VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 34

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Arzt. Aber schon in seinen ersten Albeiten, in den nach=s ölingt nichts von Brukalitat und Kampf. Man behorcht
denklich tändelnden „Anatol“=Szenen, hatte er seine Me=Isich, man leidet an sich und den Anderen, man kommt
lodie gefunden, er hat sie nachher variiert und instru= aber nicht von sich los und verschwendet sich nicht selbst.
mentiert, hat in vielen Bänden die heutige Literatur Noch in seiner Hetterkeit ist Ironie und Wehmut, hinter
bereichert, in der er nicht zu den ragendsten, aberjedem Genusse lauert der Gedanke an das Ende und den
liebenswürdigsten Gestalten gehört, doch schon in seiner
Tod. Für Verschlungenheit und inneren Widerspruch
Knospe war Blume und Frucht. Sein sicheres Takt=in Gefühlen entdeckt er die amüsantesten Zusammen¬
gefühl, sein untrüglicher Geschmack bewahrte ihn davor, hänge; man denke blaß an seine „Reigen“=Dialoge, die,
seine Kräfte zu überspannen, sich jemals zu verirren und
ganz unabhängig von der bedenklichen Spekulation ihrer
zu verlieren. Es wäre ungerecht, wollte man in ihm
öffentlichen Aufführung, bei all ihrer anscheinenden
nur den Poeten der Wiener „Gesellschaft“ vor ihrem
Leichtigkeit doch geradezu tief sind. Er gibt sein Bestes
Untergang sehen, auch abseits dieses Kreises hat er viel
in kleinen Stücken und Novellen; zum großen Epiker hat
Schönes gespendet, das lebendig bleiben wird. Man
er nicht den vollen Atem, zum großen Tragiker nicht die
denke an seine Meistergroteske vom „Grünen Kakadu“,
entschlossene Leidenschaft. Er ist nicht stark und nicht
in welcher ins Unheimlich=Spielerische gewendet die
unbedingt genug für einen solchen Wurf. Aber keiner
ganze Weltuntergangsstimmung des Bastillensturmes ist.
der Mitlebenden erreicht ihn an Anmut und Vieldeutig¬
Wie man es vor vier Jahren mit Moissi in Basel sah,
keit des Einfalls, keiner ist so gepflegt, so sicher seiner
schlug unter dem Eindruck des Kriegendes und des roten
selbst und so unerschütterlich abwehrend gegen Konzes¬
Rußland der Atem des Meisterwerkes uns so heiß ent¬
sionen an das Wirksame und an den schlechten Ge¬
gegen, daß man fast erschrak. Oder die zeitlos schöne
schmack. Inmitten offizieller Bewunderung ist man meist
Novelle vom „Blinden Geronimo und seinem Bruder",
sehr geneigt, mit den Sechzigjährigen in der Kunst sehr
russisch feelenhaft, nur straffer, tritt vor die Erinnerung.
strenge zu sein; hart und undankbar stellt sich das
Oder sein zugleich objektiver und doch guter, hassender
heranwachfende Geschlecht gegen sie, die ihnen den Bo¬
„Professor Bernhardi“ oder sein „Tapferer Kassian“, um
den versteilen, verkennt sie, verhöhnt sie, oder, noch
aus seinem gefüllten Schrein nur einige Juwelen durch
schlimmer, vergißt sie. In diesem Kampfe der Genera¬
die Hand gleiten zu lassen. Aber in seinem Wesentlichen
tion sind einige von den jüngst Unsterblichen augenblick¬
bleibt er doch zumeist der Dichter des franzeskojosefini¬
lich ins Hintertreffen geraten: Ibsen und Boecklin, um
schen Wiens, seiner arrivierten Sozietät, die von keinen
bloß einige der am stärksten Betroffenen zu nennen; bei
l. Christianie
Lebenssorgen geplagt ist, sich in Spiel mit dem Dasein
kholm. Vienpe
Wagner und Hodler zeigen sich die ersten Anzeichen einer
und Erotik zurückgezogen hat, ist er der Dichter der
solchen Entwicklung. Es wäre ein Wunder wenn die
Tragikomödien des Wiener Cottage, wo die Landhäuser
Expressionisten, die Stammler und die Maßlosen gegen
der Reichen hingelagert sind am Rande der großen
Schnitzler sanfter wären. Er kann diesen Ansturm ruhig
Stadt, weich geschmiegt in die Wiener Landschaft.

überdauern, wenn er auch sein poetisches Handwerk un¬
Das Spiel des Schicksals ist ein Grundmotiv des
modern gut meistert und seine literarische Abstammung
Schnitzlerschen Schaffens; das andere ist die Beziehung
von dem älteren Oesterreich und von der gepflegten,
zwischen Tod und Liebe. Auf diesen beiden Säulen
wohlerzogenen Pariser Gesellschaft= und Problemdrama¬
tik nicht verleugnet.
ruht sein dichterisches Lebenswerk. Manchmal wie in
seiner Meisterzählung vom „Schicksal des Freiherrn von
Wien, die Stadt der Tradition und der Kompro¬
Leisenbogh“ verknüpfen sich beide. Warheit und Lüge
misse bis 1918, konnte niemals leidenschaftlich, ungeber¬
verschlingen, wir spielen alle. „Wer es weiß, ist klug.“
15. Mai.)
dig kraftgenialische Genies erzeugen. Aengstlich hielt es
Diese Wahrheit verkündet schon sein „Paracelsus.“ Leise
sich vom Wirklichen ab, daß entfesselt Stadt und Reich
chters der letzten Resignation, beste feelische Haltung ist das Merkmal
von ihrer Geltung herunterstüzen mußte. Desto mehr
d wenn jemals, seiner Gestalten. Anatol altert, und er wird der Herr
pflegte es seine Anmut, verfeinerte es sich, hielt es auf
biektiv berechtigt.
v. Sala in dem „Einsamen Weg“, diesem zarten herbst¬
laute Formen, verstand es die Kunst der Andeutung, und
dem Dichter und lichen Schauspiel, das viel zu wenig bekannt ist. Zufall
Schnitzlers Stellung war und ist es, dieses Wesen der
dazwischen liegt oder Schicksal führt zum Fehltritt einer Ehefrau, und
Wiener Bourgeoisie in die ganze Problematik oder nun¬
chnitzler ist der nachher sehen wir den Sohn zwischen den zwei Vätern,
mehr abgeschlossenen Epoche hinübergeführt zu haben.
und Kultur, die dem wirklichen, der ihn verloren hat, dem falschen, der Das Judische, das man östers gegen ihn Setonte, ist da¬
e, die nun über ihn sich erobert hat durch ein Leben voll Güte. Niemals lbei nicht das Dominierende; der Wiener Jude ist vor
er in den Ruhmsist falsches, lärmendes Pathos in Schnitzlerischen Men¬
allem Wiener und vom deutschen, vom ungarischen und
anderen Lebens=schen; in ihre behütete, kränkelnde Welt, die etwas von
vom russischen Juden grundverschieden. Das Wiener¬
erzten und selbst der linden unnatürlichen Wärme der Treibhäuser hat, ium hatte stets diese f#
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und Umwandlung, zog wie das alte habsburgische fälle belauernd, jedes Motiv in allen Varlation
Oesterreich von überallher Kräfte. Wenn man etwas Arbeit festhält. Zu seinem sechzigsten Geburts
genauer hinsieht, so entdeckt man, wie gerade der Weg
den viele ihm glückwünschend nahen, und wer
ist, der von Grillparzer zu Schnitzler führt, wie bei aller
seine Gartenveranda tritt, dann wird sein lebhaf
persönlichen und zeitlichen Verschiedenheit doch in bei¬
in dem schönen, geisterhellten Dichterantlitz wil
den das Wienerische dominiert. Die Hero ist eine
Wien zu seinen Füßen sehen, dieses Wien,
ältere Schwester des Schnitzlerschen süßen Mäbels, und
Reich und Grenze, Lebensinhalt, Bestimmung
Anatol hat evenso große Angst vor der Tat, wie schon
bedeutet.
Dr. Ludwig Ba
Rustan und Rudolf bei Grillparzer sich in Traum und
Magie flüchteten. Nur hat Grillparzer Goethe und Schil¬
Gleine Bundschan-
ler erlebt, Schnitzler aber Maupassant und Dostojewski.
Weniger eklektisch als etwa Hauptmann und seiner
Grenzen sich selbstkritisch bewußt, hat er in sich bloß auf¬
genommen, was er auch verarbeiten konnte. Als An¬
gehöriger einer Stadt und eines Reiches, ddessen Existenz
und Größespiel Zufall schien, das in seiner Vielfältigkeit
auch keinen großen sozialen Kam. kannte, war Schnitz¬
ler vom Schicksal dazu bestimmt, in einem engen Gebiete
zu bleiben; aber er hat es in allen seinen Tiefen erkannt
und eine Leichtigkeit dabei gewonnen, die spielerisch
über Abgründen zu gaukeln weiß.
Das Beziehungsvolle und Geistreiche des Zufails,
der wohl mehr ist, als wir alle wissen, hat vielleicht noch!
niemand vorher so voll erfühlt; eine Studie wie sein
„Puppenspieler“ ist mit einem so zarten Griffel hinge¬
haucht, daß der Kenner danach stets wieder mit Freude
greifen wird. Neben ihm steht die lange Reihe seiner
Schöpfungen, nicht alle vom gleichen Wert, einige wohl!
mehr Abstraktionen und im Ersonnenen haftend, aber
alle vornehm, alle so, daß sie auf unserem Erdball nur
tust der Doktor Arthur Schnitzler in Wien schreiben
konnte, keiner vor ihm und keiner nach ihm. Er wurde
viel nachgeahmt, ist viel bewundert, und Wien, min¬
ddestens jenes Wien, das der Schreider dieser Betrach¬
tungen noch kannte, hat niemals aufgehört, in Schnitzler
seinen repräsentativen Dichter zu sehen. Das gibt ihm
eine ganz einzigartige Stellung: denn kein anderer von
untor
dden Lebenden, wobei Höhenmessungen gan