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—Birthdar
024
Arthur Schnitzler.
Zu seinem 60. Geburtstag, 15. Mai.
Arthur Schnitzler ist 60 Jahre alt geworden. Der Dichter der
müden, überreifen Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den
„einsamen Weg“ ins Leere, ins Nichts geschildert, hat all die Emp¬
findungen und Erlebnisse des absinkenden Lebens vorweggenommen.
daß er uns heute im grauen Haar nicht viel älter erscheint als
## fernen blühenden Tagen. Schnitzlers letzte Werke hatten etwas
Zeitloses, Unpersönliches. Der unbestrittene Führer der „Wiener
Schule“, dieser Klassiker des Impressionismus, steht heute, in den
Tagen des „sterbenben Wien“, des sieghaften Expressionismus,
fremd in einer ihm fremden Welt. Er spielt noch die alten Melodien,
die melancholischen Klänge eines raschen Lebensgenusses, einer
bitteren Seligkeit, aber sie tönen etwas leer, leise, wie fernverweht.
Schnitzler ist an seinem 60. Geburtstag schon historisch geworden,
und als den Vertreter einer abgeschlossenen Epoche, als den Meister
eines vollendeten Stils dürfen wir ihn würdigen.
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literaiurgeschichte des
letzten Vierteljahrhunderts eine bedeutende Stelle einnehmen, sie
ist ja nicht nur mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer" und
„süßen Mädel“ zu erschöpfen, sondern sie hat dem trüben und sach¬
lichen norddeutchen Naturalismus erst Anmut verliehen, Weich¬
heit, Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler dieser
„Wiener Schule“ schlechthin ist Schnitzler, nicht etwa Hofmannsthal,
der viel internationaler ist und mit seinem fabelhaften Formtalent
die verschiedenartigsten Stile neu zu beleben weiß. In Schnitzler
findet uralte Wiener Tradition ihre letzte Verfeinerung, ihren
vollen Ausklang.
Da er nur die Empfindung des Augenblicks anerkennt, sich
allein an den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den Mummen¬
schanz verhuschender Schatten klammert, so wußte er in das Mo¬
mentane den stärksten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten bedeu¬
tenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle
„Sterben“ drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten
des Erlebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres
Kunstwerk aufzuweisen als Schnitzlers „Einsamen Weg“, in dem
man auch wohl sein bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich
eine Kunst der Halbtöne, der seinen Valeurs; eine silbergraue,
von schweren Farben matt durchleuchtete Herbststimmung ist über
das Ganze gebreitet, und die Tragik des Alters, die hier ange¬
schlagen wird und bei Schnitzler immer wiederkehrt, ist die eigent¬
liche Tragik des impressionistischen Menschen, der stets die Stunde
genossen hat und sich nun einsam sieht mit den Schemen seiner
Erinnerung. Die Wirrungen und Wandlungen der Seele, die
„ein weltes Land“ ist, beschäftigen Schnitzler hauptsächlich, der als
Arzt ein scharfer Beobachter ist und sich mit Psychologie nicht
nur als Künstler, sondern auch als Gelehrter beschäftigt hat. In
einem eigenen Buch ist von Theodor Reik auf die Beziehung
unseres Dichters zu der Psychoanalyse Freuds hingewiesen worden,
der sein engster Wiener Landsmann ist, und mit dem er sich auch
in seinen wissenschaftlichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion
berührte. Schnitzler ist in seinen Dichtungen von verhältnismäßig
einfachen Gefühlen, auf denen sich sein bekanntestes Drama „Lie¬
belei“ aufbaute, zu immer komplizierteren feelischen Beziehungen
und Rätseln fortgeschritten, er dringt tief in die Welt des Un¬
bewußten, der verdrängten Gefühle und gestaltet echt Freudsche
Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr Sohn“. Aber
so wichtig diefe tief bohrende und zergliedernde Analyse für seine
Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht, wie es Reik getan
hat, einseitig an der Freudschen Methode messen, sondern muß
betrachten, was er aus diesem reichen psychologischen Material
lebendig gestaltet hat.
Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß seine Welt und seine
Stoffe zu eng begrenzt seien. Tatsächlich sind es nur ganz wenige
Motive, Figuren und Situationen, die sich bei ihm in feinen
Variationen stets wiederholen. Da ist die Stellung des Mannes
zwischen zwei Frauen, dem „süßen Madel“ und der verheirateten
Dame, da ist das „dreieckige“ Verhältnis in der Ehe, da sind die
beiden Freunde, die beiden Gegner, da ist der Liebe kurze Gelig¬
keit und lange Qual, ist die Hoffnung auf das Kind und das
Grauen vor dem Alter, ist Duell und Tod. Schnitzler schlägt diese
Leitmotive schon in seinen ersten Dichtungen an, hat sie in
„Anatol" und „Liebelei“ reich und dichterisch entwickelt. Im
„Reigen“, dieser heut so berüchtigten Szenenfolge, hat der erotische
Pessimismus des jungen Dichters seinen stärksten Ausdruck ge¬
funden, es ist ein melancholischer „Totentanz der Liebe“ dessen
Motto das Wort Meister Eckhards sein könnte: „Die Wollust der
Kreaturen ist vermenget mit Bitterkeit.“ Die Tendenzdramen,
die nun folgen, widmen sich der Gesellschaftskritik und finden ihre
höher stehende Fortsetzung in Werken wie „Zwischenspiel“, „Das
weite Land“, die der modernen Gesellschaft wirklich einen Sitten¬
spiegel vorhalten, Hier erliegt der Dichter, dessen passive Skepsis
der dramatischen Spannkraft entbehrt, bisweilen dem Streben
nach rein theatralischer Wirkung, die ihm am besten im „Grünen
Kakadu“ gelungen ist.
Schnitzler ist ein Meister des Dialogs, der feingeschliffenen
Pointe; er braucht jemanden, der ihm „die Stichworte bringt“.
aber seine Charakteristik ist zu subtil und episch, so daß seine
Dramen leicht etwas Novellistisches bekommen. Als Novellist hat
er von seinen Jugendfachen „Sterben“ und „Leutnant Gust!“ an
viel Feines geschaffen; sein epischer Atem ist aber kurz und reicht
nicht zum Roman. Trotzdem ist sein einziger Roman „Der Weg
ins Freie“ vielleicht sein bedeutendstes, jedenfalls sein persönlich¬
stes Werk. Es ist ein Bekenntnisbuch großen Stils, in dem er als
Jude und als Oesterreicher mit den ewigen Problemen der Rasse
und des Volkes ringt. Gehört auch der Dichter des Impressionis¬
mus und des alten Wiens der Vergangenheit an, der Mensch
Schnitzler wird in seinem Allzumenschlichen — Ew'zmenschlichen
stets lebendig bleiben und uns ergreifen.
Dr. Paul Landau.
—Birthdar
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Arthur Schnitzler.
Zu seinem 60. Geburtstag, 15. Mai.
Arthur Schnitzler ist 60 Jahre alt geworden. Der Dichter der
müden, überreifen Jugend, der so früh die Tragik des Alterns, den
„einsamen Weg“ ins Leere, ins Nichts geschildert, hat all die Emp¬
findungen und Erlebnisse des absinkenden Lebens vorweggenommen.
daß er uns heute im grauen Haar nicht viel älter erscheint als
## fernen blühenden Tagen. Schnitzlers letzte Werke hatten etwas
Zeitloses, Unpersönliches. Der unbestrittene Führer der „Wiener
Schule“, dieser Klassiker des Impressionismus, steht heute, in den
Tagen des „sterbenben Wien“, des sieghaften Expressionismus,
fremd in einer ihm fremden Welt. Er spielt noch die alten Melodien,
die melancholischen Klänge eines raschen Lebensgenusses, einer
bitteren Seligkeit, aber sie tönen etwas leer, leise, wie fernverweht.
Schnitzler ist an seinem 60. Geburtstag schon historisch geworden,
und als den Vertreter einer abgeschlossenen Epoche, als den Meister
eines vollendeten Stils dürfen wir ihn würdigen.
Die Wiener Dichtung wird stets in der Literaiurgeschichte des
letzten Vierteljahrhunderts eine bedeutende Stelle einnehmen, sie
ist ja nicht nur mit den Schlagworten vom „Wiener Walzer" und
„süßen Mädel“ zu erschöpfen, sondern sie hat dem trüben und sach¬
lichen norddeutchen Naturalismus erst Anmut verliehen, Weich¬
heit, Feinheit, Musik. Und der bezeichnende Künstler dieser
„Wiener Schule“ schlechthin ist Schnitzler, nicht etwa Hofmannsthal,
der viel internationaler ist und mit seinem fabelhaften Formtalent
die verschiedenartigsten Stile neu zu beleben weiß. In Schnitzler
findet uralte Wiener Tradition ihre letzte Verfeinerung, ihren
vollen Ausklang.
