VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 113

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60th Birthday
und Empfindungen, das durch sie hindurchströmt,
das weniger der einzelnen Person als ihnen allen
zu gehören scheint. Der Zeitgeist, nicht der
Einzelgeist, das ist im Grunde genommen sein
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Thema, die Stimmung, die hinter uns allen steht
und unsere Taten, ja unsere Gedanken hervorruft!
„Anatole“ war Schnitzlers erstes Werk, eine Samm¬
lung von sieben Dialogen zwischen Männern und
Frauen, voll graziöser Psychologie und ganz durch¬
tränkt mit echt wienerischem Geist, so wenig auch
Sesische Stautsschung Fcsden
der Dichter sich bewußt als Heimatkünstler gebärdet.
Mitschmerzlicher Ironie wird in dem Drama„Märchen“
die Frage von der Unberührtheit des Weibes behandelt.
Als Theoretiker scheint der Mann darüber erhaben
zu sein; als Praktiker ist er es nicht. Da ver¬
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langt er die Reinheit der Gattin. Das Drama
„Liebelei“ hatte einen Riesenerfolg. Die bittere
Enttäuschung des jungen Mädchens, für die der
Geliebte alles bedeutet, während sie bei ihm nur
eine Nebenrolle spielt, ist wohl niemals so typisch
gestaltet worden. Auch der groteske „Grüne
Kakadu“ flog mit seinem grellen Gekreische durch
die ganze Welt. Ein schauriges Spiel, am Vor¬
Tiieraltk. Sechzig Jahre sind am heutigen
abend der französischen Revolution, wobei sich
Tage )vezgangen, seitdem Arthur Schnitzler der
das bloß Deklamierte, von Schauspielern Vor¬
feinsthiuitgze Novellist und Dreder Welt
getragene in gräßliche Wirklichkeit verwandelt, aus
geschenkt wurde. Ein Dichter der Übergänge und
bloßer Dichtung wird erschreckende Wahrheit. —
Zwischentöne, der schmerzlichen Problematik, die
Noch größeres Aufsehen machte der „Reigen",
in den Beziehungen der Stände und der Geschlechter
namentlich, seitdem diese bloße Erzählung auf die
zueinander herrscht. Ein wahrheitsliebender,
Bühne gebracht wurde. Die erregten Kämpfe
psychologisierender Geist, der in die Tiefen des
für und wider dieses Stück werden auf alle Fälle
Lebens blickt, und der sich daher. nach dem Wort
später einmal ein wichtiges Kapitel der Kultur¬
Schillers selten am Leben erfreuen kann. Fast alle
geschichte unserer Tage sein. Aber auch „Leut¬
seine Werke tragen daher einen herben, melan¬
nant Gustl“, „Sterben", „Der einsame Weg“,
cholischen Beigeschmack, haben skeptisch Hamletische
„Der Schleier der Beatrice“ hatten ihren großen
Ironie. Daneben zeigt sich noch die weiche, graziöse
wohlverdienten Erfolg, der um so bemerkenswerter
Müdigkeit seiner österreichischen Heimat. Im Kerne
ist, als Geister von dieser Tiefe sonst nicht in
seines Wesens ist Schnitzler Novellist, trotz seiner
die Breite zu wirken pflegen. — Wir haben von
großen dramatischen Gestaltungskraft. Denn nicht
Schnitzter noch viel Gutes zu hoffen und, was
die äußere dramatische Handlung ist es, die ihn nicht von allen seinen Kollegen gilt, nichts
vor allem fesselt, auch nicht einmal die Gestalten
Schlechtes zu befürchten.
selbst, so plastisch er sie auch zu formen weiß.
Um der Not der deutschen literarischen
Sondern in erster Linie das Fluidum von Gedanken! Gesellschaften zu steuern und ihr geistiges Niveau
zu heben, und gleichzeitig, um die Fachpresse der
deutschen Schriftsteller zu fördern, haben die lite¬
rarischen Gesellschaften die Gründung eines
Bundes der literarischen Gesellschaften
beschlossen, die auf einer [Tagung am 6. und
7. Juni in Gotha erfolgen soll.
In den „Deutschen Bühnenspielen“ in
Leipzig kommt am 24. d. M. eine Neuheit von
Otto Ernst: „Die hohe Menagerie“ zur Ur¬
aufführung.