VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 86

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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGBSTR. 22-24
Zeitung: Neues Wiener Journal
Adressel Wien
MAT
Datum:
(Artur Schuitzlers sechziaster Geburtstag.) Gestern
(Samstag) sprach Friedrich Wallisch in einem ausführlichen Vor¬
trag über Aizüir Schnitzter anläßlich des sechzigsten Geburtstages des
Dichters. Eswarg kampflustige Ausführungen, an deren Beginn eine
mutige Ausgknaggersetzung mit der „Reigen“=Affäre stand. Der Vor¬
tragende ##kwa das persönliche und künstlerische Gesamtbild Schnitzlers
mit prägnanten Strichen. Jugenddichtungen und Teile aus späteren
Werken illustrierten seine Ausführungen. Wallisch ließ keines der
Probleme um Schnitier unerwähnt und formte so die Gestalt dieses
größten Wiener Dichters der Gegenwart, den er „den Wiener
issiker der Jahrhundertwende“ nannte. Ein
bitteres Wort, das er wiederholt gebrauchte, ist für das Problem Schnitzler
höchst bezeichnend: „Daß Schnitzler ein Wiener Dichter ist, wird ihm
als Einseitigkeit angekreidet. Wäre er beispielsweise ein Pariser Dichter,
so müßte dieses Beiwort sein höchstes Lob sein.“ Manches bisher un¬
bekannte Detail, das Wallisch aus Schnitzlers Munde erfahren hat“
gab seinen Ausführungen besonderen Reiz.
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mung ünders. Das ist das wahrste Wort
I Grunde zugleich auch der beste Trost, der dem Menschen
in seinem Erdenleben mit auf den Weg gegeben worden ist.
W. Raabe.
Arthur Schnitzler.
Zu seinem 60.=Geburtstag.
Von Alfred Maderno.
Am 15. Mai, an seinem 60. Geburtstag. und schon seit ge¬
raumer Zeit stehen wir Arthur Schnitzler anders gegenüber, als
vor rund zwanzig Jahren. Wenn sich unsen anfänglich bereit¬
williges lächelndes Interesse — mehr ist es kaum gewesen — seit¬
her in ein sehr kritisches Abwägen der dichterischen Fähigkeiten
Schnitzlers verwandelt hat, so ist diese schärfere Einstellung auf
das Schaffen eines nicht gewöhnlichen Talents aber nicht etwa
durch die künstlerische Reife dieser Begabung, sondern
Gegenteil — durch eine deutlichere Ukterscheidung der schöpferi¬
schen Potenzen bedingt.
Dichterische Kraft haben Schnitzlers Jugendwerke zwar nie
verheißen; aber eine Summe feiner Kultur steckt in den Men¬
schen die er in seinen kleinen Dramen und zarten Novellen ein¬
führt. Aus dieser Kultur hätten Gesellschaftsdrama und Gesell¬
schaftsroman seelische Bereicherung empfangen können, und trotz
frühzeitiger Abirrung bestand immer noch die Hoffnung, die
Reife des Lebens werde den Stimmungskünstler zu einem zwar
immer noch zart, doch sicher zupackenden Dichter erziehen.
Menn wir in Arthur Schnitzler je den typischen Vertreter
der modernen Wiener Dichtung und im weiteren des modernen
österreichischen Dramas erblickten, so haben wir ihm eine Stel¬
lung in der Literatur eingeräumt, die er selbst vielleicht nie ein¬
nehmen wollte. Das moderne Drama, bei dem Arm in Arm
mit den Franzosen auch Schnitzler, Hofmannsthal und Bahr
Pate gestanden, hat eine ganz andere Entwickelung genommen,
als wir, um bei Schnitzler zu bleiben,s nach der Atmosphäre
hätten schließen mögen, in der die Menschen des „Anatol“¬
Zyklus oder der „Liebelei“ dahinsiechen.
Schnitzler ist den Weg zur Ergründung brennender psycho¬
logischer Probleme selbst nicht gegangen, wiewohl er in manchem
Einakter nach Ibsenscher Art ein Thema aufwies, auf das sich
jüngere Talente mit ekstatischem Gestaltungsdrang stürzten.
Schnitzler hat den bequemeren Weg gewählt, die näher liegende,
entschieden menschlichere Konsequenz aus der Anhäufung über¬
reizter Empfindungsmomente gezogen.
Von einigen Anläufen zu historischen Darstellungen abge¬
sehen, im Drama führt dieser Versuch im „Jungen Medardus“
am weitesten, und trotz einiger rein dichterischer Proben, vor
allem in dem Renaissanceschauspiel „Der Schleier der Beatrice“
geboten, hat Schnitzler mehr oder weniger unterhaltsam, doch
niemals richtig dramatisch, das Thema vom auch nur mehr oder
wenigser asthekischen Lebemann und dem „süßen Nädel“ variiert
und die Krankheitsstoffe dieses teils melancholischen, teils leicht¬
fertigen Millents aufgesogen. Der berüchtigte Zyklus novellisti¬
scher Dialoge „Reigen“ ist das kraffeste Beispiel hierfür.
Schnitzlers letzte Werke sind eine Art Lebensbeichte. Sie
sind ein resignierendes Rückwärtsschauen auf den unbedenklichen
leichten Sinn der Jugend. Zweimal wählt er Casanova zum
Helden; in einem fast frivolen Drama den jungen, in einer
allen Freuden des Lebens gewidmeten Novelle den alternden
Abenteurer.
Vergessen stehen Auseinandersetzungen mit sozialen und
Rassenfränen (Der einsame Weg. Der Weg ins Freie) neben
Standessatiren. Hier konnte nur Kraft den Stoff durchdringen;
chier hat sich auch der naive Beurteiler mit geistreicher Konver¬
sation nicht abspeisen lassen, und er verzichtete.