VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 59

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—Birthday
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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR. 22-24.
Zeitung: Frankfurter Oder-Zeitung
Adgesse: Frankfurt a. öder
Datum:

A M
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war ich sehr erstannt, daß Du ein ruhiger Tagen auf ein deutsches Lustspiel? Hier war
wieder eines.
Mensch mit menschlichen Tugenden und auch
Gratulationsbrief
Du hast den „Reigen“ um den vor einem
menschlichen
entschuldige
einigen
Jahr solch böser Streit entstand, nicht in die
Schwächen warst. Aber ich begriff es, je
Ausgabe der Gesammelten Werke aufgenom¬
in
an Arthur Schnitzler
mehr ich Dich in Deinen Büchern las
men. Viel Schmutz wurde aufgewirbelt, hä߬
denen ich ja auch mich fand und uns alle.
zu Finem 60, Geburtstag, 15. Mal 1922.
liche Dinge wurden gesagt — um wen werden
Denn Deine Bücher sind sehr menschlich.
bis an Dich kamen sie
sie nicht gesagt —
Von
Darf ich ein paar Merksteine Deines Werkes
nicht; Du hattest niedergeschrieben, was ist
aufzählen? Da ist der Anatol“ — vor dreißig
7 „Dr. Jo Lherman.
und wie es ist, daß es da sei. Was kümmert
Jahren, Dein erstes Werk, kam es heraus —
Skefan Großmann ist einer der letzten ge¬
es Dich, was andere daraus machten..
und es ist noch immer Blüte. Ich habe sehr
wesen, der in seinem „Tagebuch“ einige Worte
Das Werk dieser dreißig Jahre ist groß;
deutlich empfunden, wie sehr es Wien ist: ich
über Dich niederschrieb. Stefan Großmann
es ist noch nicht geendet. Die Zahl Deiner
gig in den letzten Weihnachten durch die ver¬
ist, wie Du, aus Wien. Auch ich bin aus Wien,
nicht beständig: bald
Verehrer ist groß
schneiten Straße einer Stadt — wie Anatol
wie Du wohl weißt; erlaube mir darum,
die Gunst des
sinkt sie, bald steigt sie
auch mit einer Gabriele. Aber es war nicht
zu dem Strauß Anreden, den man Dir in
Ungeheuers, das Publikum heißt, ist wandel¬
Gabriele: Gabriele ist nur in Wien. Und wir
Form von Feuilletons überbringen wird, auch
bar. Aber es kommt Dir wohl nicht darauf
alle empfinden so.
eine Blüte beizutragen.
an, verehrt, sondern darauf, geliebt zu werden.
Da ist „Der einsame Weg“: man sagt, es
Es ist ein Dutzend Jahre her — ich war
Du weißt, daß man Dich liebt: in Deinem,
sei eines der Dramen, die Dir nicht geglückt
ein blutjunger Student — da lernte ich Dich
im Deutschland des
unserem Oesterreich
sind. Es trifft — entschuldige bitte — zu.
kennen: Dich, das heißt Deine Bücher und
Dir ein wenig wesensverwandten Dichters
Es ist wirklich nicht eines der besten. Aber
Dramen. Damals stand Dein Stern im Zenith,
Gerhart Hauptmann — und auch Norwegen,
trotzdem: es ist uns so bekannt — vielleicht
damals ging die „Liebelei“ über die Bretter —
Ibsens Norwegen hat es Dir bewiesen. Die
darum, weil die ungeratenen Kinder einem die
und „Das
und „Der junge Medardus“
Dich lieben, sind Dir auch treu.
liebsten sind, trägt man doch um sie die
weite Land“. Wie tief ging mein Atem, wenn
Erlaube, daß für einige von diesen auch ich,
größten Schmerzen. Ich weiß nicht, ob Du
ich auf der vierten Galerie des Theaters aller
der Dreißigjährige, Dir, dem Sechzigjährigen,
Dich heute einsam fühlst; ich wünschte, es
deutschen Theater, unseres Burgtheaters, am
danke für alles, was Du uns gegeben hast, und
wäre nicht so. Es ist viel Liebe um Dich
mühsam erkämpften Platz stand, von Dir in
Dir alles Gute wünsche für eine noch ein¬
aber es mag wohl sein, daß das nicht genug
das weite Land geführt, von Dir, dem Dichter
mal so lange Zeit, also, wie eine mancherorts,
ist. Liebe muß nicht bloß sein; Liebe muß auch
Wiens. Denn in allen Deinen Büchern ist
auch in Wien, angewandte Form sagt: bis
Genuß werben.
Wien, unser Wien. Du bist noch Wiens
sofern Du so
hundertundzwanzig Jahre —
Da sind die Novellen vom Sterben — des
Dichter, und dieses unser Wien ist noch.
alt werden willst, was ich natürlich nicht be¬
Schaffens reifste Frucht. In ihnen ist unser
Ich bin seit langem von Wien fort. Und
stimmt weiß.
aller Art, die in Heiterkeit und Frohsinn, in
ich lese alle Wiener Zeitungen, deren ich hab¬
Liebe und Leid immer weiß, daß wir sterblich
haft werden kann. So las ich auch davon, daß
sind, daß wir bereit sein müssen, einmal den
kürzlich bei der Aufführung von Mirabeaus
Sprung ins Dunkel zu tun. Du, der Dichter,
Geschäft ist Geschäft“ im Burgtheater an der
weißt, daß diese beiden des Dichtens wert
Stelle, an der ein alter Marquis dem reichen
sind: Liebe und Tod.
Emporkömmling sagt: „Mögt Ihr uns alles
Der „Weg ins Freie": Der einzige Roman,
nehmen: Ansehen, Namen, Besitz — das Be¬
den Du geschaffen. Auseinandersetzung mit
wußtsein des Adels unseres Geistes könnt Ihr
der Art: Oesterreich — Deutschtum — jüdische
- das Publikum laut Bei¬
uns nicht rauben“
Abstammung. Du fandest den Weg ins Freie:
fall rief: diesen Worten: mitten in einer
Dich bekennend, wohin zu bekennen es Dich
Szene, laut sich ereifernd, gegen alle Gewohn¬
zwang, ließest Du nichts an Dich heran, was
heit des vornehmen Hauses. Das ist noch
nicht heran durfte, und wurdest immer mehr:
stolz in aller
unser Wien, das so denkt —
Dichter. Denn Dichter ist man nicht, Dichter
Armut, seiner bewußt in allen Kümmernissen
wird man, wie man Mensch wird —, wie alles
des Daseins. Ich wollte, ich wäre dabei ge¬
Geschehen ein Werden ist.
wesen ... gerade jetzt, in dieser Zeit — nie¬
„Professor Bernhardi“: Wir Wiener in
mandem muß ich erst sagen, warum.
München sind sehr stolz auf diese Stadt, weil
Ich ging oft an Deiner kleinen Villa in
sie ihm den Weg bahnte, als die österreichische
Döbling, die so verträumt aus dem dichten
Zensur ihn verschloß — es soll München nicht
Grün des Vorgartens lugt, vorbei — und ich
vergessen werden. „Flink und Fliederbusch“:
empfand stets sehr ehrfürchtig. Als ich Dich
dann einmal durch Zufall kennen lernte, Warteten wir nicht schon seit Gustav Freytags