VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 101

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60th Birthdar
Die Gesellschafterversamr
küfttr Reichshof Gebr. Hillebrecht. Diese beschließen, daß auch bei V.
mehrerer Geschaftsführer ein¬
offene Handelsgesellschaft ist aufgelöst
rere von den Geschäftsführer
worden; das Geschäft ist von dem Gesell¬
schaft allein vertreten könner
schafter A. H. K. Hillebrecht mit Aktiven
Geschäftsführer:!
und Passiven übernommen worden und
schlossen,
Schriftste
Literakur und Kunst.
von 750
C. A. P. Arthur Schnitzle wird am 15. Mai sechzig Jahre alt.
von W
Max
Der Leser stutzt wohl bei dieser Nachricht, blickt vielleicht auf vom
Berlin.
Papier, sinnt ein wenig der durchlebten Zeit nach und unwillkürlich
Köln (
drängt es sich über die Lippeneschon sechzig 2 Wie kommt es, daß
wir uns den Anatol=Dichter eigentlich gar nicht recht im grauen
O
4
Haar vorstellen können? Freilich ist Jahrzehnte hindurch das
würdige.
iche
erotische Problem der eigentliche Inhalt seines Schaffens gewesen,
der ger
send
und Liebe und Jugend gehören zusammen, aber von der vollbesetz¬
genauen
ten Tafel des Lebens schielte er doch auch immer nach der dunkel¬
heimrat
agen
verhangenen Türe, halb ängstlich, halb neugierig, wie er wohl aus¬
auch die
wohl¬
sehen möge, der stille Gast, der dort einmal durch sie hereintreten
griffen
ster¬
ewiez muß. So verweb er Anfang und Ende, Leben und Sterben eigent¬
seinen2
hbares lich von Jugend an, aber er selbst schien dem dunklen Geheimnisse
unermeß
darum nicht näher zu kommen, er blieb eigentlich immer der gleiche,
schnellere
Zioline,
und das Alter, die grauen Haare geben seiner geistigen wie leib¬
Fixstern
Streich¬
lichen Persönlichkeit etwas Seltsam=Fremdes, ja beinahe Gespensti¬
Nur
und ge¬
sches. Früher gehörte er eine Zeitlang zu den bekanntesten Schrift¬
zona, ül
setenden
stellern deutscher Sprache; heute ist er ein halbvergessener Mann,
Sliph¬
und doch ganz der gleiche. Nur die verquickliche Angelegenheit
einer G¬
Bach= der Reigen=Aufführung hat in letzter Zeit wieder seinen Namen
Möglichk
Die in aller Leute Mund gebracht; seine Kunst liegt hinter uns. Das
digkeiten
Suite Schicksal der ganzen Künstlergeneration, die einst mit ihm den
tungen 1
Paul Schauplatz betrat, prägt sich an Arthur Schnitzler am deutlichsten
Expositic
Leitung und zugleich am schmerzlichsten aus: der Mangel einer wirklichen
und 14.
onzerte Entwicklung. Auch andere, die sogar im Anfang den frischen Erd¬
NGC 58
ebendig geruch der heimatlichen Scholle unmittelbar in die Literatur hinein¬
Damen zutragen schienen, Gerhart Hauptmann, Max Halbe, schienen plötz= der Sei¬
schwin,
Unna lich im Wachstum innezuhalten, als sie sich wurzellocker in der
von un
künstle=wachsenden Großstadt zusammendrängten. Schnitzler ist Großstadt¬
das auf
kind, zwar als Wiener der Natur und dem Volkstum näher als
ienspiel
den Sor
etwa der Berliner, aber seine ganze Umwelt hat etwas Umhegtes,
Geschr
en mit
Windstilles. Wenn er als Mensch und Künstler sich unters Volk
kunde.
r, der
mischt, so bedeutet das zwar weniger ein Herabsteigen, aber er legt
steht bei
klare
das Gesellschaftliche doch auch niemals ganz ab, und fast immer
Walfisch,
vor¬
wendet er seine menschliche Liebenswürdigkeit und die Grazie seines
Schüler
von Om
Stils vergebens auf, um aus dem Abenteuer ein Erlebnis, aus
Die
einem Schritt vom Wege ein Schicksal zu gestalten. Er spricht das
sitzt der
Wienerische mit einem französischen Akzent, und wer wollte leug¬
1 Sekun
nen, daß wir diesen heute stärker als früher heraushören. Den
Kilom. /E
schnell, d¬
kleinen Alltag pflegt er fälschlich zu tragischer Größe emporzu¬
steigern, und vor der großen Tragik erweist er sich selber als zu
mit 19,
klein. Was bleibt, ist das müde Lächeln der Skepsis und das wird
gegenübe
Ang
an
ihn wohl auch begleiten für den Rest des Weges. ——
Geschwin
sind
□ Vom Goethe=Nationalmuseum in Weimar. Wie uns von
n und
mit uns¬
unserm Weimarer Mitarbeiter geschrieben wird, ist es dem Direktor
r und
stellen.
des Goethe=Nationalmuseums gelungen, das letzte während
Geschicht¬
urger
seiner Lebenszeit angefertigte Bildnis Wie¬
aus der
des
lands zu erwerben und der Bildnissammlung des Goethehauses
stav
1 Sekun
einzuverleiben. Es handelt sich um eine reizvolle, übermalte
ischer
Meter ir
Silhouette, die den Dichter sitzend, in den Pelz gehüllt, das typische
mal so
t hat,
Käppchen auf dem Kopf, in der Rechten ein Buch zum Lesen vor¬
haltend und mit der Linken ein Kätzchen streichelnd, darstellt. Das fähig, un
Bildnis ist erwiesenermaßen das letzte nach der Natur gefertigte des erkennen
Dichters und entstammt dem Wielandschen Familien=Nachlaß. alles Me

2
Neue Hamburger Ztg.
Hamburg
2
1 SMA
2
Kunft und Wissenschaft.
— Arthur Schnitzler begeht henke den 60. Geburtstag. Wir
werden dem Dichter im Anschluß an die heutige Aufführung
der „Liebelei“ in den Kammerspielen einige Worte
widmen. Die bei S. Fischet erscheinende Neue Rund¬
schau hat eine Rundfragegüber Schnitzler veranstaltet, aus
der wir die beiden folgenden Aeußerungen zum Abdruck
bringen:
Arthur Schnitzlers warme und feine Begabung besitzt einen
s ist deutsche
Zug, der in Deutschland selten ist, Grazie.
Grazie, keine französische. Seine Gestalten, sein Theater ist
unaufdringlich bis zur möglichen Grenze. Man wird diesen
deshalb manchmal ein wenig blaß anmutenden Schriftsteller
immer wieder revidieren müssen, um die farbigen Reize und
großen Schönheiten seines Werks nicht zu verlieren und für
den deutschen Dauerbesitz zu retten. Den Sinn für Schnitzler
besitzen, heißt Kultur besitzen, und sich von Schnitzler ange¬
zogen fühlen, heißt die Kultur suchen. Es sollte viel mehr,
als es geschieht, Schnitzler gespielt werden.
Gerhart Hauptmann.
Ich bin der wiederkehrenden Gelegenheit froh, Arthur
Schnitzler meiner alten und immer neuen Bewunderung zu
versichern. Die Stunden, ich wiederhole es, die ich im Theater
oder zu Hause im Lesestuhl mit der Anschauung seiner Werke
verbrachte, waren solche künstlerischer Geborgenheit, unzweifel¬
haftesten Vergnügens, glücklich erhöhten Lebensgefühls. Voll¬
endet österreichisch, ist er heute für jene seelische Sphäre in
eine ähnlich repräsentative Stellung hineingewachsen, wie
etwa Hauptmann für das Reich. Seine Schöpfungen besitzen
allen Schmelz, alle Geschmackskultur, alle Liebenswürdigkeiten
des Oesterreichertums; aber als ihr besonderes Charakteristi¬
kum erscheint mir eine gewisse Lebensstreuge, die weh tut —
und die wohl eigentlich nicht österreichisch ist. Hofmannsthal
ist traumhaft intensiv, aber er hat nicht dies, und auch Alten¬
berg hat es nicht. Es mag vom Aerztlichen herrühren, —
das Unempfindliche, Unerbittliche. Es ist außerdem erotischer
Ernst, die Lebensstimmung des Friedrich Hofreiter im
„Weiten Land“, der sagt: „Ah, hältst du das für so besonders
lustig?“ Steinrück, eine schroffe Natur sprach es unüber¬
trefflich. Leidenschaft ... ist sie österreichisch? Aber von
Anfang war auch das andere im Spiel: Weisheit; zuerst als
Skepsis und Lockerheit, dann immer männlicher und gütiger
sich ausbreitend. Was aber wärc liebenswert, was ehrwürdig,
was ergäbe Dichterwerk, Dichterleben, wenn nicht die Ver¬
einigung von Leidenschaft und Weisheit, Strenge und Güte?
Thomas Mann.