VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 121

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ADOLF SCHUSTERMANN
ZEITUNGSNACHRICHTEN-BUREAU
BERLIN SO. 16, RUNGESTR 22-24
Zeitung: Eisenacher Zeitung
Adresse: Eisenach
16 MAliZ
Datum:
Kunst und Wissenschaft.
Artur Schnitzler 60 Jahre alt. Am gestri¬
gen Montag beging der in den letzten Jahren
noch einmal überkrieben viel umstrittene Ver¬
fasser der „Reigen“=Dialoge seinen 60. Ge¬
burtstag. Jenseits dieses „Reigens“ hat der
Streit um Schnitzier, wie um jeden aus dem
Naturalismus hervorgegangenen Schriftsteller,
längst ein Ende gefunden; man hat den
Dichter der „Liebelei", der „Anatol“=Reihe,
des „Einsamen Wegs“ den Spötter mit dem
Weaner Gemüt, den Stilisten mit dem fran¬
zösischen Einschlag in die Literaturgeschichte
eingereiht. Am längsten werden sich vor¬
urteilslose Gemüter vieler prachtvoller Novel¬
len erinnern, in denen Schnitzler vielleicht sein
künstlerisch Bestes gab, Perlen sprachlicher
Kultur, psychologischer Einfühlung und
plastischer Schau.
Die Ausbreitung der Welthilfssprache. Das
Esperanto wird, wie neuerdings festgestellt
wurde, in 123 Städten öffentlich gelehrt; dazu
kommen jetzt nach Ostern noch 49 Städte.
Dichterauszeichnung. Der Stiftungsrat der
Johannes=Fastenrath=Stiftung in Köln hat
beschlossen, aus den zur Verfügung stehenden
Stiftungsmitteln Schriftstellern und Schrift¬
stellerinnen Ehrengaben im Gesamtbetrage
von 15000 Mark zu bewilligen: Es erhielten
Ehrengaben: Sophie Hoechstetter in
Pappenheim i. Franken, Rudolf Huch, Bad
Harzburg, Paul Kornfeld, Frankfurt a.
Main, Friedrich Seebrecht Gera, Leo
Weißmantel, Marktbreit a. Main.
Außerdem wurden 1700 Mark zu Unter¬
stützungen für in Köln ansässige Schriftsteller
Schriftstellerinnen verwandt.
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— Hamburger Kammerspiele.
Zu, Arthur Schnitzlers 60, Geburtstag: Liebelei.
Keinem Dichter wäre es weniger angemessen als diesem,
wollte man seinen Gedenktag mit Fanfaren feiern. Man
erinnert sich seiner nicht ruckartig, er hat nie etwas Plötz¬
liches, Entscheidendes gehabt; er war keine Wende in der
Zeit, sondern vielmehr eine beständige Begleitmelodie. Ja,
man fühlt in ihm den vollkomienen Ausdruck einer Epoche.
die nicht glaubte, daß sich je noch etwas Wesentliches in de¬
Eh
Welt ändern könne. Sie sah und kannte das Leben sehr
genau und nahm es als eine gegebene Tatsache hin. Nicht,
daß ihrem Blick der Konflikt, die Tragik, das unlösbare Pro¬
blem entging, sie fühlte diese. Untiefen und Abgründe schwer
und schmerzlich; aber es war doch gleichzeitig immer das
Bewußtsein da, daß Sträuben nichts hilft, daß das Heil
nicht in der Tat liegt, sondern in der Betrachtung, die die
großen Zusammenhänge weise erfaßt und in einer Art von
abgeklärter Resignation endet. Im Hintergrunde des
Schnitzlerschen Lebenswerkes liegt Melancholie; sie sickert
dunkel und gefährlich aus der satten Melodik seiner gewoge¬
nen Sprache. Und wir wissen heute, was wir früher ahnten:
daß hier Dichtung eines absterbenden Geschlechts ist, eines
Geschlechts, das seine erlöschenden Züge mit Gelassenheit im
Spiegel betrachtete.
In der Galerie der Gestalten, die sich aus dieser Stim¬
mung lösten, ist die Christine der „Liebelei“ vielleicht die

rührendste. In der Aufführung der Kammerspiele gewann
sie durch Erika Meingast reinen und tiefen Klang; ja.
vielleicht ist sie nie in so herber Lieblichkeit leibhaft geworden.
Man hatte das Gefühl von der Einzigkeit dieses kleinen,
warmen Lebens, der in seiner engen Grenze ein Ewiges
einschließt, unbedingt in seiner jähen Hingabe an das große
Erlebnis und, doch unbeugsam gegenüber der Gewalt des
Alltags. Es ist schön, daß die junge Künstlerin unter der
Regie der Kammerspiele — für sie zeichnete Paul Marz —
sichtlich zur Unauffälligkeit hinerzogen wird und dabei doch
an Intensität gewinnt. Dieses Hindrängen auf einen dis¬
kreten und doch erfüllten Kammerton zeichnete die ganze Dar¬
stellung aus. Auch die Mizzi Schlager Centa Brés,
dieser blutwärmsten Darstellerin unserer Bühnen, hatte die
völlige Natürlichkeit ohne jede Ueberbetonung; sie war ein
Geschöpf, das die volle Sicherheit des Echten in jedem Wort,
jedem Tonfall zeigte. Mit Freude verzeichnen wir, daß
Fernau (Fritz) diesmal alles Krampfige abgelegt hatte
und eine feingedämpfte Leistung gab. Sondinger (Theo¬
dor) gab die wohlabgesetzte Partnerrolle. In der Episode
des „Herrn“ brachte Ziegel eine konzentrierte Figur.
Marx als Vater wirkte ein wenig blaß, aber voll Güte;
Else Kündingers Bürgerweib war eine satte Studic.
Die ausgezeichnete Vorstellung errang herzlichen Beifall.
H. w. F. 3
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