VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 58

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6oth Birthdar
Uligemeiuer Arzeiger Erfurt
14 MATI
Arthur Schnitzler als Arzt. Arthur Schnitzler feiert
amld. Mai seinen 60. Geburtstag Bekanntlich war der Dichter
ursprünglich Arzt, und wenn er diesen Beruf auch längst nicht mehr
braktisch ausübt, so hat er hoch nie aufgehört, sich als Arzt zu fühlen.
In seinen neuen Buch Aer den Dichter weist Richard Specht
darauf hin, daß es nur wenige Stücke von Schnitzler gibt, in denen
nicht ein Arzt eine bedeutende Rolle spielte. Und nur in zwei
Stücken erscheint die Figür des Arztes unsympathisch: im „Vermacht¬
nis“ und in der „Stunde des Erkennens“. Sonst aber ist es eine
famose Galerie von gütigen, feinen, liebreichen und feelisch taktvollen
Menschenexemplaren= die Schnitzler in seinen Dramen als Berufs¬
genossen hingestellt hat: von dem liebenswürdigen Dr. Weldner in
„Freiwild“ bis zu den ärztlichen Prachtgestalten des wissenden,
menschlich-warmen, klugen und verstehenden Arztes im „Ruf des
Lebens“ des äußerlich unscheinbaren, aber innerlich reichen Dr.
Mauer im „Weiten Land“ des zartfühlenden, resignierend beschei¬
denen und doch seines Wertes bewußten Dr. Reumann im Einsamen
Weg“ und des alten Dr. Stauber im „Weg ins Freie“: zu dem
offensichtlich ein berühmter Wiener Kliniker Modell gestanden hat
ein milder, weiser, gütiger Gelehrter, reif und abaeklärt, selbstlot
und väterlich . .. Erst in dem Augenblick= in dem Schnitzlers Arzts¬
tum sich in Dichtertum umgesetzt hat und eins mit ihm geworden ist,
hat er wirklich schöpferisch wirken können. Solange er den Arzt
verleugnet und gleichsam vor ihm versteckt schriftstellerte,
war er Epignoe; erst, da er als Ganzer seiner selbst¬
bewaßt wurde konnte er der werden, der er ist.

Kemele
Werne!
Alw22
Arthur Schnißler
Zum 60. Geburtstag des Dichters am 15 Mai
Von Dr. Paul Neuburger
Arthur Schnitzlers Bild im Bewußtsein der Oeffentlichkeit
zeigt eine leichte Verzerrung. Nicht etwa wegen des Skandals um
den „Reigen“, ein Wenk, das im Gesamtschaffen des Dichters nicht
genug bedeutet. Betrifft doch der Streit um diese Szenen nur die
Frage ihrer öffentlichen Aufführung, und es dürfte kaum notwendig¬
sein, sich bei denjenigen aufzuhalten, die durch daraus entstandene
Stimmungen und Verstimmungen ihr Urteil über den Dichter beein¬
flussen lassen. Vielmehr handelt es sich darum, daß die Persönlichkeit
Schnitzlers, wie sie sich dem großen Publikum darstellt, über Gebühr
durch seine früheren Werke bestimmt erscheint. Diese ersten Stücke,
vor allem die Anatolszenen und „Liebelei“ sind seine großen, immer
wieder auflebenden Bühnenerfolge gewesen. Hier und in anderen
Jugendwerken, wie dem „Freiwild“ und dem wenig geglückten und
wenig erfolgreichen „Märchen“, gibt den Stoff das Liebesleben —
wenn man es so nennen will — des wohlhabenden, von einem Beruf;
kaum oder garnicht in Anspruch genommenen jungen Mannes, die
Stimmung eine unablösbare Wiener Lokalfarbe und eine weiche,
leichtfertig=sentimentale Grazie her. Der Konflikt, wo sich ein solcher
greifbar und beherrschend heut bildet, ist ein Kampf des Indivi¬
duums wider die Konvention, etwa wider die Unsitte des Zweikampfs!
oder das gesellschaftliche Vorurteil, das die Gefallene trifft. Wenn
diese Konflikte tragisch enden, und wenn dabei offenbar die Sympathie
des Dichters die gefallenen Opfer des Vorurteils begleitet, so scheint
er damit in die Reihe der Ibsenschen Kämpfer gegen die gesellschaft¬
liche Lüge zu treten, nur daß er diesen Kampf mit dem leichten Florett,
statt mit dem wuchtigen Schwert des nordischen Recken führt.
In Schnitzlers Jugendstücken sind die Linien einfach, die Pro¬
bleme treten klar hervor. Umgeben aber werden sie von der berau¬
schenden Polyphonie einer den Lokalton mit unvergleichlicher Meister¬
schaft treffenden Stimmung. So wird das leicht überhört, was zwischen
diesen beiden Elementen, dem einfach klaren Was und dem verführe¬
risch vielstimmigen Wie, auch in diesen Werken schon charakteristisch
zu erkennen ist: Die Stellung des Dichters zum Konflikt. Schnitzlers
Helden gehen nicht als Kämpfer wider die Konvention zugrunde. Sie
sind in der Tiese ihrer Seele selbst Fahnenflüchtige, die die Berech¬
tigung des Lebens wie es ist, deshalb weil es ist, noch da anerkennen,
wo es im fragwürdigen Mantel der gesellschaftlichen Konvention auf¬
tritt: der Verächter des „Märchens“ vom Belastetsein der Gefallenen
empfindet selbst gegenüber dem, worüber „kein Mann hinweg kann“.
schließlich doch wie die andern, der Bekämpfer der Duellmoral, dem
das Leben das höchste Gut erscheint, vermag es am Ende doch nicht,
den Selbstvorwurf der Feigheit zu ertragen. Hier ist der Punkt, wo
die weitere Entwicklung einsetzen kann, weil hier bereits die grund¬
sätzliche Abweichung in Schnitzlers Auffassung der konventionellen
Lüge gegeben war, hier der Punkt, wo es sich zeigt, daß Schnitzlers
Musik ihre Klangfarbe von des Dichters ethischer und weltanschau¬
licher Grundeinstellung hernahm: Schnitzler empfindet die Lüge des
Lebens so sehr wie Ibsen, sie bildet eigentlich den Gegenstand seiner
ganzen Dichtung, aber er nimmt sie wehmütig lächelnd hin, weil sie
ihm untrennbarer Inhalt des Lebens scheint. So wird die Lebens¬
lüge, die ihm zuerst im Gewand gesellschaftlicher Vorurteile erschienen
ist, und die sich auch in seinem späteren Schaffen noch manchmal in
solchen Gestalten zeigt, zu einem Grundbestandteil des menschlichen
Lebens, vor allem der Beziehungen der Geschlechter zueinander, deren
verwirrende Mannigfaltigkeit von Anfang an den Stoff bildet, an dem
sich für Schnitzler das Leben darstellt. Jene Lüge zu bekämpfen, ist
daher eine fragwürdige Aufgabe: die Stunden des Erkennens, die in
des Dichters Werken immer wiederkehren, bringen selten Befreiung;
häufig, wenn sie wirkliche Erkenntnis gaben und nicht anstelle der
einen Lüge eine andere setzten, Ekel oder Verzweiflung. Wer klug
ist, weiß, daß eine Lüge, die ein menschliches Dasein zu tragen vermag,
besser ist, als eine zerstörende Wahrheit, er weiß, daß wir immer
spielen, und daß wir nichts von uns und nichts von anderen wissen.
Nur die Toren wollen erkennen und zur Erkenntnis verhelfen, nur
die Toren suchen das Leben zu meistern; es ist Traum, Spiel, Lüge,
Chaos, aber auch einzige Macht der Wirklichkeit; die Hand, die sich
vermißt zu lenken, greift ins Leere, und wer zu sehen glaubt, wird
blind dahin getrieben, wohin zu kommen ihm bestimmt war.
Auf solchem Boden gedeihen keine Helden. Die Lebenskämpfer
kommen denn auch bei Schnitzler schlecht genug weg. Immer wieder
stehen sie als betrogene Betrüger da, und mit zunehmnender Reife
wächst des Dichters müdlächelnde Sympathie mit den Gütigen, die,
betrogen, a#e es zu erkennen, im Grunde doch die Glücklicheren sind,