schriften, trotz Zweifels und analyti¬
und Verweilen während des Weges. Ich nenne hier No¬
scher Schärfe, ein verborgener Hymnus an die einsamkeits¬
vellen wie „Leutn ant Guste“, „Die Toten schwei¬
vernichtende Kraft des Weibes mit.
gen“ „Die Hirtenflöte“, die Dramen „Der grüne
Schnitler arbeitet mit den antipathetischen, ametaphysi¬
Kakad u“, „Die letzten Masken“, „Litergtur“
schen, unparteiischen Mitteln seiner Generation, dennoch emp¬
„Komtesse Mizzi“. — In diesen Werken herrscht eine
finde ich ihn vor allem als Ethiker. — Für einen tieferen
großartige Nüchternheit, die erschüttert, weil sich hinter ihr die
Blick zeigt er immer wieder ein und dieselbe Leidens¬
Scham einer starken Moralität verbirgt. Es ergreift uns die
situation: „Den einsamen Weg“, die Verschuldung
fast pedantische Geste eines Mannes, der mit bewußter Wort¬
am Leben, die Todesangst als Folge des „Nichtgeliebthaben“.
blässe und einem atturaten kalten Vortrag die Leidenschaft
So ist er der dichterisch große, vollkommene Ausdruck
seines Auges Lügen straft. Hierin ist Schnitzler mit Lessing
des uneingestandenen Schuldgefühls der bürgerlichen Epoche.
zu vergleichen, ja in seiner Freude an der rationalen Lösung
Sein menschlich hohes, künstlerisch ungemein präzises, an¬
des Spiels nimmt er eine Richtung der deutschen Poesie
mutiges und bedeutendes Werk lebt und wird leben. —
wieder auf, die mit Lessing abbricht. Bewundernswert ist
Aber da er hinter der Maske der Skepsis und Ironie tier
des Meisters Formensinn, sein Takt, sein Gefühl für Gleich¬
gelitten hat, so gehört er zu den Geretteten, zu den Menschen,
gewichtsverteilung, für Steigerungen und Pausen. Diese ge¬
die weiterschreiten!!
lungenen Maße allein schon bereiten dem Leser der Novellen
Wer je in die blauschönen, leidenschaftlich klaren Augen
die seltene ästhetische Befriedigung: dies ist richtig.
dieses nunmehr Sechzigjährigen, in diese jungen Feuer ge¬
Aber in diesen menschlichen Tugenden der Form bewährt sich
blickt hat, der weiß, daß noch in manchem Werk der Dichter
nur der Meister und sein reiner Wille. Tiefer bewährt sich
uns die Auflösung und Lösung seiner Musik schenken wird,
der Dichter.
und daß der einsame Weg noch lange nicht sein strahlendes
Was ist das zentrale Gefühl dieses Dichters, was die
Franz Werfel.
Ziel gefunden hat.
Quelle seines Schaffensdrangs, sein Urkonflikt, seine tragische