box 39/3
goth Birthdar
Vossische Zeitung
Ausschnitt aus der Nummer vom:
4
DATIES
S
Gruß an Arthur Schnitzler.
J „Zu seinem 60. Geburtstage.
Von
Georg Hirschfeld.
Das Maifest seines sehzigsten Geburtstags wird unendlich viele
Würdigungen seiner Schriften bringen.. Hier sei es einem Freunde
vergönnt, nur von dem Men## Arthur Schnitzler zu sprechen.
Ich begegnete Schnitzler zum ersten Male im Herbst des Jahres
1896, als das Deutsche Theater „Liebelei“ aufführte. Es war ein
Abend bei Otto Brahm, und Schnitzler kam von einer Nach¬
mittagsaufführung meiner „Mütter". Damals 34jährig, in
blühender Kraft und schön, wie selten ein Mann diese Bezeich¬
nung verdient.
Schnitzlers Blick war zu durchdringend, um nicht bei unserer
ersten Begegnung schon den Wesensunterschied zwischen uns zu
erkennen. Dennoch gründete diese Begegnung unsere Freund¬
schaft. „Liebelei" und „Mütter“ standen Pate, Geschöpfe aus
den Tiefen Wiens und Berlins. Daß Schnitzlers Weg zu seinem
Werk aus dem absoluten Leben führte und von ihm wieder da¬
hin zurück, fühlte ich. Bei mir war es anders, mußte anders
sein, und das gab mir von vornherein die Sehnsucht nach einem
neben mir Wandelnden, die schmerzliche Liebe zu einem Geist,
der sich mir nie verschloß. Schnitzler aber lebte, weil er lebte,
zu unbewußt, um mein Gefühl für ihn tiefer, als durch den In¬
stinkt, einschätzen zu können. Nie wurde von unserem Unterschiede
etwas ausgesprochen. Ich war ihm vertraut, weil ich die Dinge
in Frohsinn und Schwermut sah, wie er — er blieb mir teuer,
weil er die Dinge nicht nur sah, sondern auch besaß, verstrickt
und sieghaft, ein Erlebender.
So kam es, daß ich vor diesem Dichter nie die erkaltende
Fremdheit empfand, die sonst bei gegensätzlichen Naturen die
stärkere aussträmt. Hartleben und Dehmel blieben mir Bekannt¬
schaften — Schnißler, aus einer nicht mindee fernen Welt, wurde
mein Freund. Ebenso erging es mir mit einem anderen Großen,
der aus noch weiterer Ferne kam, mit Frank Wedekind. Echte
Herzlichkeit bestand zwischen uns, vielleicht weil echte Leiden in
letzter Verschiedenheit verwandt sind.
Es war nicht das herkömmliche, „leichte“ Wien, das mie mit
Schnitzler verband. Bevor seine Stadt mir vertraut wurde, fühlte
ich daß hier ihr goldenes Gewissen schlug. Dem Dichter des
„vierten Gebots“ folgte der Dichter der „Liebelei“. Alles fliegt
auf einen zu, wenn man nach Wien kommt, es ist ein einiger
Lebenschor — nur der erste Mann will sich nicht einstellen. Das
aber ist Schnitzler in Wien, mit den graziösen Attributen des
Spottes und der Skepsis.
Anfangs wunderte es mich, daß Schnitzler eine so kühle Be¬
ziehung zu dem liebenswürdig grotesken Spaziergänger Peter
Altenberg hatte. Hier hat er stets die Gefahr des Verfalls emp¬
funden. Wien konnte viele Altenberge haben, aber nur einen
Schnitzler. „Wie ich es sehe“ durfte nicht sein Bestes bleiben,
sondern „Wie ich es wurde" und „Wie ich mich halte“.
Dieser strengere Wiener Geist, der nichts von seiner Anmut
einbüßt, ofesnone sich auch in den Freunden, die er anzog. Ich
kam nur jedes Jahr nach Wien — durch Schnitzler lernte ich sie
kennen, Hofma##thal, den neuen Florentiner, Beer=Hofmann aus
König Salomos Geschlecht, Salten, den klugen Heißsporn, Wasser¬
mann, den dundel Brennenden — sie alle waren schnitzlerisch ein¬
gestellt, ohne ihr Eigentum zu verlieren. Auch der feine Ironiker
vom tiefen Graben. Gustav Schwarzkopf, sei nicht vergessen. der
treue Doktor Kaufmann und Leo von Jung, ein österreichisch¬
russischer Musiker. Schnitzlerische Männer, andächtig um ihren
meisterlichen Freund.
Sie waren mit mir, dem Berliner, auch seine Zuhörer, wenn er
seine neuen Werke vorlas. Erst in der Frankgasse, hinter der
Votivkirche, dann im Cottage — lebendige Stunden, die nicht
welken. Ein schmucklos sachlicher Vorleser ist Schnitzler — er
läßt das Gegebene in den Seelen der Empfänglichen auswirken.
Seine Scheu vor schauspielerischer Zutat mahnt an Askese. Nir¬
gend spürt man so deutlich, wie wunderlich Selbstspott an seinen
großen Ernst grenzt. „Der grüne Kakadu“, „Der Schleier der
Beatrice" „Leutnant Gustl“, „Der junge Medardus“
— diese
Werke hörte ich von ihm. Ergriffenes Schweigen wurde meist
von einer feurig klugen Naivität Hofmannsthals oder einem selt¬
samen Gedankenschnörkel Wassermanns aufgehoben — niemand
war dankbarer dafür, niemand lachte dann so befreit wie Schnitzler.
Auch ich las diesem Kreise einmal vor — es war in Beer=Hof¬
manns Wohnung, und das Stück hieß „Agnes Jordan“. Eine merk¬
würdige Vorlesung mit Hindernissen, denn der Autor lief nach
dem ersten Akt davon. Ich wollte meinen Hörern so viel geben,
daß es mich plötzlich überwältigte — ich konnte eben noch eine
Entschuldigung stammeln, griff nach dem Hut und lief ins schöne
Wien hinaus, meine Wiener Freunde mit dem dicken Manuskript
allein lassend. Was weiter geschah, ahnte ich nicht — in den
herbstlichen Prateralleen tobte ich mich ruhig, und gegen Abend
kehrte ich reuig zu Beer=Hofmann zurück. Da aber ergab sich
meiner Verlegegnheit eine große Ueberraschung: es war auch ohne
mich gegangen! Die liebenswürdigen Wiener hatten „Agnes Jor¬
dan“ trotzdem kennen gelernt. Als der Verfasser verschwunden
war, übernahmen nämlich die Zuhörer die Vorlesung, und jeder
las einen Akt. Wenn ich, da hätte lauschen können!
Schnitzler aber danke ich ein Kenneulernen Wiens, wie es mir
von keinem anderen hätte werden können. Ich kam zuerst, das
war wohl das Beste, in sein wundersames Junggesellentum. In
den neunziger Jahren wohnte er noch bei seiner Mutter, dieser
herben, innigen Frau, in der eine seltsame Künstlerglut steckte.
Den Vater sah ich nicht mehr, aber seine sinnesfrohen Züge grüßten
mich von einer großen Büste. Vater uns Mutter haben auch
Arthur Schnitzler bestimmt. Bis zuletzt fand er sich mit seiner
alten Dame in gemeinsamem Musizieren. Ich sehe sie noch neben¬
einander sitzend, Beethovens und Brahms' Sinfonien spielend.
Mit mir aber ging Schnitzler dann fort,am liebsten zur Däm¬
merstunde, und wir schritten durch die alten Gassen, durch die
blühenden Gärten Wiens. Das füße Mädel kam uns entgegen,
und sein Dichter sah es als Menschen, nie so modisch verwässert,
wie der Begriff nach ihm geformt wurde. Wir sprachen von der
Seele Wiens, wie sie sich in vielen Erscheinungen offenbarte —
von den Frauen Wiens sprachen wir nicht. Er aber mochte
wissen, daß ich ihn als ihren Schöpfer kannte.
Man darf nie vergessen, daß Arthur Schnitzler Arzt ist. Nur
bei einem Arzt ruht so die Bangnis des Leidenden aus, nur in
einem Arzt festigt sich so das Zarteste. Will man genau erfahren,
wo sich Gefühltes und Sentimentales scheiden, so frage man bei
Arthur Schnitzler an.
Ich danke ihm nicht nur sein Werk. Was ich ihm danke, gehört
zu dem Besten, das keine Aussprache braucht. Gerhart Haupt¬
mann nannte es in den „Einsamen Menschen“ den Hauch, der
über den Dingen liegt. Vielleicht ist es das, vielleicht auch mehr.
Ich widmete Schnitzler vor Jahren ein Buch, die Novelle „Ein
Requiem“, und schrieb die eigentliche Widmung, die den dunklen
Drang zu Worten kommen lioß, nur für ihn hinein. Heute sei
sie doch noch mitgeteilt:
Dem Leiden der Seele ein sehnender Gruß!
Dort lebst Du, wenn tief auch des Mannes Bestimmung
In einsamer Stunde den Flug Dir beschwert.
Die Grazien sind bei Dir im Süden der Seele,
Es blüht Dir ein ewiger Frühlingsweg.
Und gab mir das Schicksal, draußen zu harren,
Zu schauen, zu ahnen nur, was Dir gelingt —
Es bringt mich Dir nahe, als wär' ich wie Du doch.
Denn Liebe ist nirgends und niemals allein.
goth Birthdar
Vossische Zeitung
Ausschnitt aus der Nummer vom:
4
DATIES
S
Gruß an Arthur Schnitzler.
J „Zu seinem 60. Geburtstage.
Von
Georg Hirschfeld.
Das Maifest seines sehzigsten Geburtstags wird unendlich viele
Würdigungen seiner Schriften bringen.. Hier sei es einem Freunde
vergönnt, nur von dem Men## Arthur Schnitzler zu sprechen.
Ich begegnete Schnitzler zum ersten Male im Herbst des Jahres
1896, als das Deutsche Theater „Liebelei“ aufführte. Es war ein
Abend bei Otto Brahm, und Schnitzler kam von einer Nach¬
mittagsaufführung meiner „Mütter". Damals 34jährig, in
blühender Kraft und schön, wie selten ein Mann diese Bezeich¬
nung verdient.
Schnitzlers Blick war zu durchdringend, um nicht bei unserer
ersten Begegnung schon den Wesensunterschied zwischen uns zu
erkennen. Dennoch gründete diese Begegnung unsere Freund¬
schaft. „Liebelei" und „Mütter“ standen Pate, Geschöpfe aus
den Tiefen Wiens und Berlins. Daß Schnitzlers Weg zu seinem
Werk aus dem absoluten Leben führte und von ihm wieder da¬
hin zurück, fühlte ich. Bei mir war es anders, mußte anders
sein, und das gab mir von vornherein die Sehnsucht nach einem
neben mir Wandelnden, die schmerzliche Liebe zu einem Geist,
der sich mir nie verschloß. Schnitzler aber lebte, weil er lebte,
zu unbewußt, um mein Gefühl für ihn tiefer, als durch den In¬
stinkt, einschätzen zu können. Nie wurde von unserem Unterschiede
etwas ausgesprochen. Ich war ihm vertraut, weil ich die Dinge
in Frohsinn und Schwermut sah, wie er — er blieb mir teuer,
weil er die Dinge nicht nur sah, sondern auch besaß, verstrickt
und sieghaft, ein Erlebender.
So kam es, daß ich vor diesem Dichter nie die erkaltende
Fremdheit empfand, die sonst bei gegensätzlichen Naturen die
stärkere aussträmt. Hartleben und Dehmel blieben mir Bekannt¬
schaften — Schnißler, aus einer nicht mindee fernen Welt, wurde
mein Freund. Ebenso erging es mir mit einem anderen Großen,
der aus noch weiterer Ferne kam, mit Frank Wedekind. Echte
Herzlichkeit bestand zwischen uns, vielleicht weil echte Leiden in
letzter Verschiedenheit verwandt sind.
Es war nicht das herkömmliche, „leichte“ Wien, das mie mit
Schnitzler verband. Bevor seine Stadt mir vertraut wurde, fühlte
ich daß hier ihr goldenes Gewissen schlug. Dem Dichter des
„vierten Gebots“ folgte der Dichter der „Liebelei“. Alles fliegt
auf einen zu, wenn man nach Wien kommt, es ist ein einiger
Lebenschor — nur der erste Mann will sich nicht einstellen. Das
aber ist Schnitzler in Wien, mit den graziösen Attributen des
Spottes und der Skepsis.
Anfangs wunderte es mich, daß Schnitzler eine so kühle Be¬
ziehung zu dem liebenswürdig grotesken Spaziergänger Peter
Altenberg hatte. Hier hat er stets die Gefahr des Verfalls emp¬
funden. Wien konnte viele Altenberge haben, aber nur einen
Schnitzler. „Wie ich es sehe“ durfte nicht sein Bestes bleiben,
sondern „Wie ich es wurde" und „Wie ich mich halte“.
Dieser strengere Wiener Geist, der nichts von seiner Anmut
einbüßt, ofesnone sich auch in den Freunden, die er anzog. Ich
kam nur jedes Jahr nach Wien — durch Schnitzler lernte ich sie
kennen, Hofma##thal, den neuen Florentiner, Beer=Hofmann aus
König Salomos Geschlecht, Salten, den klugen Heißsporn, Wasser¬
mann, den dundel Brennenden — sie alle waren schnitzlerisch ein¬
gestellt, ohne ihr Eigentum zu verlieren. Auch der feine Ironiker
vom tiefen Graben. Gustav Schwarzkopf, sei nicht vergessen. der
treue Doktor Kaufmann und Leo von Jung, ein österreichisch¬
russischer Musiker. Schnitzlerische Männer, andächtig um ihren
meisterlichen Freund.
Sie waren mit mir, dem Berliner, auch seine Zuhörer, wenn er
seine neuen Werke vorlas. Erst in der Frankgasse, hinter der
Votivkirche, dann im Cottage — lebendige Stunden, die nicht
welken. Ein schmucklos sachlicher Vorleser ist Schnitzler — er
läßt das Gegebene in den Seelen der Empfänglichen auswirken.
Seine Scheu vor schauspielerischer Zutat mahnt an Askese. Nir¬
gend spürt man so deutlich, wie wunderlich Selbstspott an seinen
großen Ernst grenzt. „Der grüne Kakadu“, „Der Schleier der
Beatrice" „Leutnant Gustl“, „Der junge Medardus“
— diese
Werke hörte ich von ihm. Ergriffenes Schweigen wurde meist
von einer feurig klugen Naivität Hofmannsthals oder einem selt¬
samen Gedankenschnörkel Wassermanns aufgehoben — niemand
war dankbarer dafür, niemand lachte dann so befreit wie Schnitzler.
Auch ich las diesem Kreise einmal vor — es war in Beer=Hof¬
manns Wohnung, und das Stück hieß „Agnes Jordan“. Eine merk¬
würdige Vorlesung mit Hindernissen, denn der Autor lief nach
dem ersten Akt davon. Ich wollte meinen Hörern so viel geben,
daß es mich plötzlich überwältigte — ich konnte eben noch eine
Entschuldigung stammeln, griff nach dem Hut und lief ins schöne
Wien hinaus, meine Wiener Freunde mit dem dicken Manuskript
allein lassend. Was weiter geschah, ahnte ich nicht — in den
herbstlichen Prateralleen tobte ich mich ruhig, und gegen Abend
kehrte ich reuig zu Beer=Hofmann zurück. Da aber ergab sich
meiner Verlegegnheit eine große Ueberraschung: es war auch ohne
mich gegangen! Die liebenswürdigen Wiener hatten „Agnes Jor¬
dan“ trotzdem kennen gelernt. Als der Verfasser verschwunden
war, übernahmen nämlich die Zuhörer die Vorlesung, und jeder
las einen Akt. Wenn ich, da hätte lauschen können!
Schnitzler aber danke ich ein Kenneulernen Wiens, wie es mir
von keinem anderen hätte werden können. Ich kam zuerst, das
war wohl das Beste, in sein wundersames Junggesellentum. In
den neunziger Jahren wohnte er noch bei seiner Mutter, dieser
herben, innigen Frau, in der eine seltsame Künstlerglut steckte.
Den Vater sah ich nicht mehr, aber seine sinnesfrohen Züge grüßten
mich von einer großen Büste. Vater uns Mutter haben auch
Arthur Schnitzler bestimmt. Bis zuletzt fand er sich mit seiner
alten Dame in gemeinsamem Musizieren. Ich sehe sie noch neben¬
einander sitzend, Beethovens und Brahms' Sinfonien spielend.
Mit mir aber ging Schnitzler dann fort,am liebsten zur Däm¬
merstunde, und wir schritten durch die alten Gassen, durch die
blühenden Gärten Wiens. Das füße Mädel kam uns entgegen,
und sein Dichter sah es als Menschen, nie so modisch verwässert,
wie der Begriff nach ihm geformt wurde. Wir sprachen von der
Seele Wiens, wie sie sich in vielen Erscheinungen offenbarte —
von den Frauen Wiens sprachen wir nicht. Er aber mochte
wissen, daß ich ihn als ihren Schöpfer kannte.
Man darf nie vergessen, daß Arthur Schnitzler Arzt ist. Nur
bei einem Arzt ruht so die Bangnis des Leidenden aus, nur in
einem Arzt festigt sich so das Zarteste. Will man genau erfahren,
wo sich Gefühltes und Sentimentales scheiden, so frage man bei
Arthur Schnitzler an.
Ich danke ihm nicht nur sein Werk. Was ich ihm danke, gehört
zu dem Besten, das keine Aussprache braucht. Gerhart Haupt¬
mann nannte es in den „Einsamen Menschen“ den Hauch, der
über den Dingen liegt. Vielleicht ist es das, vielleicht auch mehr.
Ich widmete Schnitzler vor Jahren ein Buch, die Novelle „Ein
Requiem“, und schrieb die eigentliche Widmung, die den dunklen
Drang zu Worten kommen lioß, nur für ihn hinein. Heute sei
sie doch noch mitgeteilt:
Dem Leiden der Seele ein sehnender Gruß!
Dort lebst Du, wenn tief auch des Mannes Bestimmung
In einsamer Stunde den Flug Dir beschwert.
Die Grazien sind bei Dir im Süden der Seele,
Es blüht Dir ein ewiger Frühlingsweg.
Und gab mir das Schicksal, draußen zu harren,
Zu schauen, zu ahnen nur, was Dir gelingt —
Es bringt mich Dir nahe, als wär' ich wie Du doch.
Denn Liebe ist nirgends und niemals allein.