Da er nur die Empfindung des Augenblicks anerkennt, sich
allein an den flüchtigen Abglanz des Lebens, an den Mummen¬
schanz verhuschender Schatten klammert, so wußte er in das Mo¬
mentane den stärksten Inhalt zu legen. Seine beiden ersten bedeu¬
tenderen Arbeiten, der Einakterzyklus „Anatol“ und die Novelle
„Sterben“ drängen bereits in einzelne Augenblicke ganze Welten
des Erlebens. Das impressionistische Drama hat kein höheres
Kunstwerk aufzuweisen als Schnitzlers „Einsamen Weg“, in dem
man auch wohl sein bestes Werk sehen darf. Hier entfaltet sich
eine Kunst der Halbtöne, der seinen Valeurs; eine silbergraue,
von schweren Farben matt durchleuchtete Herbststimmung ist über
das Ganze gebreitet, und die Tragik des Alters, die hier ange¬
schlagen wird und bei Schnitzler immer wiederkehrt, ist die eigent¬
liche Tragik des impressionistischen Menschen, der stets die Stunde
genossen hat und sich nun einsam sieht mit den Schemen seiner
Erinnerung. Die Wirrungen und Wandlungen der Seele, die
„ein weltes Land“ ist, beschäftigen Schnitzler hauptsächlich, der als
Arzt ein scharfer Beobachter ist und sich mit Psychologie nicht
nur als Künstler, sondern auch als Gelehrter beschäftigt hat. In
einem eigenen Buch ist von Theodor Reik auf die Beziehung
unseres Dichters zu der Psychoanalyse Freuds hingewiesen worden,
der sein engster Wiener Landsmann ist, und mit dem er sich auch
in seinen wissenschaftlichen Arbeiten über Hypnose und Suggestion
berührte. Schnitzler ist in seinen Dichtungen von verhältnismäßig
einfachen Gefühlen, auf denen sich sein bekanntestes Drama „Lie¬
belei“ aufbaute, zu immer komplizierteren feelischen Beziehungen
und Rätseln fortgeschritten, er dringt tief in die Welt des Un¬
bewußten, der verdrängten Gefühle und gestaltet echt Freudsche
Probleme, wie in der Novelle „Frau Beate und ihr Sohn“. Aber
so wichtig diefe tief bohrende und zergliedernde Analyse für seine
Kunst ist, so darf man sein Werk doch nicht, wie es Reik getan
hat, einseitig an der Freudschen Methode messen, sondern muß
betrachten, was er aus diesem reichen psychologischen Material
lebendig gestaltet hat.
Man hat Schnitzler oft vorgeworfen, daß seine Welt und seine
Stoffe zu eng begrenzt seien. Tatsächlich sind es nur ganz wenige
Motive, Figuren und Situationen, die sich bei ihm in feinen
Variationen stets wiederholen. Da ist die Stellung des Mannes
zwischen zwei Frauen, dem „süßen Madel“ und der verheirateten
Dame, da ist das „dreieckige“ Verhältnis in der Ehe, da sind die
beiden Freunde, die beiden Gegner, da ist der Liebe kurze Gelig¬
keit und lange Qual, ist die Hoffnung auf das Kind und das
Grauen vor dem Alter, ist Duell und Tod. Schnitzler schlägt diese
Leitmotive schon in seinen ersten Dichtungen an, hat sie in
„Anatol" und „Liebelei“ reich und dichterisch entwickelt. Im
„Reigen“, dieser heut so berüchtigten Szenenfolge, hat der erotische
Pessimismus des jungen Dichters seinen stärksten Ausdruck ge¬
funden, es ist ein melancholischer „Totentanz der Liebe“ dessen
Motto das Wort Meister Eckhards sein könnte: „Die Wollust der
Kreaturen ist vermenget mit Bitterkeit.“ Die Tendenzdramen,
die nun folgen, widmen sich der Gesellschaftskritik und finden ihre
höher stehende Fortsetzung in Werken wie „Zwischenspiel“, „Das
weite Land“, die der modernen Gesellschaft wirklich einen Sitten¬
spiegel vorhalten, Hier erliegt der Dichter, dessen passive Skepsis
der dramatischen Spannkraft entbehrt, bisweilen dem Streben
nach rein theatralischer Wirkung, die ihm am besten im „Grünen
Kakadu“ gelungen ist.
Schnitzler ist ein Meister des Dialogs, der feingeschliffenen
Pointe; er braucht jemanden, der ihm „die Stichworte bringt“.
aber seine Charakteristik ist zu subtil und episch, so daß seine
Dramen leicht etwas Novellistisches bekommen. Als Novellist hat
er von seinen Jugendfachen „Sterben“ und „Leutnant Gust!“ an
viel Feines geschaffen; sein epischer Atem ist aber kurz und reicht
nicht zum Roman. Trotzdem ist sein einziger Roman „Der Weg
ins Freie“ vielleicht sein bedeutendstes, jedenfalls sein persönlich¬
stes Werk. Es ist ein Bekenntnisbuch großen Stils, in dem er als
Jude und als Oesterreicher mit den ewigen Problemen der Rasse
und des Volkes ringt. Gehört auch der Dichter des Impressionis¬
mus und des alten Wiens der Vergangenheit an, der Mensch
Schnitzler wird in seinem Allzumenschlichen — Ew'zmenschlichen
stets lebendig bleiben und uns ergreifen.
Dr. Paul Landau.