VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 28

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## Arthur Schulzler.
Zu seinem 60. Geburtstage am 15. Mai.
Schnitzlers Theaterstücke und Novellen handeln im Grunde
genömmen samt und sonders nur von drei Dingen: vom Lieben,
vom Sterben und vor. Komödiespielen, wobei „Komödiespielen
im denkbar weitesten Sinne zu verstehen und an Stelle von
„Lieben“ ein wieder vieldeutiges Wort zu denken ist, dessen Be¬
deutung Schnitzlen solbst in einem seiner charakteristischsten Bücher
dem „Reigen“ mr durch stumme Gedankenstriche zu symbolisie¬
ren wagt. L##le, #od und Theater, diese drei Grundfarben, ver¬
bunden und verschmolzen durch alle möglichen Uebergänge und
Mitteltöne leuchten aus dem poetischen Spektrum heraus, in
welche sein feines Takent das Phanomen des Lebens wie ein
durchsichtiger, eigenartig geschliffener Kristall zerlegt. Schnitziers
poctisches Empfinden besteht darin, alle ersinnlichen Kombina¬
tionen dieser drei Farben abwandelnd zu erschöpfen, den Vod
durch die Liebe, die Liebe durch den Tod hindurchscheinen und
Tod und Liebe und Liebe und Tod in das trügerische Zwielicht
der Illusionen zu tauchen, das alle Gegenstände, die es über¬
haucht, ins Traumhafte und Unwirkliche verflüchtet und auflöst.
Gerade jene unter Schnitzlers Sachen, die sich unwillkürlich auch
dem blasiertesten Gedächtnis einwurzeln, diese erweisen sich fast
immer als Verflechtungen der genannten drei Themata, wobei
bald der Liebe, bald dem Tode, bald dem Wahn die führende
Rolle zufällt. So ist's in „Sterben“, in der Novelle „Die Toten
schweigen", in „Parazelsus“, in der „Frau mit dem Dolch" und
manchen anderen Geschichten und Bühnenspielen. In allen füh¬
ren Eros, Thanatos und Dionysis mannigfeltig variierte, viel
verschlungene Tänze und Spiele auf, haschen sich und fliehen,
süchen bald einander nachzuäffen, bald voneinander grell abzu¬
stechen, stehlen eines des anderen Waffe oder Symbol, so daß
einmal Eros oder Thanatos die Maske des mimischen Gottes
trägt, dann wieder Thanatos sich statt seiner Sense des Eros¬
pfeiles bedient, um ein Leben zu vernichten. Niemals aber zer¬
reist der darüber gebreitete feine Traumschleier, niemals, trotz
aller Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung, wirft uns die
Empfindung aus der Welt der Poesie in die nüchterne Wirklich¬
Schnitzlers Erotik — das werden auch solche nicht bestreiten,
die für seine diskrete Kunst die höchste Bewunderung hegen —
ist eine ziemlich eng begrenzte. Es ist wienerische Erotik, in
deren Mittelpunkt der von Schnitzler ins Heimatliche umgebildete
Typus des „süßen Mädels“ steht. Man pflegt zu sagen, daß
Wolzogen diesen Typus geschaffen hat. Der Name mag von ihm
sein, aber der Typus selbst ist in Wahrheit ebenso alt wie die
moderne deutsche Poesie. Goethes „Gretchen“ ist die Urgro߬
mutter aller deutschen „süßen Mädels" und Melitta und Hero
gehören, trotz griechischer Tracht und fünffüßigem Jambus, auch
zur Familie. Ob Schnitzler diese seine Lieblingsgestalt frischweg
und unmittelbar aus dem Wiener Leben herausgegriffen hat?
Ich zweifle daran. Dem wienerischen Erdgeschmack ist eine zarte
Blume beigemischt, die auf einen anderen Ursprung, nach Pa.is,
beutet. Schnitzler wäre, wenigstens in seiner ersten Zeit, gewiß
ein eleganter junger Pariser Autor gewesen als ein Wiener. Die
„Enatol“=Maske, in welcher er seinen ersten großen Erfolg er¬
rang, verrät diese Sehnsucht, dieses der sozialen Schicht, der
nitzler sich Anatol taufte, gelang es ihm, wie ein Schauspieler,
sich leiblich und seelisch bis an die Grenze der Identifizierung
keine Rolle hineinlebt, auch sein innerstes, wienerisches Selbst
pariferischen Sinne umzufärben und sich fortan so zu fühlen,
ob er ein geborener Anatol oder Raoul und die Ringstraße
Boulevard und der Prater das Bois wären. Aus dieser ein
nwenig anaffektierten französischen Persönlichkeit heraus be¬
chtet und schildert er nun das heimatliche wienerische Leven
Lieben. Das soll kein Tadel sein. Es soll nur das eigent¬
Schnitzlerische an Schnitzler charakterisieren, diese einzige
schmelzung französischer Klarheit und prickelnden Pariser
rits mit wienerischer Liebenswürdigkeit, wienerischer Lieder¬
keit, Traulichkeit, Humor, kurz mit allen Stoffen, welche die
kosphäre Wiens sättigen und ihr die anheimeinde Molligkeit
das charakteristische Ar#ma verleihen.
B D.

Enyrische Staatszeitung
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Arthur Schnitzler.
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Zu seinem 60. Geburtstag.
Am 15. Mai, an seinem 60. Geburtstag, und schon seit gerau¬
mer Zeit stehen wir Arthur Schnitzler anders gegenüber
als vor rund zwanzig Jahren. Wenn sich unser anfänglich bereit¬
williges lächelndes Interesse — mehr ist es kaum gewesen — seit¬
her in ein sehr kritisches Abwägen der dichterischen Fähigkeiten
Schnitzlers verwandelt hat, so ist diese schärfere Einstellung auf
das Schaffen eines nicht gewohnlichen Talents nicht etwa durch die
künstlerische Re##e dieser Begabung, sondern — im Gegenteil —
durch eine deutlichere Unterscheidung der schöpferischen Potenzen
bedingt. Dichterische Kraft haben Schnitzlers Jugendwerke zwar
nie verheißen; aber eine Summe feiner Kultur steckt in den Men¬
schen, die er in seinen kleinen Dramen und zarten Novellen ein¬
führt. Aus dieser Kultur hätten Gesellschaftsdrama und Gesell¬
schaftsroman seelische Bereicherung empfangen können, und trotz
frühzeitiger Abirrung bestand immer noch die Hoffnung, die Reife
des Lebens werde den Stimmungskünstler zu einem zwar immer
noch zart, doch sicher zupackenden Dichter erziehen.
Wenn wir in Arthur Schnitzler je den typischen Vertreter
der modernen Wiener Dichtung und im weiteren des modernen
österreichischen Dramas erblickten, so haben wir ihm eine Stel¬
lung in der Literatur eingeräumt, die er selbst vielleicht nie ein¬
nehmen wollte. Das moderne Drama, bei dem Arm in Arm mit
den Franzosen auch Schnitzler, Hofmannsthal und Bahr Pate
gestanden, hat eine ganz andere Entwicklung genommen, als wir,
um bei Schnitzler zu bleiben, nach der Atmosphäre hätten schließen
mögen, in der die Menschen des „Anatol“=Zyklus oder der „Liebe¬
lei“ dahinsiechen. Schnitzler ist den Weg zur Ergründung brennen¬
der psychologischer Probleme selbst nicht gegangen, wiewohl er in
manchem Einakter nach Ibsenscher Art ein Thema aufwies, auf
das sich jüngere Talente mit ekstatischem Gestaltungsdrange stürz¬
ten. Schnitzler hat den bequemeren Weg gewählt, die näher
liegende, entschieden menschlichere Konsequenz aus der Anhäufung
überreizter Empfindungsmomente gezogen. Von einigen Anläufen
zu historischen Darstellungen abgesehen, im Drama führt dieser
Versuch im „Jungen Medardus“ am weitesten, und trotz einiger
rein dichterischer Proben, vor allem in dem Renaissanceschauspiel
„Der Schleier der Beatrice“ geboten, hat Schnitzler mehr oder
weniger unterhaltsam, doch niemals richtig dramatisch, das Thema
vom auch nur mehr oder weniger ästhetischen Lebemann und dem
„süßen Mädel“ variiert und die Krankheitsstoffe dieses teils melan¬
cholischen, teils leichtfertigen Milieus aufgesogen. Der berüchtigte
Zyklus novellistischer Dialoge „Reigen“ ist das kraffeste Beispiel
hierfür.
Schnitzlers letzte Werke sind eine Art Lebensbeichte. Sie
sind ein resignierendes Rückwärtsschauen auf den unbedenklichen
leichten Sinn der Jugend. Zweimal wählt er Casanova zum
Helden; in einem fast frivolen Drama den jungen, in einer allen
Freuden des Lebens gewidmeten Novelle den alternden Aben¬
teurer. Vergessen stehen Auseinandersetzungen mit sozialen und
Rassenfragen (Der einsame Weg, Der Weg ins Freie) neben
Standessatiren. Hier konnte nur Kraft den Stoff durchdringen;
hier hat sich auch der naive Beurteiler mit geistreicher Konver¬
A. M.
sation nicht abspeisen lassen und verzichtete.
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