VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 84

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BERLII SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Deutsche Allgemeine Zeitung
Ausschnitte aus der Morgen-

Abend-Ausgabo vom:
Arthur! Schnihzler.
Zam 60. Geburtstag, 15. Mai.
(Man kann ihn sich schwer alt vorstellen.
Weunzman an ihn denkt, sieht man unwillkür¬
lich immer einen Mann auf der Höhe des
Lebens vor sich, in den Jahren zwischen
30 bis höchstens 45. Einen eleganten, selbst¬
sicheren, skeptischen, ein wenig überheblichen
Mann, immer Herr der Situation, so sehr, daß
er sich sogar einen melancholischen Zug leisten
darf; einen Mann, für den alles Problem und
zugleich alles auflösbar wird in intellektueller
Analyse, einen Psychologen auf der Grundlage
ärztlicher Tätigkeit — der alles versteht und
sich eben darum niemals hinzugeben vermag.
Einen Mann, der sich immer festhält gegen¬
über dem Leben, weil er immer sein eigenes
Bild im Spiegel sieht; weil er auf der schau¬
spielerischen Seite des Daseins zu Hause ist,
fern dem Bereich der Menschen, die rein aus
ihrem Sein heraus die Wege ihres Lebens
und Schaffens gehen, ohne an die Zuschauer
zu denken, weil sie nur unter einen inneren,
nicht unter einem äußeren vorgestellten Gesetz
stehen.
Das meist zitierte Wort des Dichters
Arthur Schnitzler ist der Vers seines Para¬
celsus: „Wir spielen immer; wer es weiß, ist
klug.“ Schnitzler ist klug; er weiß um das
Spiel seines Lebens — und um das des
andern. Er weiß auch von jenen, die auf der
Gegenseite stehen, aber nur von außen:
kann nicht in sie hinein. Psychologie enthüllt
immer die eigene Seele: so auch bei ihm. Wo
er nach den Menschen des Seins, des Wesens
greift, wird er unsicher, weil sie außerhalb
seiner Welt stehen: was er fassen kann, sind
die Menschen, deren Leben zuletzt Aufbau einer
Rolle ist, bis das Schicksal irgendwo ihnen die
Gewalt über das Spiel aus den Händen
nimmt und etwas in ihr Leben stellt, das
eigentlich aus dem fremden Bereich des fühlen¬
en Daseins kommt: Verantwortung, Tat, zu¬
etzt den Tod. In der Welt Schnitzlers haben
iese Dinge, als Erlebnisse, eigentlich nichts zu
uchen, weil ihr spezifisches Gewicht mit dem
##igen nicht zusammenstimmt: er nimmt sie
in, als die Requisiten des Schicksals, ohne die
as Leben nun einmal nicht auszukommen
heint. Aber er behält immer eine Distanz,
é selbst bewußter Ernst nicht überbrückt: weil
schicksalsmäßig zu den Klugen gehört, die
h. ohne es zu wollen, in jedem Augenblick in
e Sicherung des Zuschauers vor eigenem und
emdem Spiel hineinretten. Diese Haltung
ir Welt steht außerhalb der Wahl, ist vorher¬
estimmt — und bestimmt den ganzen inneren
inn aller Aeußerungen, im Leben wie in der
unst.
Bei Schnitzler ist diese Stellung zur Welt
ugleich persönliches und Zeitschicksal. Aus¬
ruck einer inneren Anlage und einer ganzen
zeit. Die Jahre zwischen 1890 und 1910 sind
„Frau Berta Garlan“ bis zum „Badearzt
Doklor Graesler“. Problem und Stimmung,
Skepsis und Psychologie, oft mehr des Arztes
als des Dichters — hineingestellt in die
wechselnde Uimwelt Wiens, von der Bieder¬
meierenge der „Liebelei“ bis zur Eleganz der
reichen Welt im „Weiten Land“ in den Ro¬
manen. Hier liegt ein Stück Wert: diese
Dramen und Erzählungen Schnitzlers 'sind
heute schon so etwas wie Dokumente, Abbilder
einer verschollenen Welt, die mit dem Krieg
versunken ist, Neuem, sehr anders Geartetem,
schweigend den Platz geräumt hat. Und in
ihnen liegt auch das, was der Gestalt Schnitz¬
lers jenseits der nur schriftstellerischen Quali¬
täten einen lebendigeren Wert verleiht. Da
und dort findet er hier ein Wort, in dem etwas
Wirkliches unserer Seele ersaßt, ein Stückchen
Welt erkannt und formuliert ist. Und da und
dort wird eiwas von den wunderlichen Kon¬
stellationen, in die das Leben die Menschen
hineinstellt, für Augenblicke transparent: die
Konvention, die tragische Erledigung fordert,
wiro leise skeptisch zersetzt — und ferne tauchen
neue Möglichkeiten menschlich seelischer Aus¬
einandersetzungen auf. Sie bleiben in An¬
deutungen, werden kaum gestaltet: daß sie be¬
rührt werden, bedeutet ein Lebendiges. Das
Gefühl wird oft mit einer Haltung berührt,
die von wissenschaftlicher, nicht dichterischer
Einsicht bestimmt: die Tatsache, daß in Mo¬
menten Wesentliches berührt wird, bleibt be¬
stehen. Sie ist es, die dem Werk Arthur
Schnitzlers neben seiner geschichtlichen Be¬
deutung als Abbild des versunkenen Wien
eine menschlichee Bedeutung gibt. Sie ergibi
sich nicht aus seinem Sein, sondern aus seiner
Einstellung; „wir spielen immer“ schwebt auch
über diesen Dingen: sie ergibt sich aber zu¬
weilen — und das ist das Entscheidende. Sie
verbleibt im Bereich der Literatur, kommt aus
dem Wissen: indem sie etwas zu unserem
Leben hinzutut, legitimiert sie sich und ihren
Dichter von dem einzigen Punkte aus, der für
die Wertung dieser wunderlichen Betätigung,
die man Schreiben oder Dichten nennt, zu¬
letzt überhaupt nur noch in Frage kommt.
Fechter